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Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament.

© Michael Kappeler/ picture alliance /dpa

Interview mit EVP-Fraktionschef Weber: "Ein Beitritt der Türkei macht keinen Sinn"

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, fordert ein hartes Vorgehen gegen die Regierung in Ankara - nicht nur in Berlin, sondern auch auf EU-Ebene.

Herr Weber, wann waren Sie zuletzt in der Türkei?
Das war im Februar 2016 bei einem Besuch in Ankara. Regierungsverantwortliche wie den Premierminister sehe ich zudem regelmäßig.
Seit Februar 2016 haben sich die Beziehungen zwischen Berlin und Brüssel auf der einen Seite sowie Ankara auf der anderen Seite deutlich verschlechtert. Sehen Sie überhaupt noch eine Chance für einen EU-Beitritt der Türkei?
Die Türkei bewegt sich deutlich weg von der Europäischen Union und unseren Werten. Ich bin froh, dass die Bundesregierung nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner ein klares Signal nach Ankara geschickt hat. Der Europäische Rat muss das jetzt auch machen. Die EU hat mehrfach mit verschiedenen Initiativen die Hand Richtung Türkei ausgestreckt, der türkische Präsident Erdogan hat diese Hand mehrfach ausgeschlagen. Ein Beitritt der Türkei zur Europäischen Union macht keinen Sinn.
Welche konkreten Schlüsse ziehen Sie daraus?
Die EU sollte sich das Ziel setzen, die Beitrittsgespräche zu beenden. In einem ersten Schritt sollten die Staats- und Regierungschefs bei nächster Gelegenheit beschließen, die Gespräche zunächst einmal auszusetzen. So hat es ja das Europäische Parlament auch schon gefordert.
Glauben Sie, dass sich die 28 EU-Staaten tatsächlich zur formalen Aussetzung der Gespräche durchringen werden?
Es wäre zu wünschen. Wir begrüßen es, dass Außenminister Gabriel mit seinem neuen Kurs gegenüber der Türkei nun auch auf die Linie einschwenkt, wie sie von CDU und CSU schon lange vertreten wird. Auf der Ebene der EU-Außenminister hat sich Gabriel allerdings zuletzt geweigert, für eine Aussetzung der Türkei-Gespräche einzutreten. Es wäre an der Zeit, wenn sich der Außenminister auch auf EU-Ebene für einen klaren Kurs gegenüber der türkischen Regierung stark macht.
Und was erwarten Sie von der nächsten Bundesregierung nach der Wahl im September mit Blick auf die Türkei-Politik?
In Wahlprogramm von CDU und CSU heißt es klar, dass wir eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU nicht wollen. Die Beitrittsgespräche, die von Anfang an eine Illusion waren, müssen komplett beendet werden. Denn die letzten Jahre haben uns eher von der Türkei entfremdet, zumal die Gespräche von beiden Seiten ja nie ehrlich geführt wurden. Die SPD hat in dieser Frage keine klare Position. Wenn die Union die Wahl gewinnt, dann werden sich die anschließenden Koalitionsverhandlungen auch mit der Frage der Türkei beschäftigen müssen. Es geht hier um eines der entscheidenden außenpolitischen Themen. Wir müssen einen Neubeginn in den Beziehungen zur Türkei wagen.
Wäre es denn klug, wenn die EU der Türkei die Tür ganz zuschlagen würde?
Darum geht es ja gar nicht. Im Gegenteil: Es ist ja sehr vernünftig, wenn wir anstelle eines EU-Beitritts in einzelnen Bereichen mit Ankara zusammenarbeiten. Wenn also die türkische Regierung wieder zur Rechtsstaatlichkeit zurückkehrt, dann sind wir auch bereit, die wirtschaftliche Zusammenarbeit – etwa über eine Ausweitung der Zollunion – wieder zu verstärken. Sinnvoll ist auch eine Zusammenarbeit mit der Türkei beim gemeinsamen Kampf gegen den Terror und in der Migrationspolitik.
Sie haben keine Sorge, dass Erdogan wegen des aktuellen Streits mit Berlin das EU-Flüchtlingsabkommen aufkündigt?
Dafür gibt es keine Anzeichen. Sowohl für die EU als auch für die Türkei hat das Flüchtlingsabkommen Vorteile. Ein Beispiel: Die Schulausbildung syrischer Flüchtlingskinder in der Türkei wird heute durch EU-Gelder finanziert. Dies ist eine wichtige Investition in die Zukunft – nicht zuletzt deshalb, weil es auch eine wichtige Präventivmaßnahme gegen eine mögliche islamistische Radikalisierung junger Menschen darstellt.
Stichwort Flüchtlinge: Im Bayernplan der CSU wird eine Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr verlangt. Einige Beobachter sind aber der Ansicht, dass die CSU-Forderung nach einer Obergrenze in erster Linie einen rhetorischen Charakter hat.
Da gibt es kein Wackeln. Wir wollen in der Sache klar machen, dass sich das, was 2015 in Deutschland passiert ist, nicht wiederholen darf. Europa muss seine Grenzen sichern. Das darf nicht nur mit Worten beschrieben, sondern muss auch in der Gesetzgebung verankert werden. Das werden wir auch nach den Wahlen in die Koalitionsverhandlungen einbringen.
Also müsste die Obergrenze auch in einem Koalitionsvertrag stehen?
Die Positionen zwischen den Parteien sind klar. Wir stehen für eine Obergrenze und werden dafür nach einer erfolgreichen Wahl kämpfen.

Was Weber über die Rechtsstaats-Verstöße in Polen denkt

Debatte im polnischen Parlament.
Debatte im polnischen Parlament.

© Pawel Supernak/dpa

Wegen der Verstöße gegen Rechtsstaats-Prinzipien würde das EU-Mitglied Polen sich heute wohl vergeblich um eine Mitgliedschaft bemühen. Was läuft da schief in der Europäischen Union?
Bei der Aufnahme neuer Mitglieder im Jahr 2004 hat Europa mit klaren Kriterien Stärke bewiesen und so seine Teilung überwunden. Diese Stärke muss Europa heute auch wieder an den Tag legen. Wir müssen klar machen, dass es in unserer Gemeinschaft keinen Rabatt bei den Grundprinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geben darf. Die polnische Regierung hat mit der faktischen Aufhebung der Gewaltenteilung eine rote Linie überschritten. Deshalb ist auch ein Verfahren zum Entzug des polnischen Stimmrechts in der Gemeinschaft, wie sie die EU-Kommission ins Gespräch gebracht hat, nicht nur eine theoretische Frage. Es liegt jetzt an der Regierung in Warschau, ob sie im Streit um die Neuordnung des Obersten Gerichtshofs und des Landesrichterrats wieder zu den europäischen Werten zurückkehren will oder den Weg der Eskalation sucht.
Ein Verfahren zum Entzug des Stimmrechts würde wohl letztlich ergebnislos bleiben, weil Ungarns Regierungschef Orban im Zweifel sein Veto einlegen dürfte.
Wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass ein solches Verfahren zum Entzug des Stimmrechts gerechtfertigt und notwendig ist, dann muss es auch begonnen werden. Wir können uns in Europa nicht vor einer solchen Debatte drücken, wenn es ernst wird.
Was halten Sie vom Vorschlag des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, höhere deutsche EU-Beiträge an ein Entgegenkommen von Staaten wie Polen und Ungarn in der Flüchtlingspolitik zu knüpfen?
Martin Schulz hat in den letzten Wochen mit vielem gebrochen, was er in seiner Zeit als Europapolitiker vorher vertreten hat. Ein harter Kurs gegenüber Griechenland und der Türkei, Drohungen an die Adresse der Osteuropäer – das sind Dinge, die man von ihm als Präsident des Europäischen Parlaments in dieser Form nicht gehört hat.
Aber inhaltlich stimmen Sie mit ihm in diesen Punkten überein?
Es ist gut, wenn sich Martin Schulz in vielen Punkten dem annähert, was wir als Europäische Volkspartei und Union schon lange vertreten haben. Seine Haltung ist aber nicht gerade geradlinig. Was die Solidarität der Osteuropäer betrifft: Ich warne vor überzogenen Drohungen. Lösungen kann es nur im Miteinander geben.
Nach Schulz’ Ansicht hat Deutschland mit Kanzlerin Merkel in Europa „zu oft einen eisernen Händedruck geboten, aber zu selten die Hand gereicht“. Hat er Recht?
Nein. Die deutsche Bundesregierung, an allererster Stelle Angela Merkel, ist dafür verantwortlich, dass Europa heute ein höheres Wirtschaftswachstum als die USA hat, stabil steht und die Schuldenkrise eingedämmt hat. Das war nur möglich, weil die Bundesregierung gemeinsam mit vielen Partnern wie den Niederlanden, Finnland und Österreich seinerzeit in der Euro-Krise immer wieder den Zusammenhang von Hilfszahlungen und Reformen herausgestellt hat. Das war die Basis für den Erfolg. Ich wünsche mir deshalb auch, dass Wolfgang Schäuble weiter deutscher Finanzminister bleibt. Er vertritt die Balance zwischen europäischer Verantwortung und der Wahrung der Interessen deutscher Steuerzahler.
Frankreichs Präsident Macron hat die hohen deutschen Handelsüberschüsse in der EU beklagt. Was halten Sie von der Kritik?
Im Kern stimme ich der Aussage Macrons zu, dass Deutschland im eigenen Land mehr investieren muss. Mit höheren Investitionen und niedrigeren Steuern sinken auch automatisch die Exportüberschüsse. Mittelfristig ist es besser für Europa, wenn die Handelsbilanzen der Staaten ausgeglichener sind – genauso wie dies für stabile Finanzen und fortgesetzte Reformen gilt.
Wer ist jetzt eigentlich der bessere Freund von Macron: Merkel oder Schulz?
Jedenfalls hat Macrons Reformpolitik wenig mit dem Programm von Schulz zu tun. Schulz hat sich von Schröders „Agenda 2010“ distanziert, die für Deutschland gut war. Im Grundsatz will auch Macron eine solche Reformagenda in seinem eigenen Land umsetzen.
In der Innenpolitik hat Macron klare Ziele. In der Handelspolitik sendet er aber unterschiedliche Signale. Einerseits steht er für Freihandel, andererseits hat seine Politik – Stichwort „Anti-Dumping-Maßnahmen“ – auch protektionistische Tendenzen. Wie bewerten Sie das?
Die Europäer brauchen einen fairen Freihandel. Der Freihandel ist eine Grundlage für unseren Wohlstand, gerade in Deutschland mit seinem großen Exportanteil. Aber es ist wichtig, dass wir auch die Sorgen in der Bevölkerung aufnehmen. Der grenzenlose Freihandel wird von vielen Menschen abgelehnt – auch von uns. Wir dürfen als Europäer im globalen Kontext nicht naiv auftreten. Das bedeutet konkret, dass wir von Fall zu Fall auch über Schutzmöglichkeiten für den europäischen Markt nachdenken müssen. Die EU braucht eine Rechtsgrundlage, um Schlüsselindustrien vor feindlichen Übernahmen zu schützen. Wir wissen, dass beispielsweise chinesische Investoren sich in Europa einkaufen, um sich technologische Vorteile zu verschaffen. Europa muss deshalb in der Lage sein, im Bereich dieser Schlüsselindustrien den Freihandel zu begrenzen.
In der vergangenen Woche ist in Brüssel die erste echte Brexit-Verhandlungsrunde ergebnislos zu Ende gegangen. Sind die Verhandlungen überhaupt fristgerecht bis zum Brexit im März 2019 zu schaffen?
Wir haben große Sorge, dass der Zeitplan aus den Fugen gerät. Die britische Seite ist bislang kaum verhandlungsfähig. Abgesehen von den Details der Brexit-Gespräche erleben die Menschen in Europa zwei sehr unterschiedliche Entwicklungen: Einerseits gibt es eine positive wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität auf dem Kontinent. Und auf der anderen Seite steht Großbritannien seit dem Brexit-Votum vom Juni 2016 gesellschaftlich und ökonomisch unter Druck, das Pfund ist nach wie vor im Keller. Dahinter steckt eine klar Botschaft: Es ist besser, Europa zu erneuern, als Europa zu verlassen oder zu zerstören, wie es manche Populisten und Rechtsextreme fordern.
Wäre es nicht sinnvoll, wenn die britische Regierungschefin Theresa May ihren Kurs aufgeben würde, sowohl den EU-Binnenmarkt als auch die Zollunion zu verlassen?
Die Briten müssen selbst wissen, was sie wollen. Aber es ist genau unser Problem, dass sich die britische Regierung über ihren Kurs beim Brexit nicht im Klaren sind. Zumindest in der britischen Bevölkerung haben sich die Prioritäten inzwischen verschoben: Bei der Kampagne vor dem Brexit-Referendum ging es im vergangenen Jahr in erster Linie darum, die Freizügigkeit europäischer Arbeitnehmer in Großbritannien zu begrenzen. Inzwischen stehen für die Menschen im Vereinigten Königreich die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexit im Vordergrund. Theresa May sollte uns jetzt endlich eine Orientierung geben, was sie in den Gesprächen eigentlich erreichen will.
Wie hoch sollte die britische Austrittsrechnung beim Brexit sein? 40, 60 oder 100 Milliarden Euro?
Es hat jetzt keinen Sinn, über diese Zahlen zu spekulieren. Aber immerhin hat London inzwischen anerkannt, dass das Vereinigte Königreich beim Austritt finanzielle Verpflichtungen gegenüber der EU hat. Das ist schon einmal ein Fortschritt.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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