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In einer Liga: Was folgt auf die Revolution in Tunis?

Der Aufstand der Tunesier könnte zum Vorbild für Millionen von Arabern werden. In vielen Staaten der Region kämpfen die Menschen mit ähnlichen Problemen.

Noch stehen den 10,5 Millionen Tunesiern schwierige Zeiten bevor. Doch die Hoffnung ist da, dass das nordafrikanische Land nach dem Sturz des Diktators Zine el Abidine Ben Ali zumindest etwas demokratischer werden könnte. So oder so: Die Ereignisse lassen die arabische Welt aufhorchen. Denn auch in vielen anderen Staaten der Region kämpfen die Menschen mit ähnlichen Problemen, mit Arbeitslosigkeit, explodierenden Lebensmittelpreisen, Polizeigewalt und Missachtung der Menschenrechte. „Das Echo dieses beispiellosen Ereignisses in der arabischen Welt wird ohne Zweifel in mehr als einem Land der Region zu hören sein“, schreibt die libanesische Zeitung „An-Nahar“: Ob aber andere arabische Länder am Ende wirklich dem Beispiel Tunesiens folgen werden, ist offen.

Wie ist die Stimmung in der Region?

Millionen junger Araber von Ägypten bis Marokko feiern den tunesischen Bürgeraufstand gegen Dauerpräsident Ben Ali als ermutigendes Beispiel. In Jemens Hauptstadt Sanaa gingen rund tausend Studenten auf die Straße und forderten „eine Revolution gegen unsere doppelzüngigen Herrscher“. Die Menge, der sich am Sonntag auch Menschenrechtsaktivisten angeschlossen hatten, rief: „Freies Tunis, Sanaa grüßt dich tausend Mal.“ Die Studenten trugen Transparente gegen Präsident Ali Abdullah Saleh mit der Aufschrift „Hau ab, bevor wir dich stürzen“. Ein Demonstrant sagte: „Unser Ziel für einen neuen Jemen ist der friedliche und demokratische Wandel.“ Der Präsident steht seit 32 Jahren an der Spitze des Landes. Derzeit wird im Parlament über eine Verfassungsänderung diskutiert, die ihm den Weg für eine Präsidentschaft auf Lebenszeit ebnen könnte.

In Kairo versammelten sich mehrere dutzend Demonstranten vor der tunesischen Botschaft und riefen „Mubarak, auch dein Flugzeug wartet schon“ oder „Wir werden Tunis bald folgen“. In der jordanischen Hauptstadt Amman skandierten Demonstranten „Tunesien hat uns eine Lektion erteilt“ und forderten den Rücktritt der Regierung. Am Freitag hatten 5000 Menschen in der Innenstadt gegen die gestiegenen Lebensmittelpreise protestiert. König Abdullah II. ordnete daraufhin mithilfe einer amerikanischen Soforthilfe in Höhe von 100 Millionen Dollar an, die Preise für Grundnahrungsmittel sowie für Benzin zu senken.

In Saudi-Arabien, das den nach 23 Jahren gestürzten Ben Ali aufgenommen hat, sind Demonstrationen grundsätzlich verboten.

Wie verhalten sich die Regierungen?

Die arabischen Machthaber schwiegen zu dem Umsturz in der Mittelmeernation oder kommentierten ihn nur in dürren Worten. Von den Staatschefs meldete sich einzig Libyens Muammar Gaddafi per Fernsehansprache zu Wort. Gekleidet in eine schwarze Robe nannte er die Entmachtung Ben Alis „einen großen Verlust“ und forderte die Bevölkerung des Nachbarlandes auf, nicht den Lügen im Internet und Fernsehen zu glauben. „Es gibt keinen besseren Herrscher für Tunesien als Ben Ali“, polterte der Diktator, der sein Land inzwischen fast doppelt so lange regiert wie der gestürzte Tunesier.

Ägyptens Außenministerium ließ schriftlich erklären, man respektiere „die Wahl des Volkes im brüderlichen Tunesien und vertraue der Weisheit der tunesischen Brüder, die Situation zu stabilisieren und nicht ins Chaos abgleiten zu lassen“. Auch die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate sowie von Bahrain, Katar und Kuwait beschworen die tunesische Bevölkerung in ähnlich lautenden Kommuniques, ihre nationale Einheit zu bewahren und zu gewährleisten, dass Sicherheit und Stabilität des Landes wiederhergestellt würden. Mitglieder der islamistischen Opposition in Kuwait dagegen sprachen von „einem Sieg für die Freiheit“ und einer „Warnung an alle unterdrückerischen Regime“ der Region. Vertreter der Zivilgesellschaft in den ölreichen Golfstaaten übten scharfe Kritik an der Entscheidung Saudi-Arabiens, dem geflohenen Diktator Asyl zu gewähren. Ein Sprecher des „Gulf Civil Society Forums“ nannte Ben Ali „einen Mann mit Blut an den Händen“.

Irans Medien berichteten über die Ereignisse in Tunis ohne jeden Kommentar. Der Sprecher des Außenministeriums, Ramin Mehmanparast, appellierte an die neue tunesische Übergangsregierung, auf die „Forderungen des Volkes zu hören“. Die Führung der Islamischen Republik hat in den vergangenen 18 Monaten die schweren Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 sowie die Forderungen des eigenen Volkes nach mehr Freiheit mit brutaler Härte unterdrückt. Hunderte Menschen wurden gefoltert, mehr als 5000 verhaftet und teils zu drastischen Freiheitsstrafen verurteilt. Ähnlich wie in Tunesien unter Ben Ali herrscht seither im Iran ein Klima der Angst.

Was tun die Islamisten?

Nicht nur die arabischen Herrscher wurden vom raschen Abgang Ben Alis völlig überrascht. Auch die Islamisten der Region, die seinen Sturz herbeigesehnt hatten, wurden von den Ereignissen überrollt. Zwar begrüßten ihre Führer und Parteien einhellig den Aufstand der Tunesier – von der libanesischen Hisbollah über die Hamas bis zum ägyptischen Fernsehprediger Jussif al-Karadawi. Doch gleichzeitig konnte man ihre Enttäuschung darüber spüren, dass es nicht Islamisten waren, die einen der pro-westlichen arabischen Staatschefs zu Fall gebracht haben.

In Tunesien selbst scheint die Gefahr gering zu sein, dass Islamisten das Machtvakuum für sich nutzen. Islamistische Kräfte spielen dort bislang keine starke Rolle, auch künftig wird ihnen das kaum zugetraut. Ein Nationalpakt von 1988 sieht vor, dass sich Parteien nicht als religiös definieren dürfen. Die Islamistenpartei Ennahdha bis zu ihrem Verbot 1990 Tunesiens größte Oppositionsbewegung, dürfte verboten bleiben – obwohl Parteichef Rashed Ghannouchi seine Rückkehr aus dem Londoner Exil angekündigt hat.

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