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Politik: In den Haftanstalten machen sowohl Mafiabanden als auch linksextremistische Gruppierungen, was sie wollen - der Staat ist machtlos

Kommt nur rein, wenn ihr euch traut." Das Transparent, das die Gefangenen im Hochsicherheitsgefängnis Ümraniye hinter dem Stacheldraht gehisst haben, kündet von Hohn und Trotz.

Kommt nur rein, wenn ihr euch traut." Das Transparent, das die Gefangenen im Hochsicherheitsgefängnis Ümraniye hinter dem Stacheldraht gehisst haben, kündet von Hohn und Trotz. Doch die Polizisten und Soldaten draußen vor den Toren der Haftanstalt müssen es sich gefallen lassen. Wieder einmal sitzen sie am kürzeren Hebel, weil eine Erstürmung von Ümraniye den sicheren Tod für die Geiseln in einem halben Dutzend anderer Gefängnisse bedeuten würde. Alle wissen: In den 600 Haftanstalten der Türkei hat der sonst so übermächtige Staat wenig zu melden.

"Wir müssen uns eingestehen, dass der Staat nicht die volle Kontrolle über seine Gefängnisse hat", sagte bereits der damalige Innenminister Murat Basesgioglu nach dem Ausbruch eines berüchtigten Mafiabosses im vergangenen Jahr. Eine glatte Untertreibung: In den Haftanstalten machen sowohl Mafiabanden als auch linksextremistische Gruppierungen, was sie wollen. Und wenn der Staat eingreifen will, wird mit koordinierter Gewalt zurückgeschlagen.

So auch bei dem am Sonntag ausgebrochenen Aufstand in acht türkischen Gefängnissen. Die Sicherheitskräfte hatten Wind vom Plan einer Gruppe linksextremistischer Gefangener in der Ulucanlar-Haftanstalt in Ankara bekommen, einen Tunnel in die Freiheit zu graben. Zuvor hatten die Häftlinge ihre Zellen vergrößert, indem sie die Zwischenwände einrissen. Seit drei Wochen traten sie nicht mehr zum Zählappel an - der Massenausbruch schien unmittelbar bevorzustehen. Um drei Uhr morgens schickten die Behörden deshalb Soldaten ins Gefängnis. Doch aus der Überraschung wurde nichts. Hinter Barrikaden warteten bereits die Häftlinge. Acht Stunden lang dauerte das Gefecht, bei dem die Sträflinge nicht nur Molotowcocktails und Flammenwerfer, sondern auch Schusswaffen einsetzten. Am Ende konnten sich die Soldaten zwar behaupten - nach zwölf Toten und 20 Verletzten streckten die 80 verbliebenen Häftlinge die Waffen, während die Armee nur sechs Verletzte zu beklagen hatte. Doch der Staat hatte nur diese eine Schlacht gewonnen. Noch bevor die Meuterer überwältigt waren, nahmen ihre Genossen in sieben weiteren Gefängnissen rund 100 Wärter als Geiseln. Allein in diesem Jahr gab es mehrere solcher Meutereien, die sich meist gegen die Verlegung linksextremistischer Rädelsführer in andere Haftanstalten richteten.

Möglich wird die Koordinierung durch die moderne Technik - vor allem Mobiltelefone, mit denen die Häftlinge sich landesweit absprechen. Die Behörden sind machtlos dagegen. Erst in der vergangenen Woche machte sich die Istanbuler Justiz zum Gespött, als sie nach einer blutigen Schießerei zwischen zwei Mafiabanden im Hochsicherheitsgefängnis Bayrampasa einen Störsender am Wachturm anbringen ließ. Die Anwohner des dicht besiedelten Viertels liefen Sturm gegen die Entscheidung, weil sie nicht mehr erreichbar waren. Die Häftlinge jedoch gaben weiterhin telefonische Bestellungen bei ihren Mittelsmännern auf. Der Störsender war offenbar falsch ausgerichtet worden.

Hinzu kommen andere Probleme. Die Haftanstalten sind völlig überfüllt und daher schlecht kontrollierbar, die Justizbeamten sind unterbezahlt und entsprechend korrupt. In den meisten türkischen Gefängnissen werden die Insassen in schwer überschaubaren Massenschlafsälen zusammengepfercht, die die Vollzugsbeamten gegen den Willen der Häftlinge nicht betreten können. Die Gefangenen hausen oft unter unzumutbaren Bedingungen. So hatten die Meuterer von Ulucanlar nach Angaben ihrer Angehörigen schon seit Monaten vergeblich die Vergrößerung ihrer Schlafsäle gefordert, bevor sie schließlich selbst die Initiative ergriffen und die Wände einrissen.

Seit Jahren kündigt ein türkischer Justizminister nach dem anderen die Errichtung moderner Gefängnisse mit Dreier-Zellen an. Doch bei dem raschen Wechsel der Regierungen in Ankara kann mit dem Bau oft gar nicht begonnen werden. Die derzeitige Regierung wollte es deshalb umgekehrt versuchen und drückte eine Amnestie durch das Parlament, mit der rund die Hälfte der mehr als 60 000 türkischen Gefangenen freigelassen werden sollte. Weil die Amnestie aber nur für Kriminelle galt, während alle politischen Gefangenen hinter Gittern bleiben sollten, gab es so starke öffentliche Proteste, dass das Projekt auf Eis gelegt wurde.

Der Krieg um die Knäste geht also weiter. Und während sich am Montag vor Ümraniye die Einsatzkräfte sammelten, ließen die verbarrikadierten Linksextremisten über den Wachtürmen triumphierend die rote Flagge mit Hammer und Sichel aufsteigen.

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