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Radioaktiver Abfall: Atommüll auf dem Grund der Ostsee

In der Ostsee liegt offenbar nicht nur deutsches Giftgas, das nach dem Krieg von den Alliierten dort versenkt worden war. Nach einem Bericht des rennomierten schwedischen Reportagemagazins Uppdrag Granskning des öffentlich rechtlichen Senders SVT lagern dort auch radioaktiver Abfall und chemische Kampfstoffe aus russischen Beständen.

In der Ostsee liegt offenbar nicht nur deutsches Giftgas, das nach dem Krieg von den Alliierten dort versenkt worden war. Nach einem Bericht des renommierten schwedischen Reportagemagazins „Uppdrag Granskning“ („Auftrag Aufklärung“) des öffentlich-rechtlichen Senders SVT lagern dort auch radioaktiver Abfall und chemische Kampfstoffe aus russischen Beständen. Sie sollen nach Informationen des schwedischen Ex-Geheimdienstlers Donald Forsberg zwischen 1990 und 1992 vor der Küste der schwedischen Urlaubsinsel Gotland verklappt worden sein und von der Marinebasis Karosta im lettischen Liepaja stammen. Die russische Marine dementierte den Bericht. Die Vorwürfe seien „völliger Unsinn und eine eindeutige Provokation“, sagte der frühere Kommandeur der baltischen Flotte, Wladimir Jegorow, am Freitag der Agentur Interfax.

„Wir müssen noch auf nähere Details zu den Atommüllvorwürfen in der Ostsee warten, bevor sich der Minister zu dem Sachverhalt äußern kann“, sagte der Pressesprecher des bürgerlichen Umweltministers Andreas Carlgren dem Tagesspiegel. Allerdings dürften ihm und seiner Regierung die Vorwürfe durchaus in den Vorwahlkampf passen. Derzeit liegen die Sozialdemokraten in den Umfragen deutlich vorn. Der eigentliche Skandal, das Verschweigen des Vorgangs durch die schwedischen Behörden, fällt nämlich in die Regierungszeit der sozialdemokratischen Vorgängerregierung. Offenbar erfuhren der schwedische Militärgeheimdienst Must und die Regierung bereits 1999 oder 2000 von der Atommüllverklappung. Die Behörden schwiegen, obwohl die auf dem Grund der Ostsee liegenden Kampfmittel in der Diskussion über die Ostseepipeline eine wesentliche Rolle spielten. Die schwedische Umweltbehörde prüfte die Pipeline-Anträge eingehend, hatte aber keine Bedenken, als Schweden im vergangenen Jahr dem Bau fast zeitgleich mit Dänemark und Finnland zustimmte. Die Regierung, die im Herbst Gastgeber des EU-Russland-Gipfels war, soll sogar mit großem Engagement hinter den Kulissen die kritischeren Nachbarländer, vor allem Finnland, zur Unterzeichnung überredet haben, hieß es in Stockholmer Diplomatenkreisen.

Ein Sprecher des Stockholmer Außenministeriums sagte dem TV-Sender, die damalige Außenministerin, die drei Jahre später ermordete Anna Lindh, sei über die Berichte „sehr aufgebracht“ gewesen und habe Aufklärung verlangt. Das Verteidigungsministerium habe das jedoch blockiert. Ihr sozialdemokratischer Kabinettskollege Björn von Sydow habe es für zu teuer und zu gefährlich gehalten, ohne genaue Kenntnis der Verklappungsorte nach dem Atommüll zu suchen. Björn von Sydow sagte am Freitag, er könne sich an den Vorgang nicht erinnern.

Der russische Ökologe Alexej Jablokow, der aufgedeckt hat, dass Russland große Mengen radioaktiven Mülls im nördlichen Eismeer und im Westpazifik versenkt hat, hält es für „ausgeschlossen“, dass die russische Armee auch nukleare Abfälle in der Ostsee verklappt hat, sagte er dem schwedischen Rundfunk. Allerdings zitiert die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ den lettischen Militärhistoriker Jurik Rakis mit den Worten: „Als die Basis nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geräumt wurde, gab es enorme Mengen Kriegsmaterial, keinen Lagerplatz in Russland, keine Transportmöglichkeiten und kein Geld.“ Die Ostsee gilt übrigens auch ohne russischen Atommüll auf dem Meeresgrund als eines der am schwersten radioaktiv verseuchten Meere der Welt. Grund ist der Super-Gau im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl. Die radioaktive Wolke hat nicht unbeträchtliche Teile ihrer Fracht über dem erst nach der Eiszeit vor etwa 12 000 Jahren entstandenen Meer abgeworfen. Der Wasseraustausch des flachen Brackwassermeeres dauert Jahrzehnte. Darüber hinaus lässt sich in der Ostsee immer noch der „Fallout“ der oberirdischen Atomwaffentests der 50er und 60er Jahre nachweisen. Zudem gibt es rund um die Ostsee eine Vielzahl von Atomanlagen, aus denen ebenfalls verseuchte Zuflüsse ins Meer gelangen.

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