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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lauscht der Orientierungsdebatte zu einer SARS-CoV-2-Impfpflicht im Bundestag teil.

© Kay Nietfeld/dpa

So verlief die Impfpflicht-Debatte im Bundestag: Scholz kommt zu spät und schweigt – Lauterbach kämpft

In der Ampel-Koalition sehen einige einen Vorsprung für das Impfpflicht-ab-18-Lager. Die Union mauert - und die AfD pöbelt.

Olaf Scholz hat die Kehrtwende bei der Impfpflicht angestoßen. Er wird nicht müde, das zu betonen. Aber nun schweigt der Kanzler in der Orientierungsdebatte des Bundestages. Und kommt erstmal auch noch zu spät. Erst im Laufe der einleitenden Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die um eine „faire, respektvolle, konstruktive Debatte“ bittet, erscheint der Kanzler als letzter auf der Regierungsbank.

Zunächst hatte er sie ausgeschlossen, dann pries Scholz die Impfpflicht als Allheilmittel gegen weitere Varianten. Wer sich nicht impfen lasse, entscheide auch über das Schicksal anderer Menschen.

Es ist das Eingeständnis der Politik, dass sie die Menschen nicht genug überzeugen konnte. Eine neue, 60 Millionen Euro teure Impfkampagne der Regierung („Impfen hilft – auch allen, die Du liebst“) erntet Spott. Gefragt wird, ob das Geld nicht besser in Bratwürste und Bier für Impflinge angelegt wäre.

Der Kanzler sieht keine Spaltungen im Land, aber das Thema polarisiert, eben weil die Omikron-Welle den Übergang in eine Endemie einleiten könnte. Draußen ist der Bundestag hermetisch abgeriegelt, Wasserwerfer haben sich in Stellung gebracht, Polizeiboote patrouillieren auf der Spree. Bloß keine Erstürmungsversuche am Reichstag riskieren wie 2020. Aber letztlich kommen viel weniger als erwartet.

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 Lauterbach beschäftigt sich mit Wagenknecht

Wer gar nicht erst auf der Regierungsbank sitzt, ist Karl Lauterbach. Der zuletzt wegen der kurzfristigen Verkürzung des Genesenen-Status auf drei Monate unter Druck geratene Gesundheitsminister will wie Scholz keinen eigenen Regierungsentwurf vorlegen. Nun sitzt er in der SPD-Fraktion – sozusagen als normaler, nur seinem Gewissen verpflichteter Bundestagsabgeordneter.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach verfolgte die Debatte in der SPD-Fraktion, oft war er aber mehr mit seinem Telefon beschäftigt.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach verfolgte die Debatte in der SPD-Fraktion, oft war er aber mehr mit seinem Telefon beschäftigt.

© Michele Tantussi/REUTERS

Die meiste Zeit hängt er tief gebeugt über seinem Smartphone, schickt via Twitter Genesungswünsche an Sahra Wagenknecht (Linke), die sich nicht impfen lassen will und nun an Covid-19 erkrankt ist.

Derweil wettert der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge: „Die Debatte hätte man auch schon vor Weihnachten führen können.“ Er kritisiert das Verfahren der Gruppenanträge. Drei sind bisher bekannt. In Koalitionskreisen wird dem Antrag auf eine komplette Ablehnung keine Chance gegeben, somit könnte es zu einer Entscheidung zwischen einer Impfpflicht ab 18 oder erst ab 50 kommen - die Union will aber noch einen eigenen Antrag vorlegen - der ist die "Black Box".

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Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner - uneins, ob und welche Impfpflicht es geben soll.
Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner - uneins, ob und welche Impfpflicht es geben soll.

© Geisler-Fotopress

 Die Union sagt nicht, was sie plant

Was sie will? Unklar. Damit führt die Union die Regierung, die eben keinen Vorschlag macht, etwas an der Nase herum, weil das den Ausgang unsicherer macht. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) spießt das wiederum so auf. „Die Orientierungsdebatte macht Sinn, denn die Union sucht ja noch.“ Führende Unions-Ministerpräsidenten wie Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst pochen dagegen klipp und klar auf eine Impflicht ab 18.

Der CDU-Politiker Sorge wettert Richtung Scholz, die Ampel ducke sich weg. „Man spielt Verstecken und hofft darauf, dass irgendwer ein Konzept für eine Impfpflicht vorlegt.“

Statt großen ethischen und medizinischen Fragen setzen sich an vielen Stellen die Schuldzuweisungen und der Streit um das Verfahren fort, wie auch Lauterbach bemängelt - mit einem weiteren Twitterbeitrag während der Debatte.

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Bewusst wird gerade auch Neulingen im Bundestag Raum gegeben, ihre Argumente darzulegen, es gibt viele Premierenreden. Eine Sternstunde des Parlaments ist es aber nicht, viele Argumente wirken ausgetauscht. Die faktische Ausgangslage: Unter den 69,4 Millionen Erwachsenen sind laut Robert Koch-Institut (RKI) noch 15 Prozent nicht geimpft. 42,2 Millionen Menschen (50,8 Prozent) aller Bürger sind bereits geboostert.

Sie haben also meist drei Spritzen bekommen und damit alle empfohlenen Impfungen. Das hört sich viel an. Aber in ihrer ersten Rede betont die designierte neue Grünen-Chefin Ricarda Lang: „Wir brauchen eine verdammt hohe Impfquote.“ Sonst komme man aus diesem Teufelskreis von Öffnen und Einschränkungen nicht heraus. Immer wieder wird vor allem sie von AfD-Abgeordneten beschimpft, „Lüge“ schallt es ihr entgegen, als Lang vehement für die Pflicht wirbt.

Lauterbach redet ganz am Ende - und zwar Klartext

Erst als drittletzter Redner wird aus der SPD-Fraktion "der Abgeordnete Herr Professor Dr. Karl Lauterbach" aufgerufen. "Mein Haus arbeitet allen Anträgen zu, auch denen die mir persönlich nicht gefallen", betont der Minister - damit begründet er auch, warum er aus Neutralitätsgründen keinen eigenen Antrag vorlegen will.

Aber was er will, wird schnell klar. Viele glaubten ja, dass die Omikron-Variante quasi eine ausreichende Impfung sei, Das ist leider nicht so." Man komme nicht weiter, "wenn wir das Problem von uns wegschieben".

Handeln sei wichtig, und zwar jetzt, sonst sei man nicht für den Herbst gerüstet. "Wir müssen handeln." Es könnten sich wieder ganze neue Variantenkombinationen bilden, Lauterbach kämpft - auch für Scholz, der da aber schon lange weg ist. „Die Freiheit gewinnen wir durch die Impfung zurück. Die dreifache Impfung ist der sichere Weg, diese Freiheit zurückgewinnen.“

Option1: Impfpflicht ab 18

Die Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther wirbt an diesem Tag - stellvertretend auch für Lauterbach und Scholz – als eine der ersten für eine Impfpflicht ab 18 Jahren. „Impfen ist ein Privileg", sagt die Bremer Medizinerin. Die Impfpflicht ab 50 Jahren lehnt Kappert-Gonther ab, da sie nicht die Breite der Gesellschaft schütze. „Auch bei jüngeren Leuten gibt es schwere Verläufe.“

Der Antrag soll der verkappte Regierungsantrag werden, zumindest aus SPD-Sicht. Zur berufsbezogenen Impfpflicht, die ab Mitte März unter anderem für Pfleger, Ärzte und Sanitäter greift, legte die Vorgängerregierung, der Scholz als Vizekanzler angehörte, einen eigenen Entwurf vor, nun ist es für ihn eine Gewissensfrage.

Das soll kaschieren, dass gerade in der FDP rund 40 Abgeordnete - so wird in der SPD geschätzt, eine Impfpflicht ablehnen könnten. Scheitert dieser Antrag wäre es auch eine Niederlage für Olaf Scholz. Er wurde initiiert von einer Gruppe um SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, den

Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen und Katrin Helling-Plahr von der FDP. Der Entwurf soll in Kürze vorgelegt werden; die Impfpflicht soll befristet werden, im Gespräch ist ein Zeitraum für die Impfpflicht von maximal zwei Jahren. Sie soll für drei Dosen gelten, und bußgeldbewehrt sein.

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Option 2: Impflicht ab 50

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat Sympathien für eine Impfpflicht ab 50, wie es sie in Italien gibt - er argumentiert, dass vor allem hier schwere Verläufe drohen. Aber er plädiert auch dafür, zunächst Alternativen zu einer Pflicht zu prüfen. In der Debatte verteidigt Buschmann, der als Initiator der Idee von Gruppenanträgen ohne Fraktionszwang gilt, das Format: „Es gilt nicht die Logik der Macht, es gilt die Kraft des Arguments.“

Es gehe um den Schutz des Gesundheitswesens. "Die Intensivstationen und Krankenhäuser müssen vor der Überlastung geschützt werden". Verantwortlich für den Antrag ist eine Gruppe um den FDP-Parlamentarier Andrew Ullmann. Wer jünger als 50 ist und nicht vorerkrankt, belaste die Krankenhäuser nur wenig, argumentiert der Arzt.

Beide Juristen, beide sehen die Impfpflicht kritisch: Wolfgang Kubicki, FDP, und Gregor Gysi, Linke.
Beide Juristen, beide sehen die Impfpflicht kritisch: Wolfgang Kubicki, FDP, und Gregor Gysi, Linke.

© imago images/Political-Moments

Ullmann will ein Stufenmodell: Zunächst sollen alle ab 18 ein verpflichtendes Beratungsangebot erhalten, dafür wird ihnen ein Terminangebot übermittelt. Danach sollen sich die Betroffenen freiwillig impfen lassen können. Sollte sich in einer vorgegebenen Zeit nach der verpflichtenden Aufklärung eine erforderliche Impfquote nicht einstellen, muss im zweiten Schritt ein Impfnachweis ab 50 Jahren folgen.

Option 3: Keine Impfpflicht

„Das ist eine Schande, was hier passiert", ruft AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla. Wegen der Impf- und Genesenenregeln würden viele Bürger ausgesperrt. Der Umgang mit dem Grundgesetz werde immer schamloser, über Nacht werde der Genesenen-Status von sechs auf drei Monaten gekürzt. Noch eine Spur schriller ist Alice Weidel: „Unser Land steht an der Schwelle eines beispiellosen Sündenfalls.“ Großer Beifall oben auf der "Seuchentribüne", auf der über 25 AfD-Abgeordnete sitzen müssen, da sie die 2G-Plus-Regeln im Plenum nicht erfüllen. Wortführer für den entsprechenden Ablehnungsantrag ist der stellvertretende FDP-Chef Kubicki.

Der Bundestagsvizepräsident verweist auf ungeklärte Fragen zur Schutzdauer und Schutzumfang einer Impfung. Die Impfpflicht sei ein „tiefer Grundrechtseingriff“. „Weder droht ein Kollaps des Gesundheitssystems“, noch helfe eine Impfpflicht gegen die Omikron-Welle.

Zusätzliche Argumente liefern der Gruppe die Erkenntnisse, dass Omikron auch viele Dreifach-Geimpfte trifft. Wenn Impfungen davor nicht schützen, was soll eine Pflicht dann bringen? Das Gegenargument lautet, dass die Impfung nachweislich vor schweren Verläufen schützt.

Zu der Gruppe gehört auch der Linke-Abgeordnete Gysi - das ist der Vorteil des Verfahrens, ohne Fraktionszwang, quer über politische Lager kann nach den eigenen Überzeugungen entschieden werden. Gysi warnt vor einer Vertiefung der Spaltungen in der Gesellschaft. „Weil Impfen wichtig ist, müssen wir einen anderen Weg gehen: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!“ Sonst werde die Demokratie "immer mehr Schaden nehmen."

Der Zeitplan - und wie es nun weitergeht

Nach Tagesspiegel-Informationen soll es Mitte Februar die erste Lesung der Gruppenanträge geben, auch wegen Karneval gibt es in dem Monat nur eine Sitzungswoche. Am 16. oder 17. März finale Entscheidung im Bundestag, dann mögliche Sondersitzung des Bundesrats am 18. März - denn die nächste reguläre Sitzung wäre erst am 8. April.

Wenn das Gesetz vom Bundespräsidenten unterzeichnet ist, könnte es umgehend in Kraft treten. Als Übergangszeitraum, indem ungeimpfte Bürger Zeit für das Impfen bekommen, wären beim Antrag für eine Impfpflicht ab 18 wahrscheinlich drei Monate vorgesehen, so dass ab Mitte Juni, Anfang Juli die Pflicht greifen könnte. Ab dann würden also Sanktionen drohen. Bei der Höhe der Bußgelder wird von Abgeordneten auf bis zu 2500 Euro bei der Masernimpfpflicht verwiesen.

Impfregister ja oder nein?

Besonders strittig ist noch, ob ein Impfregister, also eine Art Impfdatenbank eingeführt wird, um Impfverweigerer oder Impfskeptiker gezielt erfassen zu können - das wäre zum einen aufwendig und dürfte eine Einführung der Imppfplicht verzögern. Zum anderem gibt es Datenschutzbedenken. Vor allem aus der Union gibt es aber Forderungen nach einem Register. Auch in der SPD gibt es Befürworter. "Ohne ein solches Register bleiben Fälschern Tür und Tor geöffnet", sagt zum Beispiel die SPD-Politikerin Martina Stamm-Fibich. "Wir brauchen bessere Daten, wir brauchen ein zentrales Impfregister."

Viele Fragen sind noch offen - aber die Tendenz geht in Richtung einer Impfpflicht; am Ende einer über dreistündigen Debatte betonte Bundestagsvizepräsidentin Katrin-Göring-Eckardt: "Genießen Sie die Abendstunden und die gewonnenen Einsichten."

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