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Kundgebung für die Pressefreiheit in der Türkei gegenüber der Türkischen Botschaft in Berlin.

© imago/Christian Mang

Inhaftierte deutsche Journalistin: Unter Ausschluss der Diplomatie

Mesale Tolu wurde in Istanbul von einem Spezialkommando festgenommen. Ihren kleinen Sohn musste sie bei Nachbarn abgeben. Die Türkei hielt die Haft der deutschen Journalistin vor Berlin geheim.

Diesmal sind die Verhältnisse klar. Die in Istanbul in Untersuchungshaft genommene Journalistin Mesale Tolu ist deutsche Staatsbürgerin. Einen türkischen Pass hat sie nicht. Das unterscheidet sie von Deniz Yücel. In seinem Fall kann die Türkei deutschen Diplomaten Besuche mit dem Hinweis auf die türkische Staatsbürgerschaft verweigern. Tolu hingegen hat einen Anspruch auf konsularische Betreuung. Und die Türkei hätte Deutschland unverzüglich über ihre Festnahme informieren müssen. In früheren Fällen hat sie dies nach Auskunft des Auswärtigen Amtes auch stets getan. Doch ausgerechnet jetzt, wo die Zeichen auf Wiederannäherung standen, verstößt Ankara rücksichtslos gegen bindende Vereinbarungen. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, sprach am Freitag sogar von einem „Verstoß gegen das Völkerrecht“, konkret gegen das „Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen“. Statt versöhnlicher Töne, um die sich beide Seiten nach dem Abschluss des umstrittenen türkischen Verfassungsreferendums zunächst bemüht hatten, bahnt sich nun also eine neue Eskalation an.

Keine Fortschritte im Fall Yücel

Auch im Fall des seit 89 Tagen inhaftierten Deniz Yücel fand Schäfer am Freitag klare Worte: Die lange Untersuchungshaft sei aus deutscher Sicht unverhältnismäßig, „womöglich sogar rechtswidrig“. Schäfer sagte weiter: „Das ist kein faires und vermutlich auch kein rechtsstaatliches Verfahren.“ Mesale Tolu könnte nun ein ähnliches Schicksal drohen.

Türkische Internetmedien hatten schon am Tag ihrer Festnahme über Tolu berichtet. Allerdings war ihnen zunächst nicht bekannt, dass es sich bei der Journalistin um eine Deutsche handelt. Deshalb erregte der Vorgang in Deutschland auch zunächst kein Aufsehen. Den Berichten zufolge stürmte am frühen Morgen des 30. April ein Kommando der Antiterror-Einheit der türkischen Polizei Tolus Wohnung im Istanbuler Stadtteil Kartal. Die Festnahme erfolgte im Zuge einer Razzia gegen linke Aktivisten vor den Kundgebungen zum 1. Mai. 16 Personen wurden in der Nacht von der Polizei aus ihren Wohnungen abgeführt, darunter Mitglieder des Verbands der sozialistischen Jugendvereine (SGDF) und der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP).

Tolu war offenbar freie Mitarbeiterin der kleinen, linksgerichteten kurdischen Nachrichtenagentur Etha (Etkin Haber Ajansi, auf Deutsch: wirksame oder aktive Nachrichtenagentur). Ihr Arbeitgeber sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), Tolus Anwälte seien darüber noch nicht unterrichtet worden. Bei der Anordnung der Untersuchungshaft habe sich das Gericht auf Tolus Teilnahme an einer Beerdigung zweier Kommunistinnen berufen, die bei Auseinandersetzungen mit der Polizei erschossen wurden. Seit dem 6. Mai sitzt Mesale Tolu in Untersuchungshaft, zusammen mit Ömer Ulas Sezgin, einem anderen Mitarbeiter von Etha. Die Agentur sieht sich seit Längerem staatlichem Druck und Verfolgung durch die türkische Justiz ausgesetzt.

Das Konsulat war ahnungslos

Das deutsche Generalkonsulat in Istanbul und die Botschaft in Ankara erfuhren von Tolus Festnahme gleichwohl erst einmal nichts. „Das wäre völkerrechtlich geboten gewesen“, sagte Schäfer. Tolus Vater, Ali Riza Tolu, sagte der „taz“, dass er beim deutschen Konsulat vorstellig geworden sei, um dort auf das Schicksal seiner Tochter aufmerksam zu machen und um Hilfe zu bitten. Auch ihm wird demnach ein Besuch im Gefängnis verwehrt.

Außer Tolu und Yücel sind in der Türkei nach Angaben des Auswärtigen Amtes aktuell vier weitere Fälle inhaftierter deutscher Staatsbürger bekannt. Nicht alle seien Journalisten. Vier der insgesamt sechs Inhaftierten besäßen sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft, was eine konsularische Betreuung schwierig mache. Weitere Deutsche dürften die Türkei wegen laufender Ermittlungen nicht verlassen, erklärte Außenamtssprecher Schäfer am Freitag.

Die Zahl der in der Türkei inhaftierten Journalisten stieg mit Tolu und ihrem Kollegen Sezgin auf 165. Seither kam noch der französische Pressefotograf Mathias Depardon hinzu und, am Freitag, der Chef der Onlineausgabe der wichtigsten türkischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, Oguz Güven.

Demonstration in Ulm

Der Fall der 33-jährigen Tolu ist besonders dramatisch: Ihr Ehemann, Suat Corlu, wurde bereits Anfang April festgenommen. Er hat offenbar keinen deutschen Pass. Türkische Medien berichten, er sei Mitglied des Führungsgremiums der ESP in Ankara, anderen Angaben zufolge ist er Mitglied der kommunistischen Partei. Tolu und Corlu haben einen zweieinhalb Jahre alten Sohn. Medienberichten zufolge soll Tolu nach der Festnahme durch das Polizeikommando gezwungen worden sein, das Kleinkind bei Nachbarn im Wohnhaus abzugeben. Wo der Junge sich jetzt befindet, ist nicht bekannt.

Tolu wurde in Ulm geboren und wuchs in Deutschland als Türkin auf. 2007 wurde sie deutsche Staatsbürgerin und gab ihren türkischen Pass zurück. 2014 zog sie nach Istanbul, um dort für den unabhängigen Radiosender Özgür Radyo zu berichten. Der Sender wurde jedoch nach dem Putschversuch im Juli 2016 per Regierungsdekret geschlossen. In Tolus Geburtsort Ulm wollten Unterstützer am Freitagabend für die Freilassung der Journalistin demonstrieren.

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