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Politik: In Seenot

Cap Anamur ist kein Einzelfall. Kapitäne müssen jeden Schiffbrüchigen retten

Die Rettungsaktion des deutschen Tankers Cap Anamur vor Sizilien hat ein Problem offenbart, das die kommerzielle Schifffahrt schon lange beschäftigt: Es gibt zurzeit kein Abkommen, dass die Aufnahme von Flüchtlingen regelt, die aus Seenot gerettet werden – sehr zum Leidwesen der Schifffahrtsgesellschaften. Und eine eindeutige Lösung zeichnet sich auch nach der Überarbeitung bisheriger Richtlinien nicht ab.

„Nach internationalem Recht sind Kapitäne verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten. Die Küstenstaaten sind zwar verpflichtet, dem Kapitän zu helfen, jedoch nicht, ihm die Schiffsbrüchigen abzunehmen“, erläutert Matthias Reith von der Hamburger Orion-Schifffahrtsgesellschaft. Reith verweist auf das Flüchtlingsdrama um den norwegischen Frachter „Tampa“ vor Australien im August 2001. Die Besatzung hatte damals 433 Flüchtlinge aus Seenot gerettet. Anschließend verbrachten die Asylsuchenden acht Tage auf dem Containerschiff, weil Australien die Landung verweigerte. Im Fall Cap Anamur stritten sich Italien und Malta über die Zuständigkeit, was die Aufnahme der Flüchtlinge ebenfalls tagelang verzögerte. Der Hilfsorganisation verschaffte dieser Umstand viel Aufmerksamkeit. Die Schifffahrtsgesellschaften können solche Verzögerungen jedoch viel Geld kosten. Je nach Größe eines Schiffes seien 2000 bis 70 000 Euro pro Tag zu veranschlagen, sagt Reeder Matthias Reith und warnt: „Da steht das Wohl der Flüchtlinge gegen das Wohl der Unternehmen. Es wurde berichtet, dass deshalb Rettungen ausbleiben.“

Als Reaktion auf den Fall Tampa beschloss die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) Richtlinien, wie die Länder Schiffbrüchige übernehmen sollen. „Diese Richtlinien werden in der Regel beachtet. Es gibt aber Grauzonen“, sagt Stefan Telöken, Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. In Grenzfällen wie bei der Cap Anamur würden die Länder nicht schnell genug reagieren.

Besserung ist frühestens 2006 in Sicht. Dann sollen die Neuerungen des bestehenden Rettungsabkommens „Solas“ in Kraft treten, die von den 164 Mitgliedsstaaten der IMO im Mai 2004 beschlossen wurden. Erstmals ist hier die Rede davon, dass die Staaten verpflichtet sind, von Tankern aufgenommene Schiffbrüchige „in Sicherheit“ zu bringen. Es bleibt aber offen, was dies genau heißt. Verantwortlich für das weitere Vorgehen soll künftig der Staat sein, in dessen Rettungszone die Schiffsbrüchigen aufgenommen wurden.

Der Knackpunkt für die Reeder: Es wird in dem Abkommen immer noch nicht festgelegt, dass der verantwortliche Staat die Schiffbrüchigen an Land lassen muss. Für Reeder Matthias Reith sind die Neuerungen „immerhin ein Fortschritt“. Chris Horrocks, Generalsekretär des Internationalen Schifffahrtsverbands ICS in London, bezeichnet die Regelung als „Auswegsklausel“, weil sie die Aufnahme der Schiffbrüchigen nicht vorschreibe.„Es ist inzwischen weniger wahrscheinlich, aber der Fall Tampa könnte sich deshalb wiederholen“, sagt Horrocks.

Marc Hasse

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