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Indien: Streit um Nuklearpakt wird zur Machtprobe

Indiens Regierung will den Nuklearpakt mit den USA und riskiert deshalb die eigene Abwahl.

Am Montag hat Indiens Premier Manmohan Singh die Vertrauensfrage gestellt, an diesem Dienstag werden die 541 Abgeordneten abstimmen. Singh riskiert seinen Sturz, um den zivilen Nuklearpakt mit den USA zu retten. Bei dem Konflikt geht es aber weniger um Atomkraft als um das Verhältnis zu den USA und die Machtprobe zwischen zwei Männern.

„Eine einzige Stimme könnte die Regierung stürzen“, titelte die „Times of India“. Im Parlament begann am Montag eine zweitägige Redeschlacht, die von den Nachrichtensendern live übertragen wird. Mindestens 271 Stimmen braucht Singh. Zuletzt zählten die Medien 269 bis 271 Stimmen für die Regierung und 268 für die Opposition. Zwei bis vier Abgeordnete hielten sich noch bedeckt.

Die Finger zum Siegeszeichen gereckt, betrat der 75-jährige Singh am Morgen das Parlament. Redner der Opposition, voran die Hindunationalisten der BJP und die Kommunisten, nutzten die Debatte zur Generalabrechnung mit der Regierung. In den vergangenen Tagen herrschte in Delhi ein regelrechter Stimmenbasar. Abgeordnete wechselten zwischen den Lagern, um ihre Stimme für Posten und politische Zugeständnisse zu verhökern. Regierung und Opposition warfen sich vor, Stimmen zu kaufen. Ein Abgeordneter behauptete, die regierende Kongresspartei habe ihm 14,7 Millionen Euro für sein Votum geboten.

Schärfster Widersacher Singhs ist Prakash Karat, der Generalsekretär von Indiens größter kommunistischer Partei CPI (M). Der Streit um den Nukleardeal geriet immer mehr zu einem Duell zwischen Karat und Singh, zwischen dem alten und dem neuen Indien. Singh öffnete in den 90ern als Finanzminister das Land wirtschaftlich. Die Früchte erntet das 1,1-Milliarden-Einwohner-Land heute. Karat, einst ein Bewunderer von DDR- Regierungschef Erich Honecker, propagiert die staatsgelenkte Planwirtschaft.

Immer wieder musste sich der Ökonom Singh in den vergangenen vier Jahren dem Marxisten Karat beugen, da die von der Kongresspartei geführte Koalition keine eigene Mehrheit hat. Sie braucht die 59 Stimmen der Kommunisten, die von außen mitregierten. Um sie nicht zu verprellen, opferte Kongresschefin Sonia Gandhi wichtige Reformvorhaben. Man verspottete Singh als schwächsten Regierungschef, den Indien je hatte, Doch als Karat den Atomdeal torpedierte, hatte der sanfte Sikh genug. Diesmal stellte sich auch der Gandhi-Clan hinter ihn.

Der Nukleardeal gilt als Singhs größter Erfolg. Das Land, das bisher als atomarer Paria geächtet wurde, würde damit in die Weltliga der Atommächte aufsteigen. Das ist nicht nur ein Statusgewinn. Obwohl Indien kein Mitglied des Atomwaffensperrvertrags ist, könnten dessen Mitglieder Delhi nach jahrelangem Bann wieder Uran und Atomtechnik verkaufen. Damit könnte die energiehungrige Nation ihre Atommeiler ausbauen.

Dabei sind auch Indiens Kommunisten nicht gegen Kernkraft – sie sind gegen Amerika. Der Vertrag mache Indien zum „Knecht“ des „US-Imperialismus“ und gebe die Souveränität des Landes preis, sagt Karat. Das bestreitet Singh: Die Internationale Atomenergiebehörde dürfe die zivilen Atommeiler überwachen, aber nicht Indiens Atomwaffenprogramm. Lange hatte Indien dem Ostblock näher gestanden, bevor es sich stärker den USA öffnete. Mit dem Atomdeal wollen Singh und US-Präsident George W. Bush die beiden Mächte auch enger zusammenschweißen. Doch selbst wenn Singh das Vertrauensvotum besteht, bleibt die Regierungsmehrheit wacklig. Und die Zeit für Reformen läuft zusehends davon: Spätestens im Mai stehen in Indien Neuwahlen an.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

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