zum Hauptinhalt

Politik: In Grosny wählen auch Putins Soldaten

Beim Referendum über eine Verfassung für Tschetschenien durften viele Flüchtlinge aber nicht abstimmen

Etwas Besseres als der Kriegsbeginn im Irak hätten dem Kreml kaum passieren können. Die widersprüchlichen Meldungen von der Front haben in den russischen Medien das Verfassungsreferendum in Tschetschenien auf marginale Größe zusammenschrumpfen lassen. Die 416 Wahllokale in Tschetschenien wurden von Polizei und Militär scharf bewacht. Offiziell wurden für die Abstimmmung insgesamt 537 000 Stimmberechtigte registriert. Rund 35 000 davon sind ständig in Tschetschenien stationierte russische Soldaten, knapp die Hälfte von Moskaus gesamtem Kontingent in der Rebellenrepublik. Die meisten tschetschenischen Kriegsflüchtlinge in anderen Regionen Russlands dagegen durften nicht abstimmen. Einzige Ausnahme sind die rund 15 000 Bewohner der Zeltstädte im benachbarten Inguschetien, die von ihrem Recht allerdings nur zögernd Gebrauch machen: Die Mehrheit sieht nach wie vor in Separatistenchef Aslan Maschadow, der 1997 zum Präsidenten gewählt wurde, die einzig legitime Macht in Tschetschenien.

In der Republik selbst gab es große Unterschiede bei der Wahlbeteiligung. Am aktivsten waren die Landkreise der Ebene mit traditionell pro-russischen Mehrheiten, wo die Abstimmung mit Volksfesten einherging. Dort hatten bereits gegen 14 Uhr Ortszeit über 70 Prozent ihr Kreuz gemacht. Ob für oder gegen das neue Grundgesetz, das weitgehend im Kreml und ohne Beteiligung der Separatisten geschrieben wurde, soll bereits an diesem offiziell bekannt gegeben werden. Friedliche Regionen Russlands mit intakter Infrastruktur brauchen gewöhnlich zehn Tage, bis ein Wahlergebnis bekannt gegeben wird. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte das Referendum – neben der Verfassung wird auch über die Gesetze zur Wahl des Republikpräsidenten und eines regionalen Parlaments abgestimmt – als ersten Schritt zu einer politischen Lösung in Tschetschenien bezeichnet. Angesichts des fortdauernden Guerillakrieges und der Weigerung des russischen Präsidenten, sich mit den Führern der Separatisten an den Verhandlungstisch zu setzen, wurde das Referendum im Europarat und der OSZE, aber auch von Teilen der Moskauer Opposition heftig angegriffen. Die Oppositionsparteien legten einen eigenen Plan zur Lösung des Tschetschenienproblems vor. Darin sprechen sie sich dafür aus, vor einer Volksabstimmung einen Waffenstillstand zu vereinbaren und eine Friedenskonferenz, möglichst unter Vorsitz Putins und mit allen Konfliktparteien, zu organisieren. Forderungen, denen sich auch über 60 prominente Künstler und Wissenschaftler mit einem offenen Brief an Putin anschlossen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false