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Inklusion. Das fängt mit der Sprache an. Wie würde man selber gerne bezeichnet werden? Als "Behinderter"? Oder als "Mensch mit Behinderung"?

© Andi Weiland

Inklusion: Zuallererst Mensch

Der 3. Dezember ist der Welttag der Menschen mit Behinderungen. Aber was ist zu tun, um eigentlich Selbstverständliches zu erreichen: ein selbstbestimmtes, zugehöriges und gleichberechtigt teilhabendes Leben aller in der Gesellschaft? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Manche von Ihnen werden das kennen, so oder so ähnlich, die anderen stellen sich das jetzt bitte mal vor. Ein fremder Mensch kommt auf Sie zu und fragt: „Wie läuft das denn so im Bett?“ Oder der Busfahrer ruft nach hinten, halb in Ihre Richtung: „Wo will denn der Rollstuhl raus?“

Die Berlinerin Laura Gehlhaar erlebt das ständig, und sie schreibt darüber. Sie hat aus diesen und anderen Sprüchen ein Bullshit-Bingo zusammengestellt, „Toll, dass Sie trotzdem rausgehen“, steht da zum Beispiel, „Sie inspirieren mich“, und: „Kann man da noch was machen?“

Oh ja, da kann man jede Menge machen, denn mit Berliner Schnoddrigkeit hat das nichts zu tun. Aber was ist zu tun, um eigentlich Selbstverständliches zu erreichen: ein selbstbestimmtes, zugehöriges und gleichberechtigt teilhabendes Leben aller in der Gesellschaft?

Der Tagesspiegel beschäftigt sich seit Jahren auf vielfältige Weise mit allen Aspekten der Inklusion. Widerspruchsfrei, das weiß jeder, der sich auskennt, ist das nicht zu haben. Das wissen die „Sozialhelden“, die dieser Tage ihr zehnjähriges Bestehen feierten; das weiß die „Aktion Mensch“, die es seit fünfzig Jahren gibt und heute, zum Welttag der Menschen mit Behinderung, auf ihrem Zukunftskongress einen Blick auf Chancen und Risiken der Inklusion im Jahr 2025 wagt; das weiß die DGUV, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, die sich für Prävention, Rehabilitation und Inklusion engagiert und ebenfalls heute in Berlin die Eröffnung ihrer neuen Hauptgeschäftsstelle feiert. Viele gute Gründe sprechen also dafür, dass der Tagesspiegel sich heute ebenfalls intensiv der Inklusion widmet. Das Thema zieht sich durchs gesamte Blatt, ist nicht nur integriert, nicht nur in einer Nische der Zeitung, sondern inkludiert, überall, so, wie es sich auch mit allen seinen Aspekten durchs gesamte gesellschaftliche Leben zieht.

Auch das Wort "Inklusion" ist umstritten

Dabei geht es durchaus kontrovers zu. Das fängt schon beim Wort „Inklusion“ an, das auch in den Verbänden umstritten ist, weil es für manche für neue Enttäuschungen steht. Verteidigt wird es von Raul Krauthausen, Gründer und Vorsitzender der „Sozialhelden“, denen Sie, wie auch Laura Gehlhaar und vielen anderen mehr, in dieser Ausgabe der Zeitung begegnen werden. Krauthausen bezeichnet Inklusion als „beiderseitigen Prozess der Bewältigung und Annahme von menschlicher Vielfalt“. Zur Vielfalt gehört auch, was die Sache nicht leichter macht, die unterschiedliche Wahrnehmung von Begriffen. Der eine lehnt das Wort Handicap ab, die andere plädiert für die Rückeroberung der Bezeichnung „Behinderter“, so, wie es einst die selbstbewusste „Krüppelbewegung“ gab, der Nächste fühlt sich dadurch diskriminiert.

Wie würden Sie lieber angesprochen werden?

Es gibt Ansprachehilfen, als ersten Schritt aus der Unsicherheit. Aber probieren Sie es doch mal selbst: „Wo will denn der Rollstuhl raus?“, wie wirkt das mit dem Wort „Kinderwagen“? Wie klingt das Wort „Behinderter“, wenn Sie es laut aussprechen? Und wie wirkt dagegen „behinderter Mensch“, oder „Mensch mit Behinderung“? Wie würden Sie selbst am liebsten angesprochen werden, wie würden Sie wollen, dass jemand anders Ihnen begegnet? Was alle eint, ist der Wunsch und das Recht, nicht als unangenehmes, lästiges, kurioses Etwas, als Kostenfaktor oder Mehraufwand wahrgenommen zu werden, sondern, mit allen Stärken, Schwächen und Macken: zuallererst als Mensch.

Mehr zum Thema Inklusion können Sie hier auf unserer Sonderseite lesen. Außerdem ist die heutige gedruckte Tagesspiegel-Ausgabe ein Inklusion-Spezial, das Sie, liebe Leserinnen und Leser, hier auch als ePaper kaufen können. Des Weiteren hier die Wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema Inklusion.

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