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Politik: In Stuttgart ist die CDU ihre eigene Opposition

Minister Renner provoziert die Konservativen in der Partei – dabei hätte für Ministerpräsident Oettinger alles so glatt laufen können

Es hätte so schön sein können: die FDP als pflegeleichter, kleinlauter Koalitionspartner, eine konturenarme SPD-Opposition, Rechte und Linke jenseits der Wahrnehmbarkeitsschwelle und die Grünen, die sich wiederholt andienen als Partner für ein schwarz-grünes Projekt. Günther Oettinger, seit einem Jahr Regierungschef im Südwesten, durfte in einem solchen Umfeld vom glatten Durchmarsch und vielleicht gar von der absoluten Mehrheit bei der Ende März anstehenden Landtagswahl träumen. Doch stattdessen besorgt sich die Südwest-Union ihre Opposition selbst, legt sich mit der katholischen Kirche an und verprellt alte Stammwähler in der Provinz wie potenzielle Neuwähler in der Stadt. Alte Gräben zwischen den Flügeln brechen wieder auf.

„Zeugen Sie doch erst mal selber Kinder“, soll Sozialminister Andreas Renner den Bischof der Diözese Rottenburg/Stuttgart angeblafft haben, als der Kirchenmann sich in engstem Kreis in eine Diskussion einmischte. Darin ging es um Familienpolitik im Allgemeinen und Renners (dreimal verheiratet) offene Haltung gegenüber anderen Lebensentwürfen. Der Bischof war darob schwerstens beleidigt, hielt die Geschichte aber trotzdem ein gutes halbes Jahr unter der Decke. Bis dieser Tage kirchennahe Kreise den Eklat nun doch lancierten, kurz nach einem medienwirksamen Papst-Besuch des Protestanten Oettinger. Und genauso kurz vor einem Jubelparteitag am Wochenende, auf dem seine junge, liberale Garde aufbrechen wollte, um wieder in den zunehmend CDU-fernen Städten zu punkten.

Stattdessen nun eine Riesen-Aufregung in Stuttgart, Rücktrittsforderungen gegen Renner sogar aus der eigenen Fraktion, Zweifel am Krisenmanagement des Regierungschefs. Am Ende gibt der Minister mit dem unschwäbischen Brillanten im Ohr klein bei: Am Mittwoch will er zurücktreten, erhobenen Hauptes zwar, aber eine verstörte Partei zurücklassend.

In der Tat tut sich die Union gerade schwer mit Stilfragen. In Mannheim giften sich die Christdemokraten im Internet mit gefälschten Mails an. In Stuttgart entgleitet dem Kreisparteichef Christoph Palmer die Selbstkontrolle. Erst ohrfeigt er einen Parteifreund und tritt, noch unter der Regierung Teufels, als Medien- und Europaminister zurück. Dann hält er vasallenhaft an einem Freund fest, der Bürgermeister in der Landeshauptstadt werden will, aber im Verdacht steht, ungerechtfertigt Sitzungsgelder eingestrichen zu haben. Und schließlich immer wieder der vorlaute Andreas Renner, der mal die Traditionalisten mit der Forderung verschreckt, US-Präsident Bush „gehört abgeschossen“, mal die Konservativen provoziert, wenn er den Schirmherrn einer Schwulenparade gibt. Selbst Oettinger- Getreue wie sein unverzichtbarer Finanzminister Gerhard Stratthaus befinden: „So was macht man einfach nicht.“

Mittendrin hetzt ein omnipräsenter Oettinger durchs Ländle und droht, sich in seiner „Kinderland“ genannten Bildungs- und Betreuungsoffensive zu verhaspeln. Schon die ist etlichen Konservativen zu viel des Guten. Seine alten Gegner aus dem Schavan- und Teufel-treuen Lager reiben sich derweil klammheimlich die Hände: Haben sie vor dieser Mischung aus Leichtlebigkeit, Unverbindlichkeit und staatlicher Überprotektion denn nicht immer schon gewarnt? Ein Rumpelstart sei das seit der Machtübernahme im vergangenen Frühjahr gewesen. Aber weder dem urban-liberalen Flügel noch dessen konservativen Kritikern nutzt der parteiinterne Streit. Bestenfalls dem Koalitionspartner, der FDP. Wer ist schuld?

Die junge Garde verdächtigt vor allem Fraktionschef Stefan Mappus. Der ist einmal ein klassischer Konservativer, andererseits gilt er als natürlicher Rivale des Ministerpräsidenten, weil die CDU-Fraktionschefs in der Erbfolge des seit mehr als einem halben Jahrhundert christdemokratisch regierten Südwestens halt immer schon den ersten Zug hatten. Doch Mappus versichert immer wieder, es passe kein Blatt zwischen ihn und Oettinger.

Nun, so schnell verliert die CDU nicht die Macht im Südwesten. Aber erst nach der Wahl wird sich klären, in welche Richtung sie wirklich marschiert: Offener und wieder für Städter wählbar oder katholisch-konservativer, wie es der Sieg kirchennaher Kreise über Renner zu signalisieren scheint. Straft der Wähler den Flügelstreit ab und sinkt, wie Schwarzmaler schon unken, die baden-württembergische Union mit 38 Prozent gar unter den aktuellen Bundeswert? Das allerdings hat es noch nie gegeben.

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