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Politik: In eigener Mission

CIA-Chef Tenet verteidigt die Geheimdienstberichte zu Saddams Waffen – und versucht die falschen Behauptungen zu erklären

Geheimdienstler scheuen das Licht der Öffentlichkeit. Sie geben kaum Interviews, nehmen nur selten Stellung. George Tenet, der Chef der CIA, macht da keine Ausnahme. Seine letzte Rede stammte vom Mai 2003. Anschließend hüllte er sich in Schweigen. Nicht einmal in geschlossenen Sitzungen des Kongresses ließ er sich befragen. Folglich musste es ein äußerst gravierendes Problem sein, das ihn veranlasste, am Donnerstag in der Georgetown-Universität in Washington, wo Tenet einst studiert hatte, für 45 Minuten vors Mikrofon zu treten. Alle großen US-Nachrichtensender übertrugen live. Spannung lag in der Luft.

Neun Monate nach Ende des Krieges sind im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden. Saddam Hussein habe über solche Waffen gar nicht verfügt, behauptete vor kurzem der frühere US-Chefinspekteur David Kay. Diese Äußerung hat in den USA aus dem Rätsel einen Skandal gemacht. Haben die Geheimdienste versagt, oder hat die Politiker übertrieben?

„Bagdad hat chemische und biologische Waffen": Das steht, gleich als zweiter Satz, im entscheidenden CIA-Bericht, datiert vom Oktober 2002. Tenet verteidigt die Analyse. Zunächst wehrt er den Verdacht ab, seine Organisation habe die Gefahr aufgebauscht. „Wir haben nie behauptet, dass der Irak eine akute Gefahr gewesen sei." Die Verantwortung für den Krieg trägt also nach wie vor die Politik. Die Politiker jedoch spricht Tenet von dem Vorwurf frei, sie hätten die CIA unter Druck gesetzt. „Niemand hat uns gesagt, was wir sagen und wie wir es sagen sollen." Mit anderen Worten: Die Geheimdienste sind für den Krieg nicht verantwortlich, und sie haben sich nicht instrumentalisieren lassen.

Der größte Teil seiner Ausführungen indes kreist um die Frage, wie sich die eklatante Diskrepanz zwischen Behauptung und Wirklichkeit verstehen lässt. Da ist, erstens, die Natur von Geheimdiensterkenntnissen. „Wir liegen nie komplett falsch oder komplett richtig." Da ist, zweitens, der Faktor Zeit. Die Arbeit der speziellen Fahndungsgruppe zur Suche nach den Waffen sei noch längst nicht beendet. Da ist, drittens, die Vergangenheit des Irak. Saddam Hussein hatte diese Waffen, er hat sie eingesetzt und nie überzeugend nachgewiesen, sämtliche Restbestände vernichtet zu haben. Da sind, viertens, Satellitenaufnahmen, abgehörte Telefonate und Aussagen von Überläufern, die den Verdacht zu bestätigen schienen. Da sind, fünftens, die Informationen befreundeter Geheimdienste. Und da ist, sechstens, die Möglichkeit, dass Saddam Hussein die Waffen gut versteckt oder außer Landes gebracht habe.

Punkt für Punkt verteidigt Tenet sämtliche Aussagen seines Berichtes. Er wehrt sich, will weder Fehlerquelle noch Sündenbock sein. Für jeden Geheimdienstler der Welt, sagt er, wäre es schwierig gewesen, auf der Grundlage der verfügbaren Indizien zu einem anderen Ergebnis zu kommen. „Waren wir vorsichtig genug?" fragt er. Sind andere Möglichkeiten ernsthaft in Betracht gezogen worden? Das beantwortet er nicht, verspricht aber zu gegebener Zeit, die volle Aufklärung – dann, „wenn die Wahrheit ans Licht kommt".

Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon spielte unterdessen Vorwürfe herunter, Premierminister Tony Blair sei nicht über alle Einzelheiten eines zentralen Geheimdienstdossiers zum Irak informiert gewesen. In einem BBC-Interview sagte Hoon, es sei unbedeutend, ob Blair bei der Frage nach irakischen Massenvernichtungswaffen den genauen Raketen- oder Artillerietyp gekannt habe oder nicht. Blair hatte am Mittwoch erklärt, er habe nicht gewusst, dass sich die Information, der Irak habe innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsatzbereit, nicht auf Langstreckenraketen beziehe.

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