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Politik: In der Freiheit - doch in der Nacht holt Familie Sopi die Angst wieder ein

BERLIN .Edona und Jehona probieren einträchtig die bunten Plastikautos und -puzzles aus, die vorhin eine Nachbarin vorbeigebracht hat.

BERLIN .Edona und Jehona probieren einträchtig die bunten Plastikautos und -puzzles aus, die vorhin eine Nachbarin vorbeigebracht hat.Fast zu einträchtig für acht und sechs Jahre alte Schwestern.Die dreizehnjährige Lindita, die "Große" der Sopis aus Prishtina, sitzt still daneben und guckt in den kleinen Raum, der der insgesamt sechsköpfigen Flüchtlingsfamilie als Wohnzimmer dient."Nachts wachen die Kinder immer auf und weinen", sagt Familienvater Mustafe Sopi, ein ehemaliger Polizeibeamter."Aber, ehrlich gesagt, auch wir haben Alpträume und Angstzustände."

Familie Sopi wurde in den letzten Märztagen von serbischer Polizei, paramilitärischen Einheiten und "unseren eigenen Nachbarn" aus ihrer Heimatstadt vertrieben.Die Odyssee bis zum Rettungsflug nach Berlin überstanden sie ohne bleibende körperliche Schäden.Aber das Trauma der Vertreibung sitzt mit auf dem Schlafsofa, auf dem die Mädchen spielen.Es sitzt mit am Tisch, an dem Mustafe Sopi stockend seine Geschichte erzählt.

Die Ungeheuerlichkeit, von einem Tag auf den anderen mit nichts als einem Rucksack voller Habseligkeiten in einen Deportationszug gezwungen worden zu sein, macht nicht nur die Sopis zu einer fast stummen Familie.Im Hohenschönhausener Flüchtlingsheim an der Gehrenseestraße sind knapp hundert der 220 Kosovo-Albaner untergebracht, die Berlin vor zehn Tagen aufgenommen hat.Obwohl am frühen Mittwoch abend noch viele Kinder und Jugendliche auf den langen Gängen und im Treppenhaus unterwegs sind, ist es seltsam ruhig im Haus.Der elfjährige Sohn der Sopis, Labinat, ist einer der Jungs, die unten am Treppenaufgang herumstehen.Sie beobachten die Männer am Telefon, den Wachschutzmann hinter seiner Glasscheibe und das Kommen und Gehen der wenigen Besucher.

Shkurte Sopi, eine dunkelblonde, blasse Frau Anfang dreißig, grüßt die Gäste mit einem sanften Händedruck und einem sehr müden Lächeln.Das Reden überläßt sie ihrem Mann, wenn schon "davon" geredet werden muß.Aber es geht um die Kinder, deshalb ist Mustafe Sopi bereit zum Gespräch.Die drei Männer am Tisch kommen nämlich vom Vorstand des albanischen Elternvereins Dituria e.V., der seit 20 Jahren in Berlin besteht.Mit Unterstützung der Ausländerbeauftragten des Senats organisieren sie jetzt muttersprachlichen Unterricht auch für die Flüchtlingskinder."Das wichtigste für die Kinder ist, daß sie weiter auf albanisch lernen, damit sie nicht alles vergessen haben, bis wir zurückkehren." Mustafe Sopi ist erstaunt und erleichtert, wie freundlich die Flüchtlinge aus der Fremde von den Berliner Behörden aufgenommen werden.Auch das abgelegene Hohenschönhausener Heim erscheint ihm als sicherer Zufluchtsort.Die hundert Kosovo-Albaner leben hier mit 700 Flüchtlingen und Asylbewerbern verschiedenster Nationen friedlich zusammen."Hier sind wir in einem demokratischen Staat, in Freiheit", sagt Sopi.Die Möglichkeit, eine deutsche Schule zu besuchen, sollen seine Kinder selbstverständlich nutzen, sagt Sopi."Es wird sie bereichern, die deutsche Sprache und Kultur kennenlernen", übersetzt Kadri Mulej vom Elternverein.Aber eine Zukunft sieht Sopi nur in der Rückkehr "in ein freies Kosovo".

Mustafe Sopi erzählt denn auch weniger eine Geschichte über die Flucht als eine des Widerstehens gegen die Vertreibung.Mitte März begannen die Drohanrufe der serbischen Nachbarn.Paramilitärische serbische Einheiten richteten in den unteren Etagen des Hochhauses, in dem die Sopis wohnten, einen Stützpunkt ein, nachdem sie albanische Familien aus ihren Wohnungen vertrieben hatten.Sie zogen für kurze Zeit zu seiner Schwester in den Keller und noch in zwei weitere Notquartiere, immer auf der Flucht vor marodierenden Banden.

Das Schicksal, sagt Sopi, war dann doch noch ein bißchen gnädig mit der Familie.Nachdem er erfuhr, daß zwei seiner Cousins "massakriert" wurden, entschloß er sich, die Familie in Sicherheit zu bringen.Sie stiegen in den von den serbischen Truppen bereitgestellten Zug von Prishtina zum mazedonischen Grenzort Blace.Zwei Tage und Nächte kampierten die Sopis im Niemandsland, bevor die Mazedonier sie unwillig ins Land ließen."Aber die ganze Familie hat es überlebt und ist zusammen", sagt Mustafe Sopi, und dieses eine Mal paßt wieder der ganze Mann zusammen.Ein kräftiger, freundlicher Typ in geblümtem Oberhemd und Jeans.Ein guter Familienvater, der mit seinen "Brüdern" über die albanische Erziehung seiner Kinder spricht.

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