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Im BLICK: Stimmen auf dem Postweg

Wer schreibt schon noch Briefe? Seit der Erfindung von Handy und E-Mail ist die schöne alte Form der hand- oder maschinenschriftlich verfassten Mitteilung auf Bütten, verpackt in einem mit Spucke versiegelten und mit einer Briefmarke „freigemachten“ Kuvert aus der Mode gekommen.

Von Matthias Schlegel

Wer schreibt schon noch Briefe? Seit der Erfindung von Handy und E-Mail ist die schöne alte Form der hand- oder maschinenschriftlich verfassten Mitteilung auf Bütten, verpackt in einem mit Spucke versiegelten und mit einer Briefmarke „freigemachten“ Kuvert aus der Mode gekommen. Die Post registriert seit einem Jahrzehnt einen Rückgang des Briefaufkommens um jährlich zwei bis drei Prozent. Aber es gibt eine Gegenbewegung: die der Briefwähler. Seitdem für die Bundestagswahl 1957 in Deutschland die Möglichkeit eingeführt wurde, die Kreuzchen auf dem Wahlzettel nicht mehr nur im Wahllokal, sondern zu Hause in vertrauter Umgebung zu machen, ist die Schar der Wahlkabinenverweigerer deutlich gestiegen: Waren es 1957 nur 4,9 Prozent, machten das 1980 schon 13 Prozent. Und bei der Bundestagswahl 2009 schickten bereits 21,4 Prozent der Wähler ihre Stimme per Post zum Wahlbüro.

Musste der Wahlberechtigte bis 2008 triftige Gründe ins Feld führen, die am Wahltag sein persönliches Erscheinen im Wahllokal unmöglich machten, ist das seither überflüssig. Am 17. März 2008 wurde das Gesetz über die „Abschaffung der Antragsgründe für die Briefwahl“ beschlossen. So kann nun der Familienvorstand anhand des langfristigen Wetterberichts entscheiden, den Wahlsonntag lieber mit Mutter Natur als mit Vater Staat zu verbringen. Und er ordert rechtzeitig die Wahlunterlagen.

Christiane Friedrich bedauert das. Die Landeswahlleiterin von Baden-Württemberg hält das Wählen für einen ganz besonderen staatsbürgerlichen Akt, den man auch gemeinsam, im besonderen Rahmen eines Wahllokals vollziehen sollte. Für diese, unter sehr turbulenten Vorzeichen stehende Landtagswahl in Baden-Württemberg registrierte sie bereits am Freitag, dem letzten Tag, an dem Briefwahlunterlagen beantragt werden konnten, eine starke Zunahme dieser Wahlform. So seien 40 bis 50 Prozent mehr Unterlagen angefordert worden als am Freitag vor der letzten Landtagswahl 2006. Das lässt die Baden-Württemberger auf eine höhere Wahlbeteiligung als damals hoffen – da hatten nur 53,6 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Es war die niedrigste Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen seit Gründung des Landes. Nachfragen in den großen Städten Mannheim, Karlsruhe und Heidelberg bestätigen diesen Trend.

In Freiburg, wo seit 2002 mit Dieter Salomon ein Grüner Oberbürgermeister ist, hat man in den vergangenen Tagen noch eine ganz andere Erfahrung gemacht. Beim Wahlamtsleiter meldeten sich „mehr als ein Dutzend“ Bürger, die nach den Ereignissen in Japan ihre Briefwahlunterlagen gern zurückgehabt hätten, um sie noch einmal zu revidieren. So etwas gab es bei früheren Wahlen überhaupt nicht, heißt es im Freiburger Rathaus. Es ist gleichwohl ein Ansinnen ohne jede Erfolgsaussicht. Da die Wahl anonym ist, wird der Name des Briefwählers ja auch nicht auf dem Kuvert vermerkt. Gewählt ist gewählt. Eine nachträgliche Stimmenänderung sieht das Wahlrecht nicht vor. Daran lässt Landeswahlleiterin Friedrich keinen Zweifel. Und fügt hinzu: „Des fang mer gar net erscht an.“

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