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Politik: Im Zug nach Irgendwo

Von Stephan-Andreas Casdorff

Endlich wieder Wahlen. Endlich wieder mal denen da oben die Meinung sagen, per Wahlzettel. Aber so ist es nicht, nicht bei diesen Wahlen, oder? Da handelt es sich um regionale Ereignisse, um regionale Größen und ihre Wirkung – wird uns, dem Souverän, gesagt. Wahr daran ist: Kurt Beck oder Christoph Böhr, Günther Oettinger oder Ute Vogt, Wolfgang Böhmer oder Jens Bullerjahn, wer auch immer es wird, in Berlin interessiert das weniger. Mehr hingegen, welche Partei wie viel gewinnt oder verliert, und ob das eine Beziehung zu dem hat, wie die Großen in der Bundeshauptstadt gemeinsam regieren.

Noch einmal, weil es der Ausgangspunkt ist: Die Union im Bund hatte unter Angela Merkel so schlecht abgeschnitten, wie es selbst in ihren schlimmsten Befürchtungen niemand in der Partei erwartet hatte. Und die SPD hatte so gut abgeschnitten, wie es selbst in seinen kühnsten Träumen der seinerzeitige Spitzenkandidat – wie war noch gleich sein Name? – nicht erhofft hatte. Sei’s drum, am Wochenende wird sich zeigen, welchen Effekt die Kanzlerin hat, und welchen der andere Ostdeutsche an der Spitze einer Volkspartei, der mutmaßliche nächste Kanzlerkandidat, Matthias Platzeck. Und nachher, nach der Wahl, werden alle das Ergebnis auch so lesen.

Das reicht aber nicht. Denn wenn sich auch vermutlich die Kräfteverteilung im Bundesrat nur unwesentlich ändert, ein, zwei Weichenstellungen sind schon zu erwarten. Auf Seiten der Länder, weil die Wahlgewinner befreiter regieren können, wenn sie sich zum ersten Mal (Oettinger) oder wieder einmal (Beck, Böhmer) bewiesen haben sollten. Vom Souverän das Vertrauen zu erhalten, macht eben souveräner. Aber auch für die Politik der Bundesregierung werden die Ergebnisse eine wichtige Durchgangsstation sein, um im Bild vom Zug nach Irgendwo zu bleiben.

Was hat Merkel vorher nicht alles kritisiert. Was hat sie nicht alles an Reformen für nötig erklärt, damit Deutschland nicht aufs falsche Gleis gerät. Jetzt müsste auch sie befreiter sein können. Ein weiterer Absturz in der Wählergunst steht nicht zu erwarten, und deshalb könnte die Kanzlerin sich als Gestalterin neu erfinden. Es gibt ja Parteifreunde von ihr, die sagen, sie warte nur ab, bis die Zeiten günstiger seien, die Sozialdemokraten noch ein wenig geschwächter, und dann zeige sie, wofür sie eigentlich gewählt werden wollte.

Vielleicht soll man tatsächlich die leisen Töne doch für voll nehmen; die auf dem Wertekongress zum Beispiel oder im Präsidium der CDU, als Merkel sagte, dass sie mehr wolle, aber im Moment leider nicht mehr erreichen könne. Im Moment. Und richtig: Ihre Vorstellungen von einer Gesundheitsreform hat sie nicht aufgegeben, sie spricht bloß nicht laut darüber. Auch nicht über ihre Vorstellungen von einer konsequenten Sparpolitik, zu der sie (auch leise) den sozialdemokratischen Finanzminister Peer Steinbrück von ihrem Kanzleramtsminister Thomas de Maizière ermuntern lässt.

Vorboten eines Reformfrühlings? Das hoffen ihre Anhänger, erwarten ihre Kritiker, vor allem die jungen in der Fraktion, die sich für Merkels Pläne vor Monaten haben schlagen lassen – und fürchten ihre Gegner, darunter nicht nur Sozialdemokraten. Die aber auch, denn eine erneuerte Politik der Erneuerung nach dem 26. März würde die SPD in arge Nöte bringen. Sie hat keine Alternative und ist in großen Teilen inhaltlich und personell nicht in der Lage, geschlossen gegenzusteuern. Platzeck muss noch immer um seine Autorität kämpfen, Franz Müntefering macht immer mehr, was er will, und Peter Struck schaut, dass er die Fraktion einigermaßen in Schwung hält. Es ist, wie es war. Und es ist schon zu lange so.

Bloß kein Kartell der Mittelmäßigkeit – das ist das Mindeste, weil es nach diesen Wahlen jetzt kein Zurück gibt. Alles, was aufgeschoben worden ist, wartet darauf, abgearbeitet zu werden. Große Koalition, große Lösungen, lautet dann die Gleichung. Politik mit Prinzip. Andernfalls, Achtung, Achtung, wird die Enttäuschung übergroß, beim Wähler, in den Parteien. Aber auch die haben ja die Wahl. Noch.

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