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Indiens Premierminister und Nationalist Narendra Modi.

© AFP

Indien: Militante Hindus schüren Klima der Angst

70 Jahre nach der Teilung des Subkontinents radikalisiert sich auch Indien zunehmend. Mit Regierungschef Modi steht ein Nationalist an der Spitze.

Seema ist leicht beschämt. „Ich sollte mich indischer kleiden“, sagt sie. Vor kurzem hat die 26-Jährige ein Seminar der hindunationalistischen Organisation Rashtriya Swayamsewak Sangh (RSS) besucht, seither haben sich ihre Ansichten radikal verändert. „Wenn Frauen Jeans anziehen, werden sie eher vergewaltigt“, erklärt Seema und entschuldigt sich gleichzeitig für ihre schwarze, enge Hose. „Das ist Mode, aber ich sollte immer Shalwar-Kameez (traditionelle Kleidung) tragen.“ Seema, geboren in eine Mittelklassefamilie in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi, ist eigentlich Christin.

Doch inzwischen fühlt sie sich im hinduistischen Glauben besser aufgehoben. „Hindus sind eine Einheit“, sagt sie in einem Gespräch mit dem „Indian Express“. Ihre neuen Ansichten geben ihr neues Selbstvertrauen und ein Gefühl der Stabilität.

Lange hatten es Indiens Hindunationalisten schwer, größere Teile der Bevölkerung zu erreichen. Mit ihrer extremen Ideologie und ihren verqueren Ansichten wurden sie von der Ober- und Mittelschicht des Landes oft nur müde belächelt. Dass ausgerechnet ein RSS-Mitglied Indiens Unabhängigkeitskämpfer und Idol Mahatma Gandhi 1948 ermordet hatte, lastete lange wie ein hässlicher Schandfleck auf der Organisation, deren Gründer sich an der nationalsozialistischen Hitlerjugend orientierten. Doch seit Indiens Premierminister Narendra Modi an der Macht ist, ist diese Weltanschauung in neuen Kreisen hoffähig geworden.

Modi, ein bekennender Hindu, der sich vegetarisch ernährt und an religiösen Feiertagen fastet, ist seit seiner Jugend RSS-Mitglied. Mit klugem politischen Kalkül weitet der Politiker seine Basis aus und bereitet einem hinduistischen Indien den Weg.

Einst stolz auf Toleranz

Indien war lange stolz auf seine religiöse Toleranz, mit dem sich das Land von seinem Rivalen Pakistan absetzte. Doch nun beginnen Kritiker Parallelen zu ziehen: Angriffe auf Oppositionelle, Journalisten, Schriftsteller und Künstler, Schikanen gegen internationale Hilfsorganisationen und Gewalt gegen religiöse Minderheiten sind nun auch in Indien an der Tagesordnung.

Führende Politiker von Modis Regierungspartei provozieren gezielt alle Nicht-Hinduisten: Der Regierungschef des Bundesstaates Uttar Pradesh, Yogi Adityanath, erklärte kürzlich, das berühmte Taj Mahal, ein Meisterwerk islamischer Kunst aus dem 17. Jahrhundert, repräsentierte nicht die indische Kultur. In Uttar Pradesh, wo jeder fünfte Einwohner Muslim ist, wiegt so ein Ausspruch doppelt schwer. Im Jahr 1947 hatten sich hier Millionen Muslime dazu entschieden, nicht in die neu gegründete islamischer Republik Pakistan auszuwandern, und statt dessen Indiens Versprechen eines pluralistischen und säkularen Staates ernst genommen. Etwa 80 Prozent der indischen Bevölkerung sind Hindus, Muslime stellen mit etwa 170 Millionen die zweitgrößte Religionsgruppe.

In dem neuen Klima der Intoleranz wittern Extremisten Morgenluft: Im Juli war ein 15-jähriger muslimischer Junge in einem Zug gelyncht worden, nachdem ein Streit um einen Sitzplatz ausgebrochen war. Das Opfer war als „Rindfleischesser“ beschimpft worden. Selbsternannte „Kuhschützer“ terrorisieren auf dem Lande Muslime und andere Minderheiten, weil sie angeblich Fleisch von Kühen essen, die für Hindus heilig sind.

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