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Paul Salem (49) ist Direktor des Middle East Centers der Carnegie Stiftung in Beirut. Der libanesische Wissenschaftler hat an der Harvard Universität studiert und ist Autor zahlreicher Bücher über den Nahen und Mittleren Osten. 

© Carnegie Stiftung

Interview: "Die Spannungen werden steigen"

Paul Salem, Direktor des Middle East Centers der Carnegie Stiftung in Beirut, über des Folgen des Waffeneinsatzes israelischer Soldaten gegen sechs Schiffe mit Hilfsgütern.

Herr Salem, der Waffeneinsatz israelischer Soldaten gegen sechs Schiffe mit Hilfsgütern hat weltweit Empörung ausgelöst. Bedeutet dies das Ende der israelischen Blockade des Gazastreifens?

Ich rechne nicht mit einer dramatischen Änderung der Blockade-Politik – auch wenn das für die betroffene palästinensische Bevölkerung sehr bedauerlich ist. Die Spannungen werden steigen, aber Israel und die Vereinigten Staaten werden ihren Druck auf Hamas nicht verringern. Die israelische Regierung wird die eine oder andere Konzession machen, um die internationale Erregung abzufedern. Man wird die Blockade etwas lockern, aber mehr nicht.

Die Türkei war bisher ein enger Verbündeter Israels. Nun ist die Empörung hier besonders groß, weil offenbar die Mehrzahl der Opfer türkische Bürger sind. Was bedeutet das für Israels Lage in der Region?

Das Verhältnis zwischen der Türkei und Israel hat sich vor allem seit dem Gazakrieg Anfang 2009 spürbar verschlechtert. Trotzdem blieb alles bisher in moderaten und diplomatisch abgesteckten Bahnen. Das wird sich ändern. In der Türkei wird der Vorfall vor der Gazaküste fast wie ein militärischer Angriff wahrgenommen. Die türkische Öffentlichkeit ist außer sich. Durch diese Aktion hat sich Israel in der Region wahrscheinlich einen neuen Feind gemacht. Wenn man von den Überfallen der kurdischen PKK mal absieht – wann war es das letzte Mal, dass türkische Staatsbürger von einer fremden Armee getötet wurden? Ich kann mich nicht erinnern.

Welche Folgen hat dieses Zerwürfnis für die Region?

Ankara hat lange im Verhältnis zwischen Israel und Syrien vermittelt. Auch hat die Türkei neben dem Iran den größten Einfluss im Irak. Für seine wirtschaftliche Entwicklung braucht die Türkei regionale Märkte, aber auch viel Öl und Gas. Darum wird sich Ankara künftig stärker dem Iran und den arabischen Golfstaaten zuwenden. Die Türkei wird ihre regionale Position neu bestimmen – und zwar ohne große Rücksicht auf Israel.

Diese Woche jährt sich die Rede von Barack Obama an die muslimische Welt in Kairo. Steht der US-Präsident nach dem Gaza-Vorfall vor den Trümmern seiner guten Absichten?

Obama wird in der Region nicht nur an seiner Israel-Politik gemessen. Andere Themen sind Irak, Afghanistan und Iran. Auch in der arabischen Welt gibt es starke Vorbehalte gegenüber Teherans Atomplänen - und die amerikanische Politik gilt als durchaus vernünftig. Mit seiner Rede in Kairo hat der US-Präsident vor allem die kulturelle Feindseligkeit gegenüber der muslimischen Welt beendet. Und das zeigt bis heute Wirkung.

Die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Catherine Ashton, fordert offen das Ende der Gaza-Blockade. Was zählt hier die Meinung der Europäer?

Die EU möchte im Nahen Osten eine Veränderung der Politik. Die Gaza-Forderung von Ashton ist dafür nicht der einzige Indikator. Die Europäer befürworten auch Gespräche mit Hamas und unterstützten ausdrücklich die Reformpolitik des palästinensischen Ministerpräsidenten Salam Fajad in der Westbank. In ihren politischen Überlegungen hat die EU also eine Vorreiterfunktion. Aber sie lässt ihren Worten keine Taten folgen. Sie stützt ihre politischen Forderungen – auch wegen der Haltung Deutschlands - nicht durch entschiedene Konsequenzen ab. Das weiß Israel. Darum fühlt es sich wegen seiner bisherigen Politik nicht allzu sehr unter Druck.

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