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Vor seiner Ernennung zum Entwicklungsminister war Gerd Müller Staatssekretär im Agrarministerium. Mit dem Thema kennt sich der 58-Jährige aus: Er ist Sohn eines Landwirts. Der katholische Abgeordnete aus dem Wahlkreis Oberallgäu engagiert sich seit den 70er Jahren in der CSU. So war er JU-Landeschef in Bayern und Europaabgeordneter (1989–94). Müller hat schnell signalisiert, dass er auch aus christlicher Überzeugung fast alles anders machen will als Vorgänger Dirk Niebel (FDP). Der Entwicklungsszene gefällt das – auch wenn der Minister sehr stur sein kann.

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Interview mit Gerd Müller: „Frieden schaffen mit möglichst wenig Waffen“

Im Interview spricht Entwicklungsminister Gerd Müller über Rüstungsexportpolitik, seinen Plan für eine faire Textilproduktion und die Botschaften seiner Partei, der CSU.

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Herr Minister, wir wollen persönlich werden: Woher kommt der Anzug, den Sie gerade tragen?

Der Anzug kommt aus meinem Kleiderschrank zu Hause. Ich hoffe, dass er aus fairer Produktion stammt. Leider kann ich das als Verbraucher heute noch nicht nachvollziehen.

Auch nicht, wenn Sie sich Mühe geben?

Man kann es versuchen. Ich habe vor 14 Tagen einen anderen Anzug gekauft. Ich habe den Verkäufer gefragt, ob er mir garantieren könne, dass die Jacke und die Hose aus fairer Produktion stammen. Ich glaube, er hat diese Frage zum ersten Mal gehört. So hat er mich jedenfalls angeschaut.

Und was ist Ihre Schlussfolgerung daraus?

Ich arbeite dran, dass im nächsten Jahr auch in Anzügen zum Beispiel ein Siegel die Garantie bietet, dass soziale und ökologische Mindeststandards bei seiner Produktion eingehalten wurden. Wir müssen Transparenz ermöglichen. Jeder, der die Herkunft seiner Textilie wissen will, muss eine Auskunft bekommen können.

Würden Sie sich wünschen, dass ein Gespräch über die Herkunft der eigenen Kleidung in Deutschland so selbstverständlich wird wie eines über die Qualität von Nahrung?

Das würde ich begrüßen. Beim Einkauf müssen wir uns immer fragen, wer steht am Anfang der Produktionskette und was passiert, bis das Produkt in unsere Hand oder auf unseren Teller kommt – das gilt für Textilien genauso wie für Nahrungsmittel, Spielzeug oder andere Gebrauchsgegenstände. In Deutschland achten wir sehr darauf, dass wir bei der Produktion ökonomische, soziale und ökologische Standards nicht unterlaufen. Wir sollten den Anspruch haben, diese Standards auch in anderen Ländern durchzusetzen.

Warum ist das nötig?

Weil es nicht fair ist, wenn Näherinnen in Bangladesch fünf Cent in der Stunde bekommen, ohne Mutterschutz, ohne Arbeitsschutz, ohne Brandschutz arbeiten. Weil es nicht fair ist, wenn wir dann die von ihnen produzierten T-Shirts tragen, mit denen in Deutschland und in Europa sehr viel Geld verdient wird.

Glauben Sie, die Deutschen sind bereit, mehr Geld für ethisch und ökologisch saubere Kleidung auszugeben?

Das glaube ich schon. Zwar machen sich bei der Kleidung heute noch die wenigsten Gedanken über deren Herkunft. Aber die Verbraucherinnen und Verbraucher sind bereit, für faire Produkte mehr zu zahlen, wenn sie verlässliche Informationen und Garantien bekommen. Das zeigt die Entwicklung bei den Nahrungsmitteln, wo es seit mehr als zehn Jahren Biosiegel, Nachhaltigkeitssiegel und Lebensmittelportale gibt, mit denen man sich informieren kann. Warum sollte uns das mit Textilien nicht gelingen?

Wie reagieren Handel und Industrie auf Ihren Vorschlag?

Wir haben am Mittwoch den zweiten Runden Tisch zum Thema fair produzierte Textilien in unserem Ministerium abgehalten. Der Textilwirtschaft ist spätestens seit der Katastrophe von Rana Plaza in Bangladesch vor nunmehr mehr als einem Jahr klar, dass es so nicht weitergehen kann. Die Bereitschaft ist da. Wir suchen nun nach den richtigen Instrumenten. Es könnte ein allgemein verbindliches Siegel, es könnte aber auch eine Zertifizierung der Betriebe und Handelsketten sein.

Warum sollen deutsche Soldaten nicht nach Afrika?

Zum nächsten Thema: Sie haben mehrere Reisen nach Afrika unternommen, die Bundesregierung will ihr Engagement auf diesem Kontinent ausbauen. Sie warnen stets davor, deutsche Kampftruppen in Afrika einzusetzen. Warum?

Unsere Aufgabe im militärischen Bereich ist es, die Truppen der Afrikanischen Union auszubilden und zu befähigen, solche Konflikte mit eigenen Einheiten zu befrieden, ich denke etwa an Soldaten aus dem Tschad, aus Uganda und Äthiopien. Die Afrikaner wollen und können ihre Probleme selbst lösen. Das ist nicht unsere Aufgabe.

Es sind aber doch keine Militaristen, die ein robustes deutsches militärisches Engagement im Rahmen von UN-Einsätzen in Afrika befürworten. Der Leiter der Blauhelmmission in der Demokratischen Republik Kongo Monusco, der deutsche Diplomat Martin Kobler, setzt sich sehr für solche Bundeswehreinsätze ein. Beeindruckt Sie das nicht?

Ich schließe nicht aus, dass in Bürgerkriegsszenarien wie im Südsudan oder in der Zentralafrikanischen Republik zwischen die Fronten gegangen werden muss, mit Gewalt Stabilität geschaffen werden muss. Aber nicht von deutschen Soldaten. Das können afrikanische Soldaten besser, und wir unterstützen sie dabei.

Wie halten Sie es mit Rüstungsexporten?

Als Entwicklungsminister sitzen Sie im geheim tagenden Bundessicherheitsrat, der Rüstungsexporte prüft. Nach welchen Prinzipien lassen Sie sich bei Ihren Entscheidungen leiten?

Die bisherigen Entwicklungsminister haben sich im Bundessicherheitsrat immer für eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik eingesetzt. In dieser Kontinuität bewege auch ich mich.

Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat eine restriktivere Rüstungsexportpolitik als die der Vorgängerregierung versprochen. Ist das auch Ihre Linie?

Zu den Entscheidungen in dem Gremium kann ich mich nicht äußern, ich orientiere mich an dem Ziel: Frieden schaffen mit möglichst wenig Waffen.

Die Flüchtlinge und die CSU

Sie sind CSU-Politiker. Nirgendwo in Deutschland ist die Rüstungsindustrie so stark wie in Bayern, das die CSU seit Jahrzehnten regiert. Kommen Sie da nicht in ein Dilemma – einerseits die hehren Ziele, andererseits die Arbeitsplätze?

Für mich geht es immer darum, wie Frieden und Stabilität gewahrt oder geschaffen werden können. Sie können mir glauben: In diesem Gremium macht es sich niemand leicht.

Als Entwicklungsminister besuchen Sie Flüchtlingslager, werben um Verständnis und Unterstützung für Menschen in Not. Ihre Partei, die CSU, sendet andere Signale. Horst Seehofer macht Stimmung gegen Zuwanderer mit der Parole „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“.

Den Satz habe ich von jemand anderem gehört ...

Sie meinen von Ihrem Vorgänger, dem FDP-Politiker Dirk Niebel, der sich damit von seiner Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) abgrenzen wollte?

Sie kennen sich gut aus in der Geschichte dieses Hauses.

Trotzdem: Ihre Partei warnt im Europawahlkampf vor Zuwanderern und sendet mit der Parole „Wer betrügt, der fliegt“ eindeutige Signale. Wie passt das mit Ihrem Job zusammen?

Das gilt doch nicht nur für Zuwanderer. Betrug ist nicht hinzunehmen, nicht am Arbeitsplatz, beim Bezug von Leistungen oder bei der Steuererklärung.

Abgeschoben werden Betrüger mit deutschem Pass aber nicht gleich ...

Die Debatte liegt ja nun hinter uns, eine Staatssekretärsrunde wird Instrumente gegen den Missbrauch von Sozialleistungen erarbeiten. Was vor uns liegt, ist die Bewältigung einer Krise, die wir in diesem Ausmaß seit zwanzig Jahren nicht mehr erlebt haben, ich meine das Drama in und um Syrien. Sie haben recht: Ich werbe dafür, dass wir uns um die Not der Menschen kümmern. 300 Kilometer von der EU, von Zypern, entfernt, läuft ein Völkermord ab. 160 000 Menschen wurden getötet, jeder zweite Syrer ist auf der Flucht.

Müssen wir nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen?

Von allen Syrern, die in die EU fliehen, hat Deutschland die Hälfte aufgenommen. Wir stellen auch die Hälfte der EU- Hilfe für die gesamte Region um Syrien. Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahren 550 Millionen Euro eingesetzt, um die Not der Flüchtlinge zu mildern.

Aber reicht das aus?

Wir brauchen eine einheitliche europäische Flüchtlingspolitik. Wir haben eine humanitäre Pflicht zur Hilfe, der müssen aber alle EU-Staaten nachkommen. Leider gibt es EU-Staaten, die machen nichts, gar nichts. Ich bedaure, dass die Europäische Union sich in den vergangenen Monaten nicht mit aller Kraft um das Drama in und um Syrien gekümmert hat, das müsste ein Schwerpunkt europäischer Politik sein. Wir brauchen eine europäisch abgestimmte Flüchtlingspolitik, nicht nur für Syrien, auch für künftige Konflikte.

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