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Politik: In Richtung Demokratie

Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion ringen noch immer um ihren politischen Weg – wie Aserbaidschan

Jetzt oder nie, heißt die Devise der aserbaidschanischen Opposition. An diesem Samstag könnte in der ölreichen ehemaligen Sowjetrepublik im Kaukasus die Entscheidung im Machtpoker zwischen Regierung und Opposition fallen. Die plant daher weitere Proteste im Zentrum der Hauptstadt Baku. Schon am Mittwoch hatten über 20000 Menschen wegen Betrugs bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag die Annullierung der Ergebnisse und den Rücktritt von Staatschef Ilham Alijew gefordert.

Wie sich die Nachrichten gleichen: massive Behinderungen der Opposition, die mit einem Bein, oft sogar mit beiden Füßen in der Illegalität steht, Schauprozesse, bei denen Wirtschaftsvergehen als Begründung für die Verfolgung politischer Gegner herhalten müssen, Folter, um Häftlinge gefügig zu machen, staatlich zensierte Medien, die im Wahlkampf fast ausschließlich im Sinne der Machthaber berichten. All das sind Tatbestände, die man speichern und für die Wahlberichterstattung aus den zwölf Staaten der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS beliebig wiederverwenden kann. Nur die Namen von Orten und Akteuren müssten geändert werden. Sogar die Bilanz der sonst eher vorsichtigen OSZE und anderer westlicher Beobachter von Abstimmungen auf dem Gebiet der einstigen Sowjetunion läuft seit Jahren auf einen einzigen Satz hinaus: Der jeweilige Urnengang sei bestenfalls frei, keinesfalls jedoch fair gewesen.

In der Tat:  Abgesehen von den Baltenstaaten – und auch dort vor allem erst unter den Zwängen des EU-Beitritts – hat die Demokratie, wie der Westen sie versteht, bisher weder in Moskau noch bei dessen Ex-Vasallen hundertprozentig Fuß fassen können. Auch die so genannten Revolutionen – 2003 in Georgien, 2004 in der Ukraine und im März 2005 in Kirgisien – ändern daran nichts. Die Ergebnisse sind enttäuschend. Statt radikaler Demokratisierung fand bisher nur ein Machtwechsel der nach ethnischem und regionalem Prinzip organisierten Clans statt, die politische Macht vor allem als ungebremsten Zugriff auf wirtschaftliche und finanzielle Ressourcen buchstabieren.

Zwar dürfte es mittelfristig in Moldawien, der Ukraine und sogar in Weißrussland zu einer Trendwende kommen. Auch unter dem Druck der EU-Neumitglieder Polen und Rumänien, die mit den drei Staaten mehrere Jahrhunderte Geschichte und Kultur teilten. Ihr pluralistisches System, das bis Ende des Zweiten Weltkrieges bestand, erholte sich nach der Wende rasch und wirkt sich bereits positiv auf die einstigen Randzonen und heutigen UdSSR-Nachfolgestaaten aus. Vor allem in Moldawien, wo sich unter einer reformkommunistischen Regierung ein Regime etabliert hat, das demokratische Mindeststandards durchaus erfüllt.

Anders liegen die Dinge aber in Russland, Zentralasien und im Südkaukasus: Georgien, Armenien und Aserbaidschan, wo am Sonntag ein neues Parlament gewählt wird, Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan. Diese Staaten gehörten mit Ausnahme Kasachstans über Jahrhunderte zum kulturellen Einflussbereich des alten Iran und übernahmen dessen Staatsidee – ein absolutes Gottkönigtum.

Daran änderte sich wenig, als sich im 19. Jahrhundert die Zaren die Staaten beider Regionen einverleibten. Auch im vorrevolutionären Russland bildeten sich die Anfänge eines westlichen Demokratieverständnisses erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg heraus und wurden 1917 durch die Oktoberrevolution erneut kassiert. Die roten Zaren schrieben die Idee der Ein-Mann-Autokratie mit anderer Symbolik und pseudodemokratischer ideologischer Unterfütterung einfach fort.

Mehr noch: Schon Mitte der Zwanziger  des vorigen Jahrhunderts sorgte Stalin dafür, dass der real existierende Sozialismus in den Halbkolonien am Rande des Sowjetreiches sich in Form und Inhalt weitestgehend den dortigen, asiatischen Feudalverhältnissen angepasst wurde. Vor allem dadurch sicherte Moskau sich die Loyalität der historisch gewachsenen lokalen Eliten. Gleich nach dem Ende von Sowjetunion und Kommunismus konnten die Herrscher im Südkaukasus und Zentralasien ohne nennenswerten Widerstand zur Tagesordnung übergehen.  Durch Wahlen ohne reale Alternativen notdürftig legitimiert, führten meist die bisherigen KP-Chefs der ehemaligen Sowjetrepubliken die Amtgeschäfte nun als Präsidenten souveräner Staaten fort.

Begünstigend wirkte dabei die Politik der USA, die sich in beiden Regionen aktiv engagiert. Um Zugriff auf die dortigen Öl- und Gasreserven sowie Stützpunkte für die Anti-Terror-Operation in Afghanistan zu erhalten, arrangierte sich die Bush-Administration mit den lokalen Machthabern und sieht über deren Menschenrechtsverletzungen hinweg.

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