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Politik: In dem neunzig Kilometer nördlich von Berlin liegenden Wallmow liegen NPD und Grüne vorne

Stefan (Name geändert) hat ein Problem, für das es keine Lösung gibt. Er selbst beschreibt seine Lage als "hilfloser Fall - Akte geschlossen".

Stefan (Name geändert) hat ein Problem, für das es keine Lösung gibt. Er selbst beschreibt seine Lage als "hilfloser Fall - Akte geschlossen". Stefan lebt in einem 300-Einwohner-Dorf in der Uckermark, rundherum gibt es nur "Nazis", alle seine Freunde sind in Berlin, sämtliche Computermonster erschossen. Stefan ist vierzehn. Und das ist zu früh für ein Moped, sagt seine Mutter.

Vor genau einem Jahr zog Stefan mit seiner Mutter und den beiden Brüdern nach Wall-mow. Sie gehören in dem Dorf zu den letz-ten Neuzugezogenen, alle anderen leer ste-henden Häuser waren längst an Berliner verkauft. Die Einheimischen dagegen zieht es eher in einen Neubau. Zwischen Berlin und Wallmow besteht eine direkte Verbindung. Viele Zugezogene kommen aus Mitte, aus der Niederkirchnerstraße. Sie haben sich hier alte Bauernhäuser angeschafft, lassen sich aber Zeit mit dem Renovieren, wollen keine Gardinen und streichen die Häuser anders als die Einheimischen. "Das Unkraut wächst bis in die Fenster", regen sich die Wallmower auf, und als die Mutter von Stefan ein buntes afrikanisches Tuch aus Zeiten ihrer Entwicklungsarbeit vors Fenster hing, schimpfte ein Wallmower, "das käme mir nicht mal vor die Hundehütte".

In dem kleinen Dorf in der Uckermark prallen die Gegensätze aufeinander. Die Konflikte könnten auch überall anders in Deutschland stattfinden, nur fallen sie hier extrem aus. Die Lage ist recht übersichtlich und trotzdem verworren. Die Zugezogenen verbreiten eine Siebziger-Jahre-Atmosphäre, die alten Wallmower dagegen wollen, dass alles so bleibt, wie es immer war. Eine abgeschottete Dorfgemeinschaft. Nirgendwo sonst in dieser Region wurden bei der letzten Bundestagswahl so viele Stimmen an NPD und Grüne vergeben. Dabei ist es kein klassischer Ost-West-Konflikt, sondern viele der Zugezogenen stammen aus dem Osten. Sie erfüllen sich hier ihren Traum vom anderen Leben. Die Dorfbewohner allerdings stehen daneben und finden "alles irgendwie überkandidelt".

Die Neuen veränderten das Dorf, wie es ihnen gefällt. Es gibt jetzt Windkraftanlagen, pflanzliche Kläranlagen, eine ökologisch arbeitende Drechslerei baut Spinnräder, zwei Biohöfe wurden errichtet. Außerdem gibt es eine freie Schule, die gerade 140 000 Mark von der Robert-Bosch-Stiftung bekam, einen freien Kindergarten, seit einiger Zeit haben sie sogar ihre eigene Kneipe. Und zur Belohnung für all die alternativen Projekte wurde an die Neuen sogar der brandenburgische Umweltpreis verliehen. Die letzte Domäne der Einheimischen ist der Angelverein.

Karen Müller ist eine der Zugezogenen. Vor acht Jahren kam sie nach "Transuckeranien", wie die Szene ihren Landstrich, 90 Kilometer nördlich von Berlin, nennt. Die junge Frau mit den vielen Sommersprossen auf der Nase sitzt zwischen Gerümpel und Bausand auf ihrer Terrasse, ihre beiden Kinder spielen mit dem Gartenschlauch. Acht mal hatte sie im vergangenen Jahr die Polizei auf dem Grundstück, weil Freunde trommelten oder nachts laut lachten. Zwei Wochen nach ihrer Ankunft gab es den ersten Ärger. Ihr alter Nachbar soll ihr eine gescheuert haben. "Haut ab, wir wollen euch nicht", brüllte er. Über die Geschichte mit der Backpfeife gibt es unterschiedliche Versionen: Der Alte trinke mal einen, aber jähzornig sei er nicht, heißt es. "Ich bin keine Rassistin", sagt Karen Müller, "aber mit den Uckermärkern komme ich nicht klar." Sie erinnert sich noch an die Zeiten, als sie jeden Tag ein Blech Kuchen backte und die Alten bei ihr saßen. Jetzt glaubt sie, dass die anderen "Rassisten" sind, die seien "verbohrt und verbissen, wollen ihre Vorurteile behalten". Manchmal vermutet sie, dass sie es gar nicht aushalten, mitanzusehen, wie gut es den Neuen geht, wie sie ein lockeres Leben führen, Kinder kriegen, auch noch Geld verdienen. "Das kennen die doch gar nicht."

Das mag stimmen - und tut den Einheimischen trotzdem Unrecht. Denn die Veränderungen kamen schnell, schneller wohl als in jedem anderen Dorf im Westen der Republik. In Wallmow gab es nur ein paar Jahre, zu wenig für ein Dorf, in dem es jahrzehntelang keine Veränderungen gab.

Die Gardinenfrage trennt die Welten. Viele der Einheimischen dachten lange, die Neuen hätten kein Geld für die hübsch ge-rafften Stores. Erst als ein Bankdirektor in das Dorf zog und auch keine Gardinen an-brachte, war endgültig klar, dass es wohl nicht am Geld liegt. Wir haben uns daran gewöhnt, sagen die Einheimischen, "aber schön finde ich das nicht", meint Heike Rie-mers. Sie sitzt mit ihrer Freundin in der Dorfgaststätte und packt Gewinne für das Dorffest ein: Fußballtrikots, Fußballschals, Knieschützer. Wir haben nichts gegen die Berliner, sagen die beiden, und dann folgt jedes Mal ein langes Aber. Heike Riemers glaubt, dass es inzwischen das Beste ist, den Mund zu halten. "Die setzen sowieso durch, was sie wollen, sehen Sie ja an der freien Schule." Nein, das ist nichts für sie, Kinder als Gleichberechtigte anzusehen, "da tanzen ihnen die Gören auf der Nase rum".

Einer der Unterstützer der Schule ist der Biobauer Peter Wendt. Er kommt aus dem Westen. Mit seinem verschmitzten Lächeln und der Topfschnitt-Frisur sieht er gutmütig aus, dabei ist er ein Macher. Sein Lebensmotto könnte lauten: Geld verdienen, gut sein. Nur wenn er über die Wallmower redet, wird der sonst gelassene Mann deutlich. Er glaubt, dass viele im Dorf die Wende nur im Fernsehen gesehen haben, in den Köpfen habe sich nichts getan. Das klingt nach Resignation. Die Welten sind zu unterschiedlich. Aber Wendt ist nicht der Typ, der aufgibt, sonst hätte er nicht jahrelang in ungeheizten Zimmern gehaust, unendliche Diskussionen geführt und seine Familie nachgeholt. Denn Wendt ist Alt-Wallmower.

Laut Grundbuch begannen seine Vorfahren 1688 in dem Dorf zu wirtschaften. Mit seinem Kleine-Jungen-Grinsen erzählt er, wie er als Kind immer hörte, dass Wallmow seine wahre Heimat sei, der elterliche Hof in Berlin nur ein Zwischenstadium, bis man wieder zurück könne. 1991 war es dann soweit, er folgte einem Aufruf, für den Aufbau des Kirchturms zu spenden. Einige Ältere fragten sofort, "wann es wieder losgeht". Damit begann der Konflikt, der bis heute das Dorf spaltet. Ganz Wallmow trennte sich in Befürworter und Gegner. Entweder man war für Wendt oder gegen ihn. Damals begann es auch, dass ehemalige Kollegen von der alten LPG sich nicht mehr grüßten, sondern die Straßenseite wechselten.

Wendts Familie war enteignet worden, er kaufte die Flächen von der Treuhand zurück, und die Mitglieder der alten LPG "Banner des Friedens" versuchten gleichzeitig, ihren Betrieb in die Marktwirtschaft zu retten. Aber die alte Mannschaft erwies sich als zu stoisch und unflexibel, am Schluss blieb nur die Abwicklung. Die Flächen sollten auf keinen Fall Wendt in die Finger geraten. Lieber sterben lassen, als dem was zu geben: Das war die Devise. So wird auch ansonsten im Dorf Politik gemacht. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Bürgermeister auch deshalb auf seinem Posten sitzt, weil er einer von ihnen ist und sich niemand anders fand. Nur eine Berlinerin, aber die wollte man erst recht nicht. Heute bewirtschaftet der Ökohof "Land in Sicht" die alten LPG-Felder, und Wendt ist der Geschäftsführer.

"Wir sollen da nicht durchblicken", wettert Gerhard Siebert, eines der alten LPG-Mitglieder. Natürlich hat er nichts gegen die Neuen, und dann folgt das obligatorische Aber. Es wurmt ihn, dass er nicht ausbe-zahlt wurde wie in den Genossenschaften der Umgebung, dass in seinem Garten das Unkraut schießt von dieser "Bioscheiße". Wer wollte es ihm verübeln, rundherum wird auf den Kopf gestellt, was er immer für richtig hielt. Sieberts Garten ist eine weitge-hend gepflasterte Fläche, die Hollywoodschaukel steht direkt neben dem gewienerten Neuwagen. Seine Frau reicht Kaffee, dazu Milchweißer. Siebert war zwischendurch in diversen ABM-Projekten, schnitt Bäume, mähte Rasen. Vor kurzem konnte er einen Job als Fernfahrer bekommen, aber weil die Firma ihm nicht garantieren konnte, dass er jedes Wochenende frei haben würde, lehnte er ab.

Lola ist froh, dass er erst nach dem "furchtbaren Zank" nach Wallmow kam. Lola heißt eigentlich Frank Schröter, aber so nennt ihn keiner. Der große kräftige Mann mit dem langen Pferdeschwanz sitzt im Dorf zwischen allen Stühlen. Er ist Tischler. Harte körperliche Arbeit gilt hier etwas, und am Ende des Tages riecht er genauso wie die Dörfler. Jetzt ist das Ende des Tages. Lola stellt selbstgepressten Apfelmost und Mineralwasser auf den Tisch. 1995 zog er mit zehn anderen in das große Haus mitten im Dorf, hinten zum Hof sind alle Fenster bunt gestrichen, "weil es so viele Farbtöpfe gab".

Lola fühlte sich sofort wohl in Wallmow. Bis vor zweieinhalb Jahren, "da haben wir es hier mit der Angst zu tun gekriegt". Erst zündeten Neonazis den Einsiedlerhof eines Berliners an, die Feuerwehr fegte nur noch die Asche zusammen. Kurz danach überfielen rechte Jugendlichen einsam gelegene Häuser von zugezogenen Berlinern, zertrümmerten Autos mit Baseballschlägern und warfen Steine in Kinderzimmer. "Da dachten wir das erste Mal daran wegzugehen", sagt Lola. Aber "alles den Faschos zu überlassen" wäre für ihn eine Kapitulation gewesen. Also trat er gemeinsam mit einem Mitbewohner in die Feuerwehr ein, was ihm im Dorf endgültig das Ansehen verschaffte, einer der besseren Berliner zu sein. Seitdem ist es ruhig geblieben. Lola erzählt von einer Dorfversammlung, auf der die Einheimischen die Jugendlichen beschimpften: "Was nehmt ihr euch heraus, ihr Bengels." Das hat gewirkt, jedenfalls ist nichts mehr passiert. Trotzdem muss er sich Mühe geben, die "Glatzen" nicht allzu ernst zu nehmen. Manchmal glaubt Lola, es sei nur eine Mode, wie damals "AC/DC", und dass sie nur so werden, weil alle Jugendlichen so sind.

Wenn bloß der Kontakt nach außen nicht gewesen wäre. In diesem Punkt sind sich Einheimische und Zugezogene ausnahmsweise einig. Die "Jungs" von hier seien eigentlich harmlos, die anderen sind die Bösen. Die anderen, das sind die rechten Köpfe aus anderen Städten. Viele im Dorf wollen gesehen haben, dass es Treffen gab, dubiose Hintermänner auftauchten und die Jugendlichen beeinflussten. Der Ort liegt strategisch günstig an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern. Veranstaltungen können schnell von einem Bundesland ins nächste verschoben werden, und die Landespolizei steht hilflos daneben.

Ob es Kontakt zu rechten Organisationen gab, sagen die Jugendlichen nicht. Sie haben gehört, dass man gegenüber der Presse lieber den Mund halten soll. Vielleicht erfuhren sie das auf der großen NPD-Demo in Passau, wo einige von ihnen waren. Bei Veranstaltungen dieser Art schärft die Partei ihren Sympathisanten ein, sich ruhig zu verhalten, kein Wort an die Presse.

Abends um neun Uhr an der alten Waage. Hin und wieder knattern Trecker mit Vollgas heran, um ihre beladenen Hänger zu wie-gen. Einem der Neunzehnjährigen hängt, offenbar als Zeichen besonderer Zuneigung, die ganze Zeit ein Mädchen am Hals. Mit den "Grünen" haben sie nichts zu tun, wollen sie auch nicht, die mit "ihren Haaren bis zum Arsch und dem Knoblauchgestank". Einer glaubt, dass das alles Looser sind, Großstadtlooser. Warum sonst sollten die Ökofreaks so alte Rostlauben fahren? Nur der blasse Matthias, dessen Freundin mit 15 das erste Kind von ihm bekam, hat Kontakte zu den Ökos. Sein Chef ist der größte Arbeitgeber der Gegend, der Biobauer Wendt. Matthias bekam eine Lehrstelle bei ihm und wurde übernommen, obwohl es erst mit dem Schulabschluss nicht klappte und er dann zweimal durch die Lehrprüfung rasselte.

Manchmal redet der Bauer mit ihm. Matthias lässt das über sich ergehen. Aber beeinflussen? Keine Chance! In seinem Auto klebt seit neuestem ein Schild: "Landser - Deutsche Wut". Der Wagen steht jetzt tagsüber auf dem Biohof.

Silke Becker

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