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Genozid: Ruanda und der lange Schatten der Gewalt

Vor 15 Jahren begann der Völkermord in Ruanda, die größte Katastrophe in der Geschichte des Landes, bei der rund 800.000 Tutsis und gemäßigte Hutus ermordet wurden. Was ist in dem afrikanischen Land seither geschehen?

Eine Woche lang, bis zum 14. April, erinnert Ruanda an den Völkermord von 1994. Die Gedenkfeiern begannen am Dienstag mit schweren Vorwürfen des Präsidenten Paul Kagame gegen die internationale Gemeinschaft. „Sie sind abgezogen, bevor nur ein einziger Schuss gefallen war“, sagte Kagame auf dem Nyanza- Hügel in der Hauptstadt Kigali. Dort waren am 11. April 1994 rund 5000 Tutsi von Hutu-Extremisten ermordet worden, nachdem kurz zuvor die zu ihrem Schutz stationierten belgischen Soldaten der Vereinten Nationen abgezogen worden waren.

Ruanda, das seit der Machtübernahme der von Kagame geführten Ruandischen Patriotischen Front (RPF) wirtschaftlich enorme Fortschritte gemacht hat, könnte nun im 15. Jahr nach dem Völkermord von der weltweiten Finanzkrise besonders hart getroffen werden. Viele Angehörige des ruandischen Mittelstandes haben offenbar ihr Geld in den USA investiert – und ziemlich viel davon verloren.

Wie leben die Menschen in Ruanda heute zusammen?

Tutsis und Hutus gibt es in Ruanda nicht mehr. Heute ist es verboten, diese Worte in den Mund zu nehmen. Spannungen zwischen der Hutu-Mehrheit, überwiegend Bauern, und der Tutsi-Minderheit, überwiegend Viehhirten, gab es schon lange. Doch die belgische Kolonialmacht stilisierte die Tutsi zum überlegenen Volk. Bis zur Unabhängigkeit dominierten die Tutsis, danach errichteten die Hutus eine Diktatur. Der Genozid, die größte Katastrophe in der Geschichte Ruandas, bei der rund 800 000 Tutsis und gemäßigte Hutus ermordet wurden, ist heute der Kitt der Gesellschaft. Einigkeit ist Pflicht. Erst im Juni 2008 hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das „Genozid-Ideologie“ verbietet. Damit wird nicht nur Mord aus ideologischen Gründen unter Strafe gestellt, sondern auch die Diffamierung von Menschen. Bestraft werden soll zudem, wer „über das Unglück eines anderen lacht, sich lustig macht, oder Verwirrung stiftet durch die Negation des Völkermords, der stattgefunden hat“.

Ruanda hat rund neun Millionen Einwohner. Es ist ein kleines, überbevölkertes Land. Das Bevölkerungswachstum ist mit rund drei Prozent weiterhin hoch. Inzwischen leben die rund 300 000 überlebenden Opfer des Genozids wieder Seite an Seite mit den Tätern. Seit durch die Dorfgerichte (Gacaca) hunderttausende Täter wieder in ihre Dörfer geschickt worden sind, müssen die beiden Gruppen sich wieder täglich in die Augen sehen. Zugleich ist der Genozid aber so etwas wie der Gründungsmythos für das neue Ruanda geworden. Das macht eine Verarbeitung der Geschehnisse nicht leichter. Kontroversen sind nicht erwünscht. Im Vorfeld der Gedenkwoche hätten viele Opfer psychologische Hilfe gesucht, berichtete der ruandische Psychologenverband.

Wie weit ist die juristische Aufarbeitung des Völkermords gediehen?

Erst Ende 2008 hat das UN-Sondertribunal im tansanischen Arusha mit Oberst Theoneste Bagosora einen der Hauptverantwortlichen für den Völkermord in Ruanda zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Angaben des Tribunals sind von 97 Gesuchten immerhin 84 festgenommen worden. 34 Angeklagte wurden verurteilt, sechs freigesprochen, acht Prozesse sollen demnächst beginnen. Allerdings sind die meisten Drahtzieher bis heute nicht gefasst. Rund 120 000 Hutus waren nach dem Völkermord festgenommen worden. Rund 50 000 davon wurden freigelassen, nachdem sie ihre Verbrechen gestanden hatten und mindestens neun Jahre auf ein Verfahren gewartet hatten. Die seit 2002 eingesetzten Dorfgerichte haben nach eigenen Angaben mehr als 1,5 Millionen verdächtige Hutus abgeurteilt. Die Gacaca-Gerichte wurden eingeführt, weil das Justizsystem Ruandas nicht in der Lage war, hunderttausende Verfahren zu führen. Nach einer Schätzung der Regierung hätte es mit den regulären Gerichten mehr als 100 Jahre gedauert, alle Täter abzuurteilen. Derzeit sitzen etwa 59 000 Personen in ruandischen Gefängnissen, deren Haftbedingungen der Menschenrechtsreport des amerikanischen Außenministeriums als „hart“ bezeichnet.

Wie ist die derzeitige politische Situation?

Ruanda ist politisch stabil. Der Thinktank Freedom-House, der den Grad der Freiheit von Staaten bewertet, und der deutsche Bertelsmann-Index, der ähnliche Kriterien anlegt, führen Ruanda aber nicht unter den freien Staaten. Das Land wird autokratisch regiert, alle Macht geht vom Präsidenten aus. Die Wahlen, zuletzt gab es im September 2008 Parlamentswahlen, haben mehr den Charakter einer „demokratischen Fassade“, wie das Alexander Stroh vom Hamburger Forschungszentrum Giga beschreibt. „Die Regierung in Kigali profitiert von einer Kritikscheu aufgrund des internationalen Nichteingreifens im Genozid sowie seiner betont entwicklungsorientierten Haltung“, schreibt er in einem Bericht über Ruanda. Durch die Frauenquote, die Ruanda den höchsten Frauenanteil aller afrikanischen Parlamente garantiert, werden rund 30 Prozent der Mandate einer Wahl komplett entzogen. Zudem wird die Parteizugehörigkeit der Frauen geheim gehalten. Eine parlamentarische Opposition gibt es ebenso wenig wie Pressefreiheit. Die Regierung in Kigali gilt jedoch vor allem bei Geberländern als effizient und wenig korruptionsanfällig, weshalb die meisten Industriestaaten beträchtliche Summen an Budgethilfe in den ruandischen Haushalt pumpen. Allein Deutschland überweist für 2009 und 2010 zehn Millionen Euro.

Was ist aus den Flüchtlingen geworden?

Nach dem Völkermord flohen rund zwei Millionen Hutus ins Nachbarland Kongo. Bis zu einem verheerenden Vulkanausbruch lebten viele von ihnen in Flüchtlingslagern in Goma am Kivu-See. In der Demokratischen Republik Kongo formierten sich Teile der geflohenen Hutus als Miliz neu. Unter dem Namen Demokratische Kräfte für die Befreiung Ruandas (FDLR) verbreiten diese Milizen bis heute Angst und Schrecken bei der kongolesischen Zivilbevölkerung. Für Ruanda war die Existenz der FDLR zwei Mal Grund, ihre Soldaten in den Ostkongo zu schicken, 1996 und 1998. Zuletzt versuchten ruandische Truppen vor wenigen Wochen, gemeinsam mit der kongolesischen Armee und mit Zustimmung des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila FDLR-Milizen in der Provinz Nord-Kivu zu entwaffnen. Einige hundert Frauen und Kinder, überwiegend Nachkommen der Völkermörder, sind daraufhin nach Ruanda zurückgekehrt.

Was hat die internationale Gemeinschaft durch Ruanda gelernt?

Wenig. Seit 2003 tobt im Westen Sudans ein Krieg gegen die Bevölkerung. Bis heute gelang es nicht, dem Morden ein Ende zu setzen.

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