zum Hauptinhalt

Politik: In die Verlängerung

Ein Kongo-Einsatz deutscher Soldaten über November hinaus ist gut möglich – auch wenn der Verteidigungsminister widerspricht

Für Verteidigungsminister Franz Josef Jung war das bei seiner Afrikareise vergangene Woche keine Frage: Eine Verlängerung des Kongo- Mandats der Bundeswehr über den 30.11. stehe nicht zur Debatte. „Ich gehe davon aus, dass wir die Situation so stabilisiert haben, dass es verantwortbar ist, auch nach vier Monaten den Auftrag hier zu beenden“, zitierte ihn die Nachrichtenagentur AFP aus Libreville. Dort sind knapp 500 deutsche Soldaten der insgesamt 2300 Mann starken Eufor-Mission der EU stationiert. Der bisher auf vier Monate angesetzte Einsatz dient der Absicherung der Wahlgänge zu den ersten freien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Kongo seit Jahrzehnten. In der jetzigen Phase, die Beobachter und Eufor-Vertreter gebetsmühlenartig als instabil bezeichnen, war Jungs Äußerung eine kühne Aussage.

Unter der Hand wundern sich Diplomaten sowie Vertreter deutscher und internationaler Organisationen in Kongos Hauptstadt Kinshasa über Jungs definitive Haltung. Viele halten es mit Chris Patten, früher EU-Kommissar für Außenbeziehungen, heute im Vorstand des angesehenen Thinktanks „International Crisis Group“. Der Brite schrieb in der Süddeutschen Zeitung: „Angesichts der Gewalt des vergangenen Monats sowie der bevorstehenden Stichwahl wäre es Wahnsinn, die EU-Operation wie geplant Ende November zu beenden. Die Europäer können dem Land kaum in dem Moment den Rücken kehren, der der kritischste in dem ganzen Drama sein wird.“ Ein leitender Mitarbeiter im Pariser Verteidigungsministerium sagt unter Bedingung von Anonymität: „Natürlich besteht die Möglichkeit einer Verlängerung.“ Ein EU-Beschluss zugunsten eine Mandats bis Januar ist nicht unwahrscheinlich.

Vielleicht hält sich Jung auch eine Hintertür offen: Beim Besuch der knapp 300 Bundeswehrsoldaten in Kinshasa am vergangenen Dienstag bekräftigt er zuerst „das Mandat von den UN und dem Bundestag bis zum 30. November und keinen Tag länger“. Doch dann schloss der Minister: Wer etwas anderes wolle, müsse sich um ein neues Mandat bemühen. Ob man das Verlängerung oder neues Mandat nennt, dürfte denen egal sein, die es neben der kongolesischen Bevölkerung am meisten betrifft: den Soldaten der Eufor.

Die Bewohner Kinshasas setzen große Hoffnungen in die Truppe, seit diese am 21. und 22. August gemeinsam mit den UN-Soldaten der Monuc die schweren Gefechte zwischen Garden der Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Bemba und Joseph Kabila in der Hauptstadt beendete. Der Einsatz hatte den willkommenen Nebeneffekt, die Eufor in Kinshasa weithin bekannt und beliebt zu machen. Denn auch mit der verbreiteten Fehlinformation ist es seither vorbei, die Europäer seien nur im Kongo, um Kabila im Amt zu halten. Bei den Kämpfen hatten Eufor und Monuc den in der Hauptstadt wesentlich populäreren Bemba vor Truppen Kabilas geschützt.

„Heute glauben nur noch neun Prozent, dass Eufor für Kabila ist“, zitiert der Chef der Eufor-Informationsabteilung, Ronald Kiesewetter, vor wenigen Tagen eine Umfrage unter 1000 Einwohnern. Der Major stimmt aber zu, dass die Informationskampagne im Land zu spät begann. „Man hätte Anfang Mai loslegen sollen, aber da war die politische Entscheidung noch nicht da.“ Der Bundestag hatte erst am 1. Juni dem Einsatz zugestimmt, der im Dezember 2005 von der UN erbeten und am 23. März 2006 vom EU-Ministerrat beschlossen worden war. Die Frage bleibt nicht aus, inwiefern verzögerte politische Beschlüsse die Arbeit der Soldaten im Einsatzland erschweren und sogar ihr Leben gefährden können.

Bisher ist es aber bei Steinwürfen und Drohungen geblieben. Das Lagerleben der meisten Soldaten ist ruhig. Ein 26-jähriger Fernmeldespezialist aus Erfurt zum Beispiel ist seit etwas mehr als drei Monaten hier. Seine Einheit ist für die Satellitenverbindung zwischen Kinshasa und Deutschland zuständig. Eigentlich hat er heute nur Bereitschaftsdienst, im Lager ist er trotzdem. „Wir sind auch in der Freizeit oft am Arbeitsplatz“, sagt er. Oder man nimmt an einer der zwei Standard-„Betreuungsmaßnahmen“ teil: einer Kongo-Bootsfahrt. Auf einer Sandbank wird ein Zelt aufgeschlagen, es gibt Picknick, wer will, kann schwimmen. Als Alternative wird ein Ausflug zu den Bonobos, Zwergschimpansen, organisiert.

Eine auslandserfahrene Sanitäterin aus Lehr, die sich wohlfühlt, das Essen und die Duschen lobt, hat nur ein wirklich großes Problem im Kongo: „Was auf dem Balkan die Minengefahr, ist hier die Ungewissheit“. Da ist sie wieder, die Furcht, dass die Lage jederzeit kippen kann. Das erste Treffen zu planerischen Vorbereitungen des Abzugs am 30.11. fand laut Henning Bess, Vize-Eufor-Kommandeur, am 21. September statt. Auf die Frage, wie die Eufor zwischen den Vorbereitungen für den Abzug und der Einsatzfähigkeit bei weiteren Konflikten balanciere, sagt der Admiral: „Planungen und Vorbereitungen behindern uns nicht in unserer Arbeit hier. Alles andere ist politisch.“

Judith Reker[Kinshasa]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false