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Marine Le Pen, Vorsitzende des Front National in Frankreich.

© picture alliance / dpa

Immunisierung gegen Nationalpopulisten: Wie haben wir es hier gut!

In Deutschland gibt es weniger rechten Populismus als im Rest von Europa. Aber der wahre Test steht noch aus. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Amerika plagt sich mit einem Demagogen herum. Donald Trump, das tosende Ein-Mann- Event, verspricht das Blaue vom Himmel herunter, und eine blauäugige Wählerschaft findet das himmlisch. Wen Trump am liebsten alles ausweisen würde, lässt sich kaum noch erfassen, Millionen Mexikaner, Muslime, Verdächtige aller Art. Sein Slogan lautet: „Amerika zuerst!“ China will er finanziell in die Knie zwingen, und eine 2000 Meilen lange Mauer zur Abwehr von Einwanderern bauen lassen. Neben einem Trompeter wie Trump wirken die AfD-Leute hierzulande wie Straßenmusiker an der Mundharmonika.

Frankreich plagt sich mit einer Demagogin herum. Mit Marine Le Pen, Tochter des ebenfalls berüchtigten Jean-Marie Le Pen. Zum Arsenal ihrer Argumente gehört der originelle Slogan „Franzosen zuerst!“, verbunden mit Forderungen nach mehr Sozialleistungen für Franzosen als für Nichtfranzosen. Von internationalen Clubmitgliedschaften will der „Front National“ das von Streiks und Arbeitslosigkeit geschüttelte Land abmelden, es soll raus aus der Euro-Zone, aus der Nato, aus dem Schengen-Abkommen. Zwar hat sich Le Pen von offenem Antisemitismus und Rassismus vordergründig distanziert, ihre nationalistische Botschaft bleibt klar lesbar. Sie erntete bei Regionalwahlen im März ein Viertel aller Stimmen.

Eine große Koalition bündelt die Kräfte der Zivilisierung

In Europa grassiert eine Epidemie des Nationalismus, dessen neue Virusmutante aus Abschotteritis und Europhobie. Besonders schlimm wurde Österreich befallen, wo unlängst fast die Hälfte der Wählenden einen Rechtspopulisten als Präsident wollte. In den Niederlanden kassiert die Partei für die Freiheit ein Drittel der Stimmen ein, mehr noch Polens neue Nationale Rechte, erheblichen Wähleranteil greift auch die Ukip in einem Großbritannien ab, das sich vor dem Brexit sieht. Italiens Lega Nord kommt auf 15 Prozent, Ungarns radikale Jobbik-Partei liegt bei 26 Prozent, die ebenfalls nationalistische Fidesz des amtierenden Premiers Viktor Orban ergattert bei solcher Stimmung über 40 Prozent Zustimmung. An die erschreckenden Mehrheiten populistisch-nationalistischer Regierungsrüpel wie Putin in Moskau und Erdogan in Ankara muss man nicht erst erinnern.

Wie haben wir es hier gut! Die Leute mit der Mundharmonika erreichten mit ihren nationalpopulistischen Melodien nach jüngsten Umfragen acht Prozent applaudierende Zuhörer in Berlin, zehn Prozent in Bayern und 18 bis 20 in Mecklenburg- Vorpommern, Brandenburg und Sachsen- Anhalt. Die Bundesrepublik scheint besser demokratisch immunisiert als die meisten anderen Länder im Umfeld, sie erntet, will es scheinen, die Früchte jahrzehntelanger Aufklärung und historischer Aufarbeitung der Katastrophen der Vergangenheit. Auch ist die Arbeitslosigkeit so niedrig wie zuletzt vor einem Vierteljahrhundert, und die Integration von Neuankömmlingen wird öffentlich komplex debattiert. Eine große Koalition bündelt die Kräfte der Zivilisierung, den demokratischen Mainstream. Noch.

Dieser Cocktail verwässert, vergiftet Realitätssinn wie Kompromissfähigkeit

Auf dem Kohäsions-Index für Europas Union, den die Mercator-Stiftung mit dem European Council on Foreign Relations erstellt, sieht man Europas Teile auseinanderdriften, aber auf nahezu jeder Grafik leuchtet „Germany“ als stabile Mitte. Sorge überwölbt dennoch die Analyse: Die bröselnde Kohäsion schaffe derzeit kein gemeinsames politisches Kapital für Europa, keine Basis für gemeinsames Handeln, lautet das Fazit. Trotz wirtschaftlicher Interdependenz, trotz der Brüsseler Subventionen – von europäischer Solidarität wollen die Mitglieder, die sich von reaktionären Magneten anziehen lassen, im Moment nichts wissen. Umso klarer sollte den Wegdriftenden vor Augen gehalten werden, auf welche Dilemmata Länder zusteuern, wenn sie Nationalwahn als Treibstoff nutzen.

Vom wahnhaften Konstrukt einer genetisch definierbaren „Volksgemeinschaft“ musste sich die Bundesrepublik ab 1949 schrittweise lösen. Möglich wurde das nur durch die zunächst von den West-Alliierten angeschobene Konfrontation mit dem Verdrängten, mit Schuld und Verbrechen, bis schließlich innerstaatlich sogar der Konsens für ein Holocaust-Mahnmal in der Mitte der Hauptstadt entstand. Demokratisches Bewusstsein seiner selbst konnte sich durchsetzen gegen Verdrängung und Verleugnung. Überall, wo derzeit Nationalisten massiven Zulauf finden, sind Demokratie und Recht sekundär gegenüber posttraumatischen Abwehraffekten wie Größenwahn und der Pose beleidigter Opfer. Dieser Cocktail verwässert, vergiftet Realitätssinn wie Kompromissfähigkeit. Doch auch unsere relativ wirksame Impfung gegen solchen Wahn muss ständig aufgefrischt werden. Irgendwann werden auch hier die Splitter eines Anschlags in die Öffentlichkeit fliegen. Auf diesen Tag sollten alle Parteien, die aktuell im Parlament vertreten sind, gefasst sein, klar vorbereitet mit klarem Plan für das akute Reagieren wie für das politische, das kommunikative Reagieren. Der Tag wird kommen, und er wird ein Test sein für das Land. Für Tests kann man lernen.

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