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© dpa

Israelreise: Papst findet klare Worte im Nahostkonflikt

Benedikt XVI. wagte sich am Mittwoch im Nahostkonflikt ein Stück weiter vor, als am Montag bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Tel Aviv. Er forderte die Politiker auf, jede Möglichkeit zu nutzen, um eine Lösung zu finden - und befürwortet einen palästinensischen Staat.

Die Menge springt auf, 4000 Menschen, dicke, dünne, junge, alte, klettern auf ihre Stühle, jubeln, schreien, wedeln mit Fahnen. Zwei, drei Unglückliche gehen schon krachend zu Boden, weil ihren Plastiksitzen die Beine wegknicken, da stoppt das weiße Papamobil gerade erst vor dem Bethlehem-Friedenszentrum. Es ist eine Stimmung wie bei einem Heimspiel, der Heilige Vater jedoch scheint damit nichts Rechtes anfangen zu können. Er nimmt auf einem aus heimischem Olivenholz geschnitzten Purpursessel Platz und breitet etwas linkisch beide Arme aus. Unvermittelt ruft er dann das lateinische Eröffnungsgebet des Gottesdienstes in den Jubel, so laut, dass die Lautsprecher quietschen und die Menge auf dem Mangerplatz erschrocken verstummt.

Kein persönliches Wort, kein Dank an die seit Stunden in der Sonne wartenden Menschen – der Kontrast zwischen der aufgeregten Menge und dem entrückt an der schattigen Gebäudewand thronenden Pontifex mit goldener Mitra und goldenem Messgewand könnte nicht größer sein.

Wieder empfängt an diesem Mittwoch die Geburtsstadt Jesu einen Papst als Gast. Doch trennen Welten den Tag mit Benedikt XVI. und den Besuch von Vorgänger Johannes Paul II.: Jahre der Intifada liegen dazwischen, Terroranschläge, Straßenkämpfe, wochenlange Belagerung der Geburtskirche durch israelische Soldaten und schließlich der Krieg in Gaza. Bethlehem und Jerusalem sind durch eine teilweise zehn Meter hohe Betonmauer getrennt, die sich wie eine monströse Schlange durch die Landschaft windet. Zwischen den biblischen Schwesterstädten steht ein Grenzterminal, in Glaskabinen lümmeln sich halbwüchsige israelische Wehrpflichtige, bellen über Lautsprecher Befehle nach draußen. Palästinenser dürfen nur passieren, wenn der Computer ihre rechte Hand gescannt hat und sie wiedererkennt. Ein Labyrinth von eisernen Gittergängen führt dann ins Freie auf die andere Seite.

Und mit Benedikt XVI. ist diesmal ein Papst gekommen, der nicht nur durch seine deutsche Herkunft, sondern auch durch selbst verursachte Schadensfälle im Verhältnis zum Judentum, seit der kirchlichen Begnadigung des Holocaust-Leugners Richard Williamson, und zum Islam, seit der Regensburger Rede, in Auftreten und Autorität beschnitten ist. Und es scheint die Devise im Vatikan für diese Reise zu sein: bloß keine weiteren Fehler.

Trotzdem findet Benedikt bei seiner Predigt in Bethlehem zumindest zu dem Gaza-Krieg vom Januar und der seither andauernden Blockade durch Israel klare Worte.

Ausdrücklich begrüßt er die 48 Christen aus dem Küstenstreifen, die es zusammen mit ihrem aus Argentinien stammenden Pfarrer bis Bethlehem geschafft haben. Eigentlich wollten 250 kommen, aber alle, die jünger sind als 50 Jahre, mussten zu Hause bleiben. „Bitte richtet euren Familien und Gemeinden meine Trauer aus über Verluste, Not und Leid, die ihr erdulden musstet.“ Den 1,5 Millionen Einwohnern von Gaza erklärte der Papst „meine Solidarität für die enorme Aufgabe des Wiederaufbaus, der vor euch liegt, und meine Gebete, dass das Embargo bald aufgehoben werden wird.“

Damit wagte sich der Papst vor den palästinensischen Christen im Westjordanland ein Stück weiter vor als am Montag bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Tel Aviv. Er befürworte die Gründung eines palästinensischen Staates und bitte die verantwortlichen Politiker dringend, jede Möglichkeit zu nutzen, um eine gerechte Lösung für die ungelösten Schwierigkeiten zu finden, ließ er die nahezu vollständig angetretene israelische Staatsspitze da wissen. Die Zwei-Staaten-Lösung jedoch steht für die konservative Regierung Netanjahu nicht auf der Agenda. Und Israels rauflustiger Außenminister Avigdor Lieberman erklärte postwendend, dies Thema zu diskutieren sei nicht Gegenstand des Papstbesuches – ein Affront, den eine israelische Regierung 2000 gegenüber Johannes Paul II. niemals gewagt hätte.

Die örtlichen Christen können solchen Zuspruch aus Rom gut gebrauchen. Sie verlieren an Bedeutung. Während 1948 in Bethlehem von 8000 Einwohnern 6000 Christen waren, sind es heute von 25 000 nur noch 8000, und wer kann, wandert aus. Aber nicht nur der Dauerkonflikt mit den Israelis, die Strangulierung der Stadt durch Mauer, Arbeitslosigkeit, Verarmung und mangelnde Bewegungsfreiheit, auch gelegentliche Reibereien im Zusammenleben mit der muslimischen Mehrheit prägen den Alltag.

In diesem schwierigen Umfeld arbeitet seit mehr als fünf Jahrzehnten das Caritas Baby Hospital im Norden Bethlehems, in dem jedes Jahr 30 000 Kinder aus dem gesamten Westjordanland behandelt werden. Finanziert durch private kirchliche Spender aus Europa, will man hier vor allem für Menschen da sein, die im Schatten des Nahostkonfliktes stehen – Kinder und ihre Mütter.

Nachdem Benedikts Papamobil am Nachmittag auf den Hof gefahren ist, geleiten ihn die palästinensische Chefärztin Hiyam Awad Marzouqa und die deutsche Pflegechefin Erika Nobs ins Haus. Die 57-jährige Ordensschwester war es auch gewesen, die sich vergangenes Jahr kurz vor Weihnachten ein Herz fasste, Joseph Ratzingers älteren Bruder Georg in Regensburg anrief, dem verdutzten alten Herrn Weihnachtswünsche aus Bethlehem übermittelte und dann mit der Tür ins Haus fiel: Ob sein Bruder Papst nicht beim Besuch im Heiligen Land auch im Kinderkrankenhaus vorbeischauen könnte?

Und nun ist er tatsächlich da. Er segnet hinter der orangegelben Doppeltür von Station A den 13 Tage alten Elias aus einer christlichen Familie, der Nahrung verweigert und immer schwächer wird. Vorsichtig mustert er das viel zu früh geborene Mädchen Darin, vor drei Monaten in einer muslimischen Familie aus Hebron auf die Welt gekommen. Die kleine Sadil nahm der Papst gar auf den Arm und streichelte sie. Sie wächst nicht mehr, ihre Mutter hat nicht genug Milch und das Baby in ihrer Verzweiflung mit gesüßtem Kamillentee gestillt. Mangelernährung und Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt in den Familien seien die Hauptprobleme für das Kinderelend, erläutert die in Würzburg ausgebildete Chefärztin Marzouqa dem hohen Gast. Aber auch, dass besonders schwierige Fälle wegen der bürokratischen Schikanen und der über 200 Checkpoints nicht mehr in israelische Spezialkliniken überwiesen werden können.

Niemand im Hospital hat sich auf diesen Tag so gefreut wie Baschir. 170 Mal wurde er in seinem kurzen Leben schon eingeliefert, dass er noch lebt, ist ein Wunder. Baschir leidet an einer seltenen Krankheit, an der Kinder normalerweise innerhalb der ersten vier Jahre sterben. Inzwischen ist er 17, auch wenn er aussieht wie elf. Den Anzug hat ihm sein älterer Bruder gekauft. „Ahlan wa Sahlan“ sagt er – herzlich willkommen –, als er dem Papst vorgestellt wird. Etwas linkisch hält Baschir dann dem Gast eine Krippe aus Olivenholz hin, von Schwester Erika im „Bethlehem Masters“-Geschäft in der Mangerstraße besorgt.

Nach einer guten halben Stunde setzt sich der Tross des Papstes wieder in Bewegung, es geht in Richtung Aida-Flüchtlingslager an der ehemaligen Straße nach Jerusalem, das seit dem Krieg von 1948 existiert. Den Eingang des Lagers markiert ein braunes Betontor in Form eines Schlüssellochs, quer darauf ein mannsgroßer Schlüssel mit der Aufschrift „Nicht zu verkaufen“. 5000 Menschen leben hier zusammengepfercht auf einem halben Quadratkilometer. Nach offiziellen Angaben der UN hausen in solchen Lagern gut 1,3 Millionen Palästinenser, die mit ihren Nachkommen aus den Kerngebieten des heutigen Israels stammen.

Für ihre medizinische Versorgung und Schulbildung, teilweise auch ihre Ernährung zahlen seit über 60 Jahren die Vereinten Nationen. Eigentlich wollte das 15-köpfige Vorbereitungskomitee aus dem Lager, dem auch ein Vertreter von Präsident Mahmud Abbas angehört, den Papst auf einer hastig konstruierten Freilichtbühne direkt unter der in den Himmel ragenden israelischen Sperrmauer empfangen. Den Bildern des Papstes an der alten Jerusalemer Klagemauer wollten die Camp-Bewohner hier Bilder des Papstes an der neuen Bethlehemer Mauer entgegensetzen – ein Plan, der am harten Veto Israels scheiterte. Vor zwei Wochen erschienen sogar israelische Soldaten auf der Baustelle, fotografierten die palästinensischen Arbeiter, drohten ihnen mit Gefängnis.

Als Benedikt XVI. am frühen Abend als letzte Station seines Bethlehemtags im Lager eintrifft, hängen die Menschen an den Fenstern, um einen Blick zu erhaschen. Über die frisch gestrichene Schulhofmauer der UN-Jungenschule, wo der päpstliche Auftritt nach langem Hin und Her schließlich stattfindet, schallt per Lautsprecher die hohe Stimme des katholischen Oberhauptes. „Eure legitimen Ansprüche auf eine permanente Heimat und einen unabhängigen palästinensischen Staat sind bis heute unerfüllt“, ruft er der still lauschenden Menge zu. Stattdessen „seid Ihr gefangen in einer Spirale von Gewalt, von Angriff und Gegenangriff, von Vergeltung und fortschreitender Zerstörung“. Während in aller Welt immer mehr Grenzen fielen „ist es tragisch zu sehen, dass immer noch Mauern aufgerichtet werden“, fügte der Papst hinzu. Die ganze Welt sehne sich danach, dass diese Spirale endlich gebrochen werde.

Und dass Friede endlich dem Kämpfen ein Ende mache. An beide Seiten appellierte der Papst „Mut und Größe“ zu zeigen, das Misstrauen zu überwinden und Versöhnung zu suchen. Dankbar beklatschen die Bewohner seine Worte, beschenkt mit einer durch traditionelle Stickereien verzierte Stola steigt er nach einer guten Stunde zurück in sein Papamobil. Nach einigen Metern lässt der Pontifex anhalten, fährt die seitliche Panzerglasscheibe herunter und schüttelt lächelnd die Hände der herandrängenden Menschen. „Bitte vergessen Sie uns nicht“, ruft ihm ein junger Mann zu. „Ich werde Euch nicht vergessen“, antwortet ihm Benedikt, während sein Wagen langsam entlang der Sperrmauer die abschüssige Straße davonrollt.

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