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Politik: Insbesondere die kleinen Parteien leiden unter Politikverdrossenheit und Polit-Sommertheater

Ein Marktplatz im ostbrandenburgischen Ackerbürgerstädtchen Seelow: Hinrich Enderlein auf Wahlkampftour. Der FDP-Spitzenkandidat spricht mit Geschäftsleuten.

Ein Marktplatz im ostbrandenburgischen Ackerbürgerstädtchen Seelow: Hinrich Enderlein auf Wahlkampftour. Der FDP-Spitzenkandidat spricht mit Geschäftsleuten. Sie klagen über schlechte Umsätze und hohe Steuern. Wie soll das weitergehen? Enderlein verspricht, dass sich die Liberalen im Landtag, wenn sie denn hineinkommen, für eine neue Steuergesetzgebung und für eine verstärkte Förderung der Randgebiete einsetzen werden. "Hier liegt vieles im Argen." Zwei Stunden macht der mit Abstand bekannteste märkische FDP-Politiker, der dem ersten Kabinett Stolpe als Kultur- und Hochschulminister angehörte, an diesem Vormittag Wahlkampf in Seelow. In dieser Zeit kommt er mit rund 30 Leuten ins Gespräch, denen er Wahlbroschüren der FDP in die Hand drückt. Etwa 150 solcher Vor-Ort-Termine hat Enderlein bisher absolviert. Sein Fazit: "Die Stimmung im Land ist deprimierend."

Szenenwechsel: Am Bahnhof Falkensee bei Berlin verteilt die grüne Spitzenkandidatin mit dem Zungenbrecher-Namen Inke Pinkert-Sältzer das Programm ihrer Partei. Sie kommt in anderthalb Stunden auf 80 Exemplare und macht ähnliche Erfahrungen wie Enderlein: "Viele haben von der Politik die Nase voll und fühlen sich angeschmiert." Pinkert-Sältzer bekommt an diesem Vormittag noch einen speziellen Vorwurf von grünen Sympatisanten zu hören: "Was in Bonn läuft, ist fürchterlich. Warum setzt Ihr Euch gegenüber dem Kanzler nicht durch?" Pinkert-Sältzer wird bei ihren Wahlkampf-Auftritten öfter mit diesen Beschwerden konfrontiert, was den Wahlkampf für sie nicht einfacher macht. "Schröder hält sich nicht an die Spielregeln und Koalitionsabsprachen", gießt die grüne Spitzenkandidatin Öl ins Feuer. "Und wie er mit Trittin umgeht, ist auch nicht fair."

Liberale und Grüne leiden in diesem Wahlkampf wohl am meisten von allen Parteien. Beide sind im Bundestag vertreten, die eine war lange an der Macht, die andere ist an die Macht gekommen. Beide sind 1994 aus dem Landtag hinausgeflogen und haben nach den Umfragen auch keine Chance, wieder hineinzukommen. Das Wahlbarometer vom letzten Wochenende gesteht den Liberalen gerade ein und den Grünen zwei Prozent zu. So schlecht wie ausgerechnet jetzt haben beide bei Meinungsumfragen in den vergangenen Jahren noch nie abgeschnitten. Enderlein behauptet zwar, dass besagte Umfrage das Stimmungsbild im Land nicht treffe. Die Ergebnisse wirkten wie von der SPD bestellt. Steigende Werte für die Sozialdemokraten und die PDS, fallende für die CDU und die kleinen Parteien. Bei der aktuellen SPIEGEL-Umfrage liege die FDP bei drei Prozent. Doch klingt das eher so, als ob er den Parteifreunden Mut machen will.

Warum schaffen FDP und Grüne es nicht, von der Unzufriedenheit im Land, von der verbreiteten Proteststimmung zu profitieren? Wahlforscher meinen, dass die beiden kleinen Parteien im Duell der großen zerrieben werden. Das öffentliche Interesse, auch das der Medien, konzentriert sich in diesem Wahlkampf auf den Zweikampf Stolpe-Schönbohm. Weil Enderlein die FDP in der Wahrnehmung der Medien benachteiligt sieht, hat er sogar einen zornigen Brief an die Mitglieder der Landespressekonferenz Brandenburg geschrieben und die Verfassung beigelegt: Auch eine kleine Partei, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, habe Anspruch auf öffentliche Resonanz. Er teile die Auffassung nicht, dass eine nicht im Landtag vertretene Partei keinen Anspruch auf größeren Raum in der Berichterstattung habe. Enderlein will seine Teilnahme an der sogenannten Elefantenrunde des ORB am Donnerstag, eingeladen sind nur die Spitzenkandidaten von SPD, CDU und PDS, per einstweiliger Verfügung erzwingen. In erster Instanz scheiterte er. Doch ist Enderlein Realist genug, um die schwierige Situation seiner Partei im größeren Zusammenhang zu sehen. Auf Wahlveranstaltungen wird er immer wieder mit der Frage konfrontiert, warum die FDP eine vernünftige Steuerreform nicht durchgesetzt habe, als sie an der Macht gewesen sei. "Es ist schwer, verlorengegangenes Vertrauen zurück zu holen", sagt Enderlein. Ein weiteres Handicap, mit dem die FDP zu kämpfen habe, sei psychologischer Natur: Die Wähler hätten Angst, dass ihre Stimme, wenn sie FDP wählten, verlorengehe. Das trifft sicherlich auch auf die Grünen zu, die mit dem aktuellen Bundestrend zu kämpfen haben. Denn der Wähler macht sie für das Koalitionschaos, für Renten- und Sparmisere mitverantwortlich. Da beide Parteien im Osten über keine festen Strukturen verfügten, so Wahlforscher, hätten sie es doppelt schwer, gegen den Bundestrend anzukämpfen.

Michael Mara

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