zum Hauptinhalt

Politik: In Kochs Küche

Der neue Ausländerwahlkampf in Hessen begeistert die Parteibasis und steckt die Kanzlerin an: Lohn für die Treue des Parteifreunds

Von Robert Birnbaum

Das Publikum im Kaisersaal des Wiesbadener Kurhauses ist dezent gutbürgerlich gekleidet, ansonsten aber auf Wahlkampf gebürstet. Und CDU-Wahlkampf in Hessen, das ist wieder mal Krawall. „Es kann doch nicht wahr sein, dass eine Minderheit der Mehrheit Angst macht“, tönt es vom Rednerpult. Die dezenten Damen und Herren klatschen begeistert. Es ist aber gar nicht Roland Koch, der da seinen Feldzug gegen gewalttätige Ausländer-Jugendliche vorstellt. Es ist die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Anderntags wird Merkel eigens mitteilen, dass der CDU-Vorstand seine Jahresklausur diesmal nach Wiesbaden verlegt habe, um die Wahlkämpfer zu unterstützen. Das merkt man aber auch so. Merkel, als stramme Sprüchemacherin bisher eher nicht aufgefallen, zahlt Koch zwei Jahre Koalitionstreue zurück.

Sehr deutlich merkt man es zum Beispiel an Roland Koch selbst. Der hessische Ministerpräsident hat bis vor Kurzem in einer bösen Klemme gesteckt: Schwache Umfragen, die Linkspartei auf dem Weg zum Mehrheitsmacher, eine SPD mit dem hochpopulären Wohlfühlthema Mindestlohn und die CDU im ungewohnten Zustand des Getriebenseins, die dem Wahlabend am 27. Januar nur entgegenzittern kann. Koch hat kurz ein Burka-Verbot eingeworfen, was aber mangels voll verschleierter Frauen in Hessen niemand hinter dem Ofen vorlockt. Dann kam der U-Bahn-Überfall in München. Als Koch bei seiner eigenen Rede im Kaisersaal zum Thema kommt, macht er aus seiner Befriedigung kein Hehl: „Die schrecklichen Ereignisse in München haben uns Bilder gegeben“, röhrt Koch mit erkältungsrauer Stimme - Videobilder von zwei jungen Ausländern, die einen alten Herrn zusammenprügeln. Er hatte sein Thema, um die stets besonders strammen Kämpfer der Hessen-CDU in die Schlacht zu schicken.

Der CDU-Vorstand hat am Samstag im Dorint-Hotel eine zehnseitige „Wiesbadener Erklärung“ verabschiedet, in der Kochs konkrete Forderungen aufgenommen werden: „Warnschussarrest“, Erziehungscamps, 15 statt 10 Jahre maximale Jugendhaft, zwingende Abschiebung von Ausländern, die zu einem Jahr oder mehr Haft ohne Bewährung verurteilt sind. Die übrigen Punkte des Programms fallen unter „ferner liefen“ gar nicht auf – auch das ohnehin vage Versprechen einer Einkommensteuerreform, das erst im Wahljahr 2009 und auch dann nur in Eckpunkten konkretisiert werden soll. Selbst Hamburgs Regierungschef Ole von Beust erntet kaum mehr als einen kurzen Moment Aufmerksamkeit, als er intern noch etwas deutlicher als vorher ankündigt, dass er nach der Wahl im März in der Hansestadt gegebenenfalls ein schwarz-grünes Modellprojekt wagt.

Ansonsten gehört die Bühne Koch. Widerspruch erntet er nicht. Die informelle Sprachregelung, von Saar-Ministerpräsident Peter Müller bis zur Integrationsbeauftragten der Regierung, Maria Böhmer, lautet: Auch die große Mehrheit der Zuwanderer wolle doch Kriminelle hart bestraft sehen. Auf Debatten darüber, ob Koch mit seinem Tonfall nicht gezielt Instinkte bedient, die mit dem Kampf gegen Kriminalität wenig zu tun haben, lässt sich niemand ein. Es sei denn, man will Wolfgang Schäubles komplettes Schweigen zum ganzen Thema – in der Sitzung ebenso wie außerhalb – als Zeichen der Missbilligung nehmen und nicht nur als Reaktion darauf, dass der Innenminister in die Vorbereitung der Tagung schlicht nicht eingebunden war.

Nur der ebenfalls wahlkämpfende Christian Wulff lässt leise stilistische Distanz erkennen: Eine „Typfrage“ sei es, wie man so ein Thema wie Ausländer-Gewalt intoniere, sagt der niedersächsische Ministerpräsident. Dann erläutert er ausgiebig, wie erfolgreich in seinem Land die Integration von Zuwanderern voranschreite, und dass der Hauptvorwurf im Wahlkampf gegen ihn laute, dass er keine Angriffsflächen biete.

Koch bietet Angriffsfläche, reichlich und lustvoll. Dass SPD-Chef Kurt Beck am Samstag Gespräche in der großen Koalition angeboten hat, nimmt die CDU-Spitze als taktische Bestätigung. „Das zeigt, dass die Sozialdemokratie die Brisanz des Themas eventuell erkannt hat“, spottet Merkel. Aber dann müsse jetzt auch rasch etwas geschehen, nicht nur darüber geredet werden. Die konkreten Vorschläge der CDU lägen als Länderinitiativen schließlich schon seit 2003 vor, da könne der Bundestag schon ab Mitte Januar handeln. Aber falls nicht, legt Koch nach, könne man Beck und die SPD gerne „noch deutlicher“ zur Einsicht bringen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false