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Politik: Im Zweifel für den Gottesstaat

Marokko wählt: Die Bevölkerung ist von der Politik enttäuscht – das könnte den starken Islamisten Zulauf bringen

Von Ralph Schulze, Madrid

Dieses Mal soll alles besser werden. Marokkos junger König Mohammed VI. (39), der vor drei Jahren von seinem verstorbenen Vater Hassan II. die Krone erbte, verspricht seinem Volk „freie und transparente Wahlen“ an diesem Freitag. Derartige Gelöbnisse hatte Hassan II. freilich regelmäßig abgegeben. „Die Wahlen wurden immer gefälscht in Marokko – das gilt auch für die letzte 1997“, sagt der Sozialist Abderrahman Youssoufi. Der Mann muss es wissen, denn er wurde durch diese Wahlmanipulation zum Regierungschef gemacht.

Youssoufi, der ohne politischen Glanz eine vom Hof zusammengeschweißte Mehr-Parteien-Kolition führte, sieht die Zukunft trotzdem optimistisch: Nach Jahrzehnten fehlender politischer Freiheit sei Marokko nun „auf dem Weg, zu mehr Demokratie zu finden“. Woraus Youssoufi, der mit seinen 78 Jahren nicht mehr kandidiert, seine Einschätzung nährt, bleibt sein Geheimnis. Denn die Allmacht des Königs in Politik und Wirtschaft scheint zuletzt eher noch gewachsen zu sein. Die marokkanische Zeitschrift „Tel Quel“ bilanziert: „Mohammed VI. regiert noch absolutistischer als Hassan II.“

Fatala Arsalan, Sprecher der Islamistengruppierung „Gerechtigkeit und Wohltätigkeit“, einer der größten Oppositionsbewegungen, bezeichnet den Wahlgang als „Theaterstück“. Arsalan: „Die Gefahr in Marokko rührt nicht vom Islamismus her, sondern von der sozialen Situation. Die Bevölkrung verliert die Geduld.“ Arsalans Bewegung unter ihrem spirituellen Führer Scheich Abdessalam Yacine strebt einen Gottesstaat nach dem Vorbild Irans an. König Mohammed VI. sieht in den Islamisten, die dem verarmenden Volk mit Sozialarbeit und Religion unter die Arme greifen, die größte Bedrohung für seine Macht. Deswegen wird Yacines Fundamentalistenbewegung vom Staat gegängelt; als Partei ist sie nicht zugelassen. Scheich Yacine revanchierte sich mit einem Aufruf zum Wahlboykott, der vermutlich nicht ohne Auswirkung bleiben wird.

Umfragen zufolge bekennt eine Mehrheit der Marokkaner, sich für Politik nicht zu interessieren. Viel wissen nicht, wen sie wählen sollen und wollen gar nicht erst zur Wahl gehen. Zudem weiß man, dass praktisch alle, die sich jung genug fühlen, Marokko Richtung Europa verlassen wollen. Das Königreich hat wenig zu bieten: Immer noch kann mehr als die Hälfte der Menschen weder lesen noch schreiben, inzwischen ist jeder Dritte arbeitslos, die Zahl der Armen hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt, die Staatskasse ist leer, des Königs Privatschatulle hingegen übervoll. Doch statt der Armut erklärt Mohammed VI. die „nationale Einheit“ zum Thema Nummer eins und fordert von Spanien die „Rückgabe“ der „besetzten Städte“ Ceuta und Melilla an der marokkanischen Küste.

Von der allgemeinen Abwendung des Volkes vom Staat und der Hinwendung zur Religion könnte bei der Wahl die einzige legale islamistische Bewegung, die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), profitieren, die 1997 auf Anhieb 14 der 325 Parlamentssitze holte. Der Zuwachs gilt mittlerweile als so groß, dass PJD- Führer Abdelila Benkiran – möglicherweise nicht ganz freiwillig – die Bremse zog, um einen Erdrutschsieg zu vermeiden: Die PJD, die für eine Islamisierung der Gesellschaft eintritt, aber König Mohammeds Machtanspruch nicht offen in Frage stellt, tritt nur in 56 der 91 Wahlkreise an. Benkiran: „Wir wollen schrittweise die Rolle einnehmen, die uns in der marokkanischen Gesellschaft zusteht.“

Die staatsnahen Medien warnen derweil vor der „islamistischen Gefahr“, und die Polizei verschärfte vor der Wahl den Druck auf die Radikalen. Ein vielköpfiges Islamistenkommando aus dem Umfeld von Osama bin Ladens Al-Qaida-Netzwerk, das von Marokko aus Terroranschläge gegen westliche Interessen plante, wurde verhaftet. Dutzende nicht genehmigte Moscheen extremistischer Prediger, die zum Glaubenskrieg aufriefen, wurden geschlossen.

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