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Politik: In aller Ruhe

Terrorismusexperten warnen Politiker vor Aktionismus – und fordern langfristige Strategien

Berlin - Der Terror hat Deutschland erreicht – darüber sind sich die Experten einig. Doch in der Frage, wie das Land und die Bundesregierung damit umgehen sollen, gehen die Meinungen auseinander: Die Vorschläge reichen von Rail-Marshalls über eine Anti-Terror-Datei über die Kofferkontrolle an Bahnhöfen bis hin zur verschärften Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen. Einigkeit herrscht allerdings in einem Punkt – der Forderung nach Besonnenheit statt Aktionismus.

„Ich rate dringend zur Ruhe“, sagt Kai Hirschmann vom Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Für den Wissenschaftler darf der Terrorismus im Land nicht mit „hektischen Einzelmaßnahmen“ bekämpft werden, sondern erfordert eine „nationale Strategie“. „Nach jedem Terroranschlag – sei es in London oder Madrid oder auf deutschen Bahnhöfen – gehen die Forderungen immer wieder erneut los“, sagt Hirschmann. „Das wird uns auf Dauer aber nicht weiterführen.“ Statt in Aktionismus zu verfallen, müssten sich Politik und Gesellschaft fragen, warum bestimmte Menschen überhaupt bereit seien, Terroranschläge in Deutschland zu verüben. „Es geht um die Ideologie des Dschihad“, sagt Hirschmann. „Und darum, wie wir Menschen davon abbringen, sich von dieser Ideologie leiten und als Terroristen anwerben zu lassen.“ Eine nationale Strategie gegen den Terrorismus müsse auch soziologische Ursachenforschung und juristische Aspekte wie die strafrechtliche Verfolgung von terroristischer Propaganda beinhalten.

Um einen sinnvollen Rahmen für die Terrorbekämpfung zu schaffen, fordert Hirschmann einen Workshop, an dem die politischen Parteien, Polizei und Geheimdienste, Politologen und Soziologen gemeinsam an einem Tisch sitzen. Eine langfristige Strategie müsse auf 15 bis 20 Jahre angelegt sein. Klassische Machtinstrumente wie Militär, Polizei und repressive Diplomatie seien dagegen fehl am Platze. „Sie können mit Gewehren keine Ideen aus dem Kopf schießen. Im Zweifelsfall treiben Sie damit mehr Leute auf die Seite der Terroristen, als sie aus dem Verkehr ziehen“, sagt der Wissenschaftler. „Die Amerikaner haben im Irak genau diese Erfahrung gemacht.“

Auch Politologe Ulrich Schneckener von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält es nicht für sinnvoll, vorschnell über konkrete Maßnahmen zur Terrorbekämpfung zu diskutieren. „Mich stört besonders, dass sich zurzeit sehr viele Politiker zum Thema äußern, ohne dass wir alle Fakten kennen“, sagt Schneckener. „Insofern kann man aus dem konkreten Fall noch keine sinnvollen Rückschlüsse auf Anti-Terrormaßnahmen ziehen.“ Viele Vorschläge täuschten zudem Handlungsfähigkeit und Aktionismus vor, obwohl jeder wisse, dass die Verabschiedung und Umsetzung neuer Gesetze und Maßnahmen Zeit brauche. „Diese Debatte stärkt mehr diffuse Ängste, als zur Sachlichkeit beizutragen“, sagt der Wissenschaftler.

Für den Terrorexperten Rolf Tophoven liegt die Zukunft der Terrorismusbekämpfung in der effizienten Kooperation der internationalen Geheimdienste. Zudem müsse in Zukunft gewährleistet sein, dass die Polizei auf Informationen der Nachrichtendienste zurückgreifen könne. Ansonsten müsse die Politik dafür sorgen „Panik und Hysterie in der Bevölkerung zu vermeiden“. Maßnahmen wie die Intensivierung der Videoüberwachung oder der Aufbau einer Anti-Terror-Datei seien sinnvoll. Von einer Komplettüberwachung der deutschen Bahnhöfe hält Tophoven dagegen nichts: „Damit wäre der Bahnverkehr vollständig lahmgelegt.“

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