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Politik: Im Zweifel für die eigene Volksgruppe

Bei den Wahlen in Bosnien-Herzegowina haben die Nationalisten wieder großen Zuspruch erhalten

Es bleibt dabei: Die meisten Bürger von Bosnien-Herzegowina haben auch bei den Wahlen am Sonntag ihre Stimme den national orientierten Parteien gegeben. Innerhalb der drei Volksgruppen – Muslime, Kroaten und Serben – gibt es aber neue Mehrheiten. Bosnien-Herzegowina, das sich über ein Gebiet von der Größe Niedersachsens erstreckt, wurde nach dem Bosnienkrieg im Friedensvertrag von Dayton 1995 in zwei autonome Einheiten geteilt: eine serbische Republik und eine muslimisch-kroatische Föderation.

Am Sonntag wurden unter anderem direkt die drei Präsidenten des Zentralstaats gewählt, der nur mit geringen Befugnissen ausgestattet ist. Bei den Bosniaken (Muslimen) zieht dabei nun mit Haris Silajdzic ein entschiedener Verfechter eines einheitlichen Staates ins Staatspräsidium ein. Silajdzic, der sich als liberaler Politiker bezeichnet, hat während des Wahlkampfes das Friedensabkommen von Dayton als untauglich für die Zukunft des Balkanlandes kritisiert und eine grundlegende Reform der Institutionen verlangt. Am liebsten würde der Chef der Partei für Bosnien-Herzegowina (SBiH) die beiden autonomen Einheiten des Landes – die serbische Republik und die muslimisch-kroatische Föderation – ganz abschaffen.

Die scharfe Rhetorik hat sich für Silajdzic ausgezahlt. Die Bosniaken zogen es offenbar vor, einen forschen Vertreter ins Staatspräsidium zu schicken. Im Frühjahr hatte Silajdzic eine Verfassungsreform gekippt, weil er auf Auflösung der autonomen Einheiten bestand.

Silajdzics Drohungen empfanden viele Serben als Provokation; sie wehren sich vehement gegen die weitere Beschneidung der Kompetenzen ihrer autonomen Einheit. „Wenn die Bosniaken weiterhin die Existenz der serbischen Republik infrage stellen, werden wir in der bekannten Art und Weise antworten“, brüllte der Ministerpräsident der serbischen Republik, Milorad Dodik. Manche Beobachter interpretierten die Aussage als Kriegserklärung. Umfragen zeigen, dass 90 Prozent der bosnischen Serben nicht nur den Gesamtstaat ablehnen, sondern einen Anschluss an Serbien wünschen.

Diese Stimmung nutzte Dodik bedenkenlos aus. Seine Allianz der unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) ist die große Wahlsiegerin in der serbischen Republik. Im neuen Staatspräsidium wird Dodiks Parteifreund Nebojsa Radmanovic die Serben vertreten. Erstmals seit dem Krieg brach im serbisch dominierten Landesteil die Vorherrschaft der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) des angeklagten Kriegsverbrechers Radovan Karadzic zusammen.

Im Staatspräsidium wird zwischen den beiden Politikern Silajdzic und Radmanovic künftig Zeljko Komsic stehen. Er repräsentiert die Kroaten, nicht aber als Funktionär der traditionellen Nationalpartei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), die seit 16 Jahren ununterbrochen die Kroaten vertreten hat. Komsic ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei von Bosnien-Herzegowina, die klassische linke Anliegen der kleinen Leute vertritt und als einzige politische Kraft glaubwürdig für ein multiethnisches Bosnien-Herzegowina eintritt. Das unterschiedet sie von Dodiks serbischen Sozialdemokraten, die sich nur für die eigene Volksgruppe einsetzen. Komsics Sieg ist die größte und erfreulichste Überraschung dieser Wahlen. Mit ihm hat ein Kandidat gewonnen, der nicht die eigene Volksgruppe in den Vordergrund stellt.

Bei den Wahlen für das gesamtstaatliche Parlament in Sarajevo gewannen die serbischen Sozialdemokraten, die Partei der demokratischen Aktion, Silajdzics Partei für Bosnien-Herzegowina und die multiethnischen Sozialdemokraten die meisten Mandate. Offen ist, wie die Regierungskoalition aussehen wird. Der Ministerpräsident der serbischen Republik, Milorad Dodik, beansprucht den Posten des bosnischen Regierungschefs für seine Partei.

Enver Robelli[Zürich]

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