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Dirk Niebel.

© dpa

Interview: "Diese Vorwürfe grenzen an Desinformation"

Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel spricht im Interview über die Kritik von NGOs an der Verknüpfung von militärischer und ziviler Hilfe für Afghanistan.

In Masar-i-Scharif hat es einen Anschlag auf das UN-Büro gegeben. Müssen auch deutsche Helfer im Norden Afghanistans um ihr Leben fürchten?

Es ist furchtbar, was sich in Masar-i-Scharif ereignet hat. Es geht mir auch persönlich nahe, denn ich hatte mich erst zwei Tage vor dem Überfall mit Pawel Jerschow, dem Leiter des UN-Büros in Masar, getroffen. Er wurde bei der Tat verletzt. Die Ereignisse zeigen, dass wir die Sicherheitslage ständig neu bewerten müssen. Im überwiegenden Teil Nordafghanistans können unsere zivilen Entwicklungsprojekte aber uneingeschränkt weiterlaufen. Es gibt nur sehr wenige Gebiete, in denen wir nicht tätig sein können.

Sie sind angetreten, die zivile Hilfe für Afghanistan enger mit dem Militäreinsatz zu verzahnen. Bei nicht-staatlichen Hilfsorganisationen kam dieses Konzept nicht gut an. Der Vorwurf: Die Helfer sollen in den Militäreinsatz eingebettet werden. Ärzte ohne Grenzen hat das gerade erst wieder kritisiert.

Diese Vorwürfe grenzen an Desinformation, und ich wundere mich, dass sie noch immer erhoben werden. Von einer Einbettung war nie die Rede. Es geht vielmehr um eine enge Koordination und Abstimmung. Wenn Hilfsorganisationen frühzeitig über militärische Operationen informiert sind, können sie ihre Planungen darauf einstellen und schneller dort aktiv werden, wo Gebiete gesichert sind. Nur so können wir für die Menschen in den betroffenen Regionen eine Friedensdividende erreichen. In der Praxis ist dieses Konzept akzeptiert. Dafür spricht auch, dass die zehn Millionen Euro, die wir für private Träger im Rahmen des vernetzten Ansatzes ausgeschrieben hatten, schnell ausgeschöpft waren. Für dieses Jahr habe ich daher weitere zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Im Sommer werden die ersten afghanischen Städte und Regionen an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben. Hat das Auswirkungen auf die Entwicklungszusammenarbeit?

Ich gehe davon aus, dass sich die Situation durch die Übergabe verbessern wird, denn die Afghanen werden sich künftig noch stärker selbst für die Sicherheit in ihrem Land verantwortlich fühlen. Das wird sich auch auf die Entwicklungszusammenarbeit positiv auswirken.

Schwindet mit der Übergabe der Verantwortung nicht andererseits die Kontrolle des Westens, etwa bei der Korruptionsbekämpfung?

Für die deutsche Zusammenarbeit sehe ich da keine Gefahr, denn unser Geld fließt in konkrete Projekte deutscher Durchführungsorganisationen oder anderer langjähriger Partner und nicht etwa in das afghanische Budget. Außerdem knüpfen wir unsere Zusagen an die Afghanen an Ziele. Erst wenn diese erreicht sind, werden neue Gelder ausgezahlt.

Insgesamt kommt Deutschland seinen Verpflichtungen in der Entwicklungszusammenarbeit nicht nach, wie die neuesten Zahlen der OECD zeigten. 2010 sollten 0,51 Prozent des deutschen Inlandsprodukts in die Entwicklungshilfe fließen, es waren aber nur 0,38 Prozent.

Gegenüber dem letzten Jahr hat Deutschland seine öffentliche Entwicklungsarbeit um rund zehn Prozent gesteigert. Angesichts der Wirtschaftskrise ist das eine enorme Leistung der Steuerzahler. Und wir sind auch weiter bestrebt, unsere internationalen Verpflichtungen zu erreichen. Dazu benötigen wir allerdings innovative Finanzierungsmodelle. Denkbar wäre etwa ein Entwicklungsschatzbrief. Allein mit Steuergeldern werden wir es nicht schaffen.

Das Gespräch führte Ulrike Scheffer.

Dirk Niebel ist Mitglied des Bundestags und seit 2009 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der FDP-Politiker ist 48 Jahre alt.

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