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Politik: In der Enge

Lukaschenko hat die Wahl zwischen Abhängigkeit von Moskau und Reformen

Jetzt kann nur noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte helfen. Zu Hause sind alle Rechtsmittel erschöpft. Dieser Tage bestätigte der Oberste Gerichtshof Weißrusslands die im Mai ergangenen Urteile gegen mehrere Oppositionsführer, die bei den Präsidentenwahlen im Dezember gegen Amtsinhaber Alexander Lukaschenko kandidiert hatten. Sie und ihre Wahlkampfleiter bekamen hohe Haftstrafen wegen Anstiftung zu öffentlichem Aufruhr. In der Tat war es in der Wahlnacht zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Opposition und Ordnungskräften gekommen. Die Polizei soll jedoch provoziert haben.

Auch um die Freilassung politischer Gefangener geht es bei den Protesten, wo seit Anfang Juni jeden Mittwochabend in der Hauptstadt Minsk und anderen Großstädten Hunderte – meist Jugendliche – politische und wirtschaftliche Reformen verlangen. Ohne Transparente, schweigend und hin und wieder rhythmisch in die Hände klatschend. Auch diese Kundgebungen löst die Polizei stets mit brutaler Gewalt auf. Letzte Woche verhängte sie sogar ein Klatsch-Verbot. Denn bei Lukaschenko – Europas letztem Diktator, der die Zehn-Millionen-Republik seit 1994 mit eiserner Faust regiert – liegen die Nerven blank. Den drohenden Staatsbankrott vor Augen, fehlt ihm das Geld, sein Volk wie bisher mit bescheidenen sozialen Wohltaten ruhig zu stellen.

Zwei Auswege gibt es aus dem Dilemma. Für Lukaschenko eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Gibt er Moskaus Drängen nach und lässt Russland das Vorkaufsrecht bei der Privatisierung von Staatseigentum, kommt zwar frisches Geld in die Staatskasse. Gleichzeitig aber wird Weißrussland dadurch definitiv zu einer Halbkolonie, der die Regierung in Moskau keinerlei Gestaltungskompetenz lässt. Versucht er, den drohenden wirtschaftlichen Kollaps mit radikalen Reformen zu verhindern, zu denen sogar staatstreue Experten raten, verliert er nicht nur die umfassende Kontrolle über die Wirtschaft des Landes, sondern auch über dessen politische Entwicklungen. Denn Wirtschaftreformen können ohne politische Liberalisierung nicht greifen.

Risikofreudige Propheten sagen Lukaschenkos Sturz daher schon für Herbst voraus, wenn die Weißrussen ihre Rechnungen für Strom und Fernwärme nicht mehr bezahlen können. Doch wahrscheinlich wird sein Endkampf sehr viel länger dauern. Denn er dürfte – wieder mal – versuchen, Russland und den Westen gegeneinander auszuspielen. Beide, so das Kalkül, seien nach wie vor Erzrivalen beim Gerangel um geopolitischen Einfluss und würden ihre Interessenkonflikte zunehmend im postsowjetischen Raum austragen. Unter anderem mit Finanzhilfe für die UdSSR-Nachfolgestaaten. Vor allem Russland hat gute Gründe, den ungeliebten Partner weiter mit Steuergroschen zu alimentieren, die die Bürger Russlands bitterer nötig hätten. Im Vorfeld eigener Parlaments- und Präsidentenwahlen, bei denen demokratische Mindeststandards, wie sich bereits jetzt abzeichnet, erneut um Längen verfehlt werden , kann Moskau nichts weniger gebrauchen als eine Revolution direkt vor der eigenen Haustür.

Der Westen dagegen investiert in die Opposition – in der Hoffnung, ein demokratisches Weißrussland werde in die Nato drängen und Russland dadurch weiter in die Enge getrieben werden. Doch der Import der Demokratie scheiterte selbst in Ländern mit starker Opposition und entwickelter Zivilgesellschaft wie Georgien. Weißrussland fehlt beides. Neun Herausforderer Lukaschenkos bei den Präsidentenwahlen sind kein Beweis von Stärke seiner Gegner, sondern zeigen, wie hoffnungslos zerstritten sie sind.

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