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Politik: Ins Blaue hinein

Kann Deutschland den warnenden Brief aus Brüssel vermeiden? Hans Eichel hofft auf mehr Wachstum

Von Antje Sirleschtov

und Albert Funk

Es waren vor allem die Deutschen, die auf die Stabilitätsziele im Maastricht-Vertrag gedrungen hatten. Wenn man schon die starke Mark aufgebe, so das Signal an die eigenen Bürger, dann werde dafür gesorgt, dass der Euro mindestens so stark werde. Deshalb formulierte man Kriterien, an die sich auch haushalts- und finanzpolitisch etwas laxere Länder halten sollten. Was Theo Waigel damals aushandelte, will und muss Hans Eichel einhalten. Er hat Brüssel und den EU-Partnern zugesagt, die Ziele zu erfüllen.

Aber nun lahmt die Konjunktur, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, wegen einer für bessere Zeiten berechneten Steuerreform bleiben Einnahmen aus, und dann kam auch noch das Hochwasser. Deutschland, so sieht es aus, könnte zusammen mit Frankreich, Italien und Portugal als Sünder wider den Stabilitätsvertrag dastehen. Die Zweifel, ob das Verschuldungskriterium von drei Prozent des Bruttosozialprodukts eingehalten werden kann, wachsen. Eine Abmahnung aus Brüssel droht, die Debatte über eine Aufweichung der Kriterien hat begonnen.

Mitte März hatten sich die Finanzminister von Bund und Ländern noch auf einen Nationalen Stabilitätspakt geeinigt, um den „Blauen Brief“ aus Brüssel abzuwehren. Darin verpflichteten sich die Bundesländer, ihre Ausgaben bis 2004 jährlich um nicht mehr als ein Prozent zu steigern. Dieses Ziel, sagte nun der Stuttgarter Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU), könne von Seiten der Länder in diesem Jahr „nicht eingehalten“ werden. Auch in den kommenden Jahren werde es „sehr schwer sein“, diese Marke zu erreichen. Dennoch warnte der Minister, von den Vereinbarungen des Nationalen Stabilitätspaktes abzurücken. Nur so könnten weitere Ausgabenwünsche abgewehrt werden, sagte er. In der Vorwoche hatte das Bundesfinanzministerium das Ausgabenwachstum der Länderhaushalte bis Mai mit 1,7 Prozent berechnet. Die Einnahmen aus Steuern sind im gleichen Zeitraum um 5,9 Prozent gegenüber dem letzten Jahr zurückgegangen.

Eichel hofft auf eine Belebung der Konjunktur im zweiten Halbjahr und damit höhere Steuereinnahmen. Dann könnte die Verschuldungsgrenze noch gehalten werden. Eichel rechnet mit einem Wachstum von 0,75 Prozent im Gesamtjahr. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung geht von nur 0,6 Prozent aus. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle rechnet mit „0,5 Prozent plus“, auch das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft meint, es werde allenfalls ein Wachstum von 0,5 Prozent geben.

Zwar hat Eichels Ministerium Berichte zurückgewiesen, selbst im eigenen Haus gingen Fachleute davon aus, die Neuverschuldung werde bei 3,5 Prozent liegen. Ein Sprecher Eichels betonte, von Halbjahresergebnissen könne noch nicht auf das Gesamtjahr geschlossen werden. Auch Fachleute außerhalb des Ministeriums haben Zweifel. Der Chefvolkswirt der WestLB in Düsseldorf, Ulrich Hombrecher, hat laut „Welt“ für das erste Halbjahr eine Defizitquote von 3,5 Prozent berechnet. Das Ministerium bereite dieser Tage die Quartalsberichte an die Brüsseler EU-Kommission vor, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel. Die aktualisierten Budgetdaten der EU-Länder müssen bis Anfang September in Brüssel sein.

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