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Flüchtlinge sollen es aus dem Sudan möglichst nicht nach Europa schaffen. Das ist der wesentliche Zweck der Migrationspartnerschaft zwischen der EU und dem Sudan. Das Foto zeigt ein Mädchen in Darfur.

© Stugart Price/Amis/AFP

Exklusiv

Interview mit dem EU-Entwicklungskommissar: "Ich bin immer für Kooperation statt Isolation"

EU-Enwicklungskommissar Neven Mimica über die Migrationspartnerschaft mit dem Sudan, die vor allem der Flüchtlingsabwehr dient und über den Versuch, über Entwicklungspolitik Fluchtursachen zu bekämpfen.

Die Europäische Union arbeitet seit Jahren mit verschiedenen afrikanischen Regierungen zusammen, um junge Leute möglichst daran zu hindern, nach Europa zu flüchten. Die Vereinbarungen heißen Valletta-Prozess oder Khartum-Prozess. Welche Erfahrungen hat die EU damit bisher gemacht?

Der Valletta-Prozess, der Valletta-Gipfel und der damit verbundene Aktionsplan sind die konkrete  Verknüpfung zwischen Migration und Entwicklung. Von Beginn an hat die Europäische Union zweigleisig gehandelt. Einerseits im Inneren. Da ging es um die Anpassung an die Situation, um das Asylverfahren, um Grenzsicherung und Solidarität zwischen den EU-Staaten bei der Verteilung der Migranten und vor allem der Flüchtlinge. Auf der anderen Seite geht es darum, die Gründe für die Migration an ihren Ursprüngen anzugehen. Valletta war die Anerkennung, dass Migration eine gemeinsame Aufgabe ist. Dass es um eine Entwicklungspartnerschaft mit den Ursprungsländern vor allem in Afrika geht. Der Valletta Aktionsplan enthält alle fünf Säulen unserer Migrationspolitik: Ursachen der Migration bekämpfen, illegale Migration verhindern, indem Menschenschmuggel bekämpft wird, aber auch ein besseres Management der Migration, Hilfen für die Transitländer auf den Migrationsrouten, und wir arbeiten zusammen, um irreguläre Migranten wieder zurückzuführen. Das Ziel ist, Migration für beide Seiten vorteilhaft zu gestalten. Es ist nicht einfach, es ist sogar ziemlich schwierig. Manchmal scheitern wir, vor allem in bestimmten Ländern. Aber alles in allem sind wir uns einig zu versuchen, den Menschen in ihrer Heimat einen Perspektive zu geben, anstatt sie aus Verzweiflung flüchten zu sehen. Wir wollen die illegalen Migrationsströme in legale Migrationsbewegungen umwandeln. Wer sein Land verlassen will, soll das aus freien Stücken tun und unter besseren Bedingungen. Das ist das Ziel unserer Politik.

Das ist die Vision. Aber wenn man diese ganzen Schlagwörter mit der Realität vergleicht, bleibt nicht viel übrig. Zum Beispiel legale Migration. Welche legalen Einwanderungswege bietet die EU denn an? In Deutschland haben wir jedenfalls keine rationale Debatte über legale Migration. Und wir sind womöglich nicht einmal die schlimmsten in Europa.

Die legale Migration ist sozusagen das höchste Ziel unseres Engagements. Wir sind da noch nicht angekommen. Wir versuchen, die Wirkung unserer Entwicklungsprojekte zu erhöhen, um eine bessere wirtschaftliche und soziale Lage in den Ursprungsländern zu schaffen. Wir investieren im Jahr mehr als 20 Milliarden Euro in Entwicklungsprojekte in Afrika. Wir haben aber gelernt, dass das nicht ausreicht. Zum einen in der Quantität, aber auch beim Tempo und der Wirksamkeit. Deshalb haben wir neue, schnellere Instrumente eingeführt, die Jobs schaffen, Ausbildungsplätze oder Training ermöglichen sollen. Wir sind dabei, einen Investitionsplan aufzustellen, der bis zu 44 Milliarden Euro Investitionen generieren kann – oder sogar weit mehr, wenn Partner ihren Beitrag leisten. Schon 2015 haben wir einen Treuhandfonds geschaffen, in dem mehr als 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, um vor allem in Beschäftigung zu investieren. Daraus sollen aber auch ein besseres Migrationsmanagement und eine bessere Grenzsicherung finanziert werden. Es geht darum, den Schmuggel zu bekämpfen, die Rückführung zu managen und die Re-Integration der Rückkehrer zu unterstützen. Die legale Migration nach Europa ist ein wohl noch weit entferntes Ziel.

Neven Mimica ist seit 2014 EU-Entwicklungskommissar. Der kroatische Sozialdemokrat war in den fünf Jahren zuvor Verbraucherkommissar.
Neven Mimica ist seit 2014 EU-Entwicklungskommissar. Der kroatische Sozialdemokrat war in den fünf Jahren zuvor Verbraucherkommissar.

© Daniel Irungu/picture alliance / dpa

Wir haben gute 50 Jahre Erfahrung mit Entwicklungshilfe. Die Ergebnisse sind bescheiden. Und waren es auch immer. Ganz egal, welcher entwicklungspolitischen Mode man folgt: Ob man Budgethilfe gibt, oder Tausende kleine Projekte fördert. Von außen kann man einfach kaum beeinflussen, was in einem Land passiert. Und wir würden uns das ja auch nicht gefallen lassen. Es braucht offenbar einen hochentwickelten politischen Dialog. Gibt es den zwischen der EU und den afrikanischen Ländern?

Unsere Entwicklungszusammenarbeit war stark ODA-fixiert; ODA, die staatliche Entwicklungshilfe, die aus Zuwendungen, Krediten und direkten Investitionen in Projekte besteht. Aber wir haben alle verstanden, dass die staatliche Entwicklungshilfe nicht ausreicht, um ein hinreichendes Wachstum in den armen Staaten zu erzielen. Es ist nicht genug Geld, um die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs), zu erreichen. Wir müssen von Milliarden zu Billionen kommen. Die weltweite offizielle Entwicklungshilfe erreicht im Jahr um die 250 bis 300 Milliarden Dollar. Das sind vielleicht zehn bis 15 Prozent der Entwicklungserfordernisse. Wenn wir in Europa denken, dass unsere Entwicklungshilfe dafür reichen könnte, ist das ein Irrtum. Deshalb arbeiten wir an einem neuen Paket. Darin stecken natürlich unsere staatlichen Mittel, vor allen in den am wenigsten entwickelten Staaten sind sie weiter wichtig. Aber das muss ergänzt werden durch private Investoren und die Mobilisierung von Mitteln im eigenen Land. Dazu braucht es gute Politik, eine gute Regierungsführung, um Entwicklungsfortschritte zu sehen. Wir bemühen uns, die Privatwirtschaft besser in die Entwicklungspolitik zu integrieren. Es geht um Investitionen, die dazu beitragen, die SDGs zu erreichen. Wir arbeiten an einem Europäischen Investitionsfonds. Wir stellen vier Milliarden Euro über diesen Fonds zur Verfügung, die dazu dienen, Garantien und Verlust-Absicherungen für private Investitionen in Entwicklungsländern zu bieten. Konservativ geschätzt kommen wir damit auf das Zehnfache der Summe an Investitionen allein in Afrika. Das ist groß, und das ist neu. Aber wir dürfen diese Investitionen nicht nur als Mittel zum Gewinn für die Investoren sehen. Sie müssen auch einen Entwicklungsfortschritt bringen. Ein Aufsichtsgremium soll das überprüfen, und da sitzen nicht nur Finanzleute drin. Es muss auch um Werte wie die Einhaltung von Arbeitsnormen, Steuerehrlichkeit und ähnliches gehen. Investiert werden kann in Landwirtschaft, Gesundheit, digitale Infrastruktur, Verkehrsinfrastruktur oder in die Energieversorgung. Das soll nicht nach dem Prinzip gehen: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Gibt es den Fonds schon?

Derzeit wird er zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Unionverhandelt. Wir erwarten, dass er demnächst beschlossen wird. Ich hoffe, dass der Fonds im Herbst arbeitsfähig ist und die ersten Investitionen stattfinden können.

Sie haben über gute Regierungsführung gesprochen. Die EU arbeitet mit Partnern zusammen, die ihren Ruf ganz schön ramponieren. Zum Beispiel dem Sudan. Die neue Migrationspartnerschaft führt dazu, dass ein Dschandschawid-General – das ist die Truppe, der im Darfur Kriegsverbrechen und ein versuchter Völkermord vorgeworfen wird – nun öffentlich behaupten kann, er handele im Namen der EU. Selbst wenn er gelogen haben sollte, ist das für die EU doch ein Problem, oder?

Unsere Haltung in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern wird von der Achtung der Menschenrechte, der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien und demokratischen Werten geleitet. Unsere Hilfe ist immer verbunden mit diesen Werten. Es gibt Partnerländer, die das nicht mögen. Sie sehen das als zu stark konditioniert oder zu anspruchsvoll an. Aber in den meisten Fällen gibt es einen politischen Dialog über die Menschenrechte. Die Frage ist immer, was ist effektiver. Ist es Isolation von Ländern, die die Menschenrechte nicht respektieren? Oder sollten wir in einen Dialog eintreten? Damit sie näher an die von uns erhofften Standards herankommen. Aus meiner Sicht ist es immer besser, in Partnerschaft zu arbeiten als sie isoliert und abgeschnitten zu halten. Manchmal geht es allerdings auch nicht. Da müssen wir unsere Kooperation mit der Regierung beenden und können nur noch mit Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) zusammenarbeiten. In Eritrea, dem Sudan oder Gambia bis vor ein paar Monaten versuchen wir einige Elemente unserer Kooperation zu erhalten, für die wir die Regierungen nicht brauchen. Dann geht das Geld nicht direkt an die Regierungen. Im Sudan haben wir eine Kooperation in Sachen Migration. Aber nur wenn es darum geht, gemeinsam den Schmuggel von Migranten zu bekämpfen. Es geht nicht über Regierungskanäle.

Sind die EU und der Sudan einer Meinung darüber, wer die Schmuggler sind?

Ich denke schon. Wir und sie wissen, auf den wir da abzielen.

Sind Flüchtlinge im Sudan durch die EU-Kooperation sicherer, insbesondere Eritreer, die dort in großer Zahl im Transit entführt werden?

Es gibt einige Daten, die darauf hindeuten, dass die Zahl der Schmuggler zurückgegangen ist. Es funktioniert besser als wir es erwartet hatten.

Wie viel Einfluss kann die EU denn nehmen?

Unser Einfluss ist natürlich begrenzt, wenn es um die interne politische Agenda im Sudan geht. Der Sudan gehört nicht zu den Staaten des Cotonou-Abkommens und seiner Nachfolgeabkommen. Wir haben keine Entwicklungsprojekte im Sudan mit der Regierung. Wir haben auch keinen richtigen politischen Dialog. Was wir unter der Migrations-Agenda haben, hat mit Entwicklung und politischem Dialog noch nicht viel zu tun. Wir würden aber gerne sehen, wenn der Sudan aus seiner Isolation herauskommen würde. Es wäre gut, wenn der Sudan das Cotonou-Nachfolgeabkommen akzeptieren würde. Denn dann gäbe es einen Rahmen für politischen Dialog und Entwicklungszusammenarbeit.

Das Türkei-Abkommen und die Schließung der Balkan-Route haben nicht dazu geführt, dass die Flüchtlinge verschwunden sind. Wie kann die EU die Menschen, die unterwegs irgendwo gestrandet sind, besser versorgen?

Uns ist klar, dass die zentrale Mittelmeerroute aus Afrika unser zentrales Handlungsfeld sein sollte. Es ist nicht leicht, mit den Migrationsströmen in Libyen fertig zu werden, ohne eine stabile Regierung dort. Das Türkei-Abkommen kann in Libyen nicht wiederholt werden. Was wir tun können, ist uns um die Flüchtlinge zu kümmern, die in Libyen oder in Niger gestrandet sind, und besser mit denjenigen umzugehen, die Italien erreichen. Wir wollen die libysche Küstenwache besser ausbilden und ihre Ausrüstung verbessern. Noch wichtiger ist es, den Gestrandeten in Libyen zu helfen, vor allem über die Internationale Migrationsorganisation (IOM) und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Wir haben 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Rückkehrwilligen zu helfen, nach Hause zu kommen und dort eine Beschäftigung zu finden und ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Damit wollen wir den Druck auf diese Route möglichst vermindern. Das ist noch am Anfang.

Wenn alles funktioniert, wie Sie sich das vorstellen. Dann ist es immer noch so, dass bessere Lebensbedingungen zunächst einmal dazu führen, dass Menschen überhaupt auswandern können. Was tun sie, wenn Ihre Politik letztlich zu mehr Migration führt?

Das ist eine gute Frage, was wir tatsächlich erreichen. Tragen wir zur Entwicklung bei und halten die Menschen eher im Land? Oder führen unsere Investitionen tatsächlich zu mehr Migration? Ich denke, dass wir unsere Zusammenarbeit fortsetzen müssen. Es geht um Solidarität, und das gehört zum Gen-Code der Europäischen Union. Ein wichtiger Teil der Außenpolitik der EU, in der sie besonders stark ist, ist die Entwicklungskooperation. Und das soll auch so bleiben. Ich hoffe, dass das nicht zu einem weiteren Migrationsschub führt. Man geht doch nicht weg, nur weil das Leben anderswo noch besser sein könnte. Entwicklungskooperation ist ein langfristiges Geschäft. Das entmutigt uns aber nicht.

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