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Politik: Im Vorkriegskino

BERLINALE 2003

Als George W. Bush unlängst vor laufender Kamera einigermaßen unwirsch von einem bad movie sprach, da ging es ihm um alles andere als ein filmästhetisches Statement. Er meinte damit die zähe Debatte um die UN-Waffeninspekteure im Irak und die Verzögerung des Kriegsbeginns, sollte denn der UN-Sicherheitsrat auf einer zweiten Resolution bestehen.

Nun hat sich Bush auch aus bündnistaktischen Gründen zu eben jenem Kriegsaufschub bekannt – und damit nicht nur den globalen Dorfbewohnern, sondern auch der unmittelbar bevorstehenden Berlinale ein wenig Luft verschafft. Immerhin brachte und bringt das, was er einen „schlechten Film“ nennt, den Noch-Frieden, Tag für Tag. Und der Berlinale, dem weltpolitisch gewisslich unbedeutenden, aber immerhin größten internationalen Kulturereignis Deutschlands, hoffentlich jene Grundgestimmtheit, in der man sich über gute Filme auch richtig freuen kann. Für den „guten Film“ des Präsidenten, nichts anderes als der Feldzug gegen Saddam Hussein, wäre das Festival wohl auf seine Weise gerüstet gewesen – mit außerplanmäßigen Diskussionsforen und zusätzlich ins Programm genommenen Filmen. Nur: Das Fest, das so ein Festival neben aller Arbeitsbegegnung ja auch sein will, wäre mit dem ersten Bombardement auf Bagdad zu Ende gewesen. So hat die Berlinale unversehens eine zweite Chance.

Immerhin beginnt morgen ein Festival, wie George W. Bush es sich amerikafreundlicher kaum erträumen könnte: mit so viel amerikanischer Präsenz wie lange nicht mehr. Allein fünf US-Filme starten im Wettbewerb (die „Alteuropäer“ Deutschland und Frankreich folgen in gebührlichem Abstand mit je drei Filmen) – und es sind überwiegend nachdenkliche, ja, grüblerische Arbeiten, die wenn nicht vom Krieg, so doch von Einsamkeit, Gefangenschaft und Todesstrafe sprechen. Auch den Start und den Schluss, stets protokollarische Höhepunkte des Festivals, hat Berlinale-Chef Kosslick exklusiv für die Amerikaner reserviert. Im Feuerschein der nahen Zukunft mag sich Rob Marshalls Eröffnungsfilm, das schmissige Musical „Chicago“, zwar als Entertainment für die Heimatfront lesen; dafür gewinnt Martin Scorseses finsterer Blick auf ein sich selbst zerfleischendes Amerika, in dem es zwischen Gut und Böse keinen Unterschied gibt, Tag für Tag an Brisanz. Sein als Festival-Finale gedachtes Epos „Gangs of New York“ ist trotz seines historischen Stoffs ein Werk, das mitten ins Heute zielt.

Andererseits könnte diese politisch und ästhetisch ganz von Amerika überwölbte und geprägte Berlinale, die im Friedensfall einigen Hollywood-Glamour nach Berlin bringt, die letzte dieser Art sein – und dies ganz unabhängig von dem angekündigten Krieg. Denn wenn die Oscar-Akademie ihre seit Jahren gehegten Pläne wahr macht, die Verleihung des gefragtesten Filmpreises der Welt bis in die Berlinale-Zeit vorzuverlegen, dann bleiben die Stars womöglich ganz zu Hause, und ihre Filme gleich mit. Diesmal profitiert das Festival noch von den zeitgleichen Oscar-Nominierungen – und von dem Werbeeffekt, den sich die Studios vom Glanz des Berliner Ereignisses versprechen. Kommt der Oscar aber selbst früher, wäre das Festival, das aus verschiedenen Gründen nicht näher an den Jahresbeginn verlegt werden kann, für die Amerikaner weitgehend uninteressant. Es bliebe das Trommeln für den Europastart ihrer Produktionen – aber wie armselig wäre dieses Geräusch ohne Stars. Und: Könnte die solchermaßen verödete Berlinale, hinter Cannes die Nummer zwei im Konzert der großen Filmfestivals, dann noch mitziehen?

Drängende Sorgen, aber eben: Branchensorgen. Sorgen, die sich in nichts mit denen vergleichen lassen, die in diesen Wochen uns alle beschäftigen – auch die Festivalplaner, die Filmpresse und das cineastisch interessierte Publikum. Denn diese Berlinale ist und bleibt eine im Schatten eines beschlossenen Krieges; eines Krieges, der unseren Begriff von der Welt, in der wir leben, neu justieren wird. Wenn US-Außenminister Powell heute Beweise für die Notwendigkeit dieses Kriegs vorlegt, wird das Ende von Bushs bad movie wieder ein Stück näher gerückt sein. Berlinale-Gänger dagegen dürfen sich dieser Tage im Wortsinn gute Filme wünschen. Eine gute Realität allerdings wäre noch besser.

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