zum Hauptinhalt

Indien: Lizenz zum Betrug

Indien wird vom wohl größten Korruptionsskandal seiner Geschichte erschüttert – und Premier Singh steht unter Druck.

Neu-Delhi - Schon die Zahl ist unglaublich. Es geht um umgerechnet 22 bis 30 Milliarden Euro. Das ist die Summe, um die Indiens Minister für Telekommunikation, Andimuthu Raja, Staat und Volk betrogen haben soll – vermutlich auch um sich selbst zu bereichern. Damit hat Raja selbst im affärengeplagten Gandhi-Land alle Korruptionsrekorde haushoch gebrochen. Nun zieht der Betrug immer weitere Kreise: Selbst Regierungschef Manmohan Singh geriet ins Kreuzfeuer der Kritik – und muss um seinen bisher tadellosen Ruf fürchten.

Raja musste zwar inzwischen zurücktreten. Doch der wohl größte Korruptionsskandal in der 63-jährigen Geschichte Indiens hat eine hitzige Debatte über die Politmoral entfacht. Auch der unbescholtene Ökonom Singh muss sich hochnotpeinliche Fragen gefallen lassen. In einem beispiellosen Schritt will nun das oberste Gericht sogar von Singh persönlich wissen, warum er dem Treiben Rajas zusah und eine mahnende Anfrage der Opposition 16 Monate lang nicht beantwortete. Die Richter setzten Singh eine Frist bis zu diesem Samstag, sein Schweigen zu erklären.

Der Betrug selbst reicht fast drei Jahre zurück. Damals schrieb Raja einige Mobilfunklizenzen, 2G genannt, aus. Eigentlich hätten diese versteigert werden müssen. Doch Raja änderte die Bedingungen so, dass neun Firmen die hochbegehrten Lizenzen zu viel zu niedrigen Preisen erstehen konnten. So lautet zumindest der Vorwurf der Kontrolleure. Singh rügte Raja damals und verlangte Änderungen, Raja zeigte sich aber völlig unbeeindruckt.

In der Folge wurden die Lizenzen zu Ramschpreisen verschleudert. Ob die Firmen dafür Schmiergelder zahlten, ist nicht belegt. Aber man kann vermuten, dass sie Raja ungemein dankbar waren. Der indische Staat habe so 22 bis 30 Milliarden Euro verloren, schätzen Kontrolleure. Das Geld hätte ausgereicht, um alle hungernden Inder ein Jahrzehnt zu ernähren, schreibt der Wirtschaftskolumnist Prashant Agrawal. Seit Tagen blockiert die Opposition das Parlament und verlangt einen Untersuchungsausschuss.

Singh persönlich ist zwar über jeden Verdacht erhaben, sich bereichert zu haben. Er gilt als der ehrlichste Politiker des Subkontinents. Dennoch kreiden viele seiner Regierung an, dass sie der immer mehr ausufernden Korruption nicht Einhalt gebot. Die Gründe liegen nahe. Die regierende Kongresspartei hat keine eigene Mehrheit und ist auf ein Sammelsurium von Partnern angewiesen. Raja gehört der Partei DMK an, die in Tamil Nadu stark ist und als Schlüsselpartner der Regierung gilt.

Doch die jüngste Wende nährt Hoffnung, dass sich die seit 2004 regierende Kongresspartei nun ans Aufräumen macht. Die 2G-Affäre stellt zwar alles in den Schatten. Aber sie ist nicht der einzige Skandal, der jetzt aufgerollt wird. Auch den Organisatoren der Commonwealth Games (CWG) geht es an den Kragen. Ihnen wird vorgeworfen, bei den Sportspielen Millionen in die eigenen Taschen geschleust zu haben. Der Chef der Commonwealth Games, Suresh Kalmadi, musste als Sekretär der Kongresspartei gehen, zwei Funktionäre wurden festgenommen. Auch der Regierungschef des indischen Bundesstaates Maharashtra, Ashok Chavan, wurde jüngst in Unehren entlassen. Chavan soll in einen Baubetrug verwickelt sein, bei dem Wohnungen, die für bitterarme Kriegerwitwen gedacht waren, zu Tiefstpreisen an Politiker und Armeeoffiziere verscherbelt wurden. Christine Möllhoff

Zur Startseite