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Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl Katrin Göring-Eckardt

© Thilo Rückeis

Interview mit Katrin Göring-Eckardt: "Wir liegen nicht in den Schützengräben wie damals Joschka Fischer"

Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt im Interview über Zumutungen für ihre Partei, ihr Regierungsprogramm und die Frage, wie rebellisch die Grünen heute noch sind.

Frau Göring-Eckardt, gibt es etwas, was Ihnen bei den Grünen auf den Geist geht?

Nein.

Reiben Sie sich denn nie an Ihrer Partei?

Doch. Wenn Reibung Fortschritt erzeugt. Als Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzende ist es mein Job, den gesamten Laden nach vorne zu bringen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist auch deshalb so erfolgreich, weil er sich gelegentlich nicht um grüne Parteitagsbeschlüsse schert. Auch der Kieler Umweltminister Robert Habeck eckt bewusst an, und sei es, indem er gesteht, dass er auch mal Dosenbier trinkt. Wann haben Sie Ihrer Partei zum letzten Mal etwas zugemutet?

Die Grünen haben in den letzten Jahren in der Opposition tatsächlich das gemacht, was wir uns nach der rot-grünen Regierungszeit vorgenommen haben: nicht einfach nur draufhauen, sondern konstruktive Oppositionsarbeit. Für die Partei war das oft eine Zumutung. Sie konnte nicht voll und ganz Oppositionspolitik machen, weil die Grünen gleichzeitig an so vielen Landesregierungen beteiligt sind und dort immer wieder Kompromisse notwendig waren. Trotzdem bleibt die gemeinsame grüne Linie.

Und was haben Sie persönlich Ihrer Partei zugemutet?

Ich glaube, die größte Zumutung in den letzten Jahren war das Konzept zur Beschleunigung von Asylverfahren, über das wir gemeinsam mit unseren Ländervertretern mit der Regierung verhandelt haben. Es beinhaltet, dass Anträge sehr schnell bearbeitet werden. Schnelle Verfahren sind notwendig, damit wir die Integration der neuen Bürger hinbekommen können. Es ist aber auch verbunden mit der klaren Ansage, dass die Menschen, deren Anträge abgelehnt wurden, schnell in ihre Herkunftsländer zurückkehren müssen. Ich halte das für notwendig, damit die Menschen schnell Klarheit haben, aber auch um in unserem Land die Akzeptanz für die Aufnahme von Flüchtlingen zu erhalten.

Als Spitzenkandidatin sind Sie das Gesicht der Grünen im Wahlkampf. Wofür brennen Sie?

Als ich vor zwei Jahren entschieden habe, wieder als Spitzenkandidatin anzutreten, habe ich mich noch mal richtig in die ökologische Frage vertieft. Bei dem Thema werde ich schnell pathetisch. Unsere Kinder und Enkelkinder werden uns irgendwann mal fragen, was habt ihr eigentlich damals gegen den Klimawandel gemacht. Ich möchte zumindest sagen können: Ich habe alles getan, was möglich war.

Die Grünen hatten in den letzten Monaten Probleme, mit Umweltthemen durchzudringen. Liegt das daran, dass die Klimakrise im Alltag noch nicht richtig zu spüren ist?

Das stimmt ja nicht. Wir spüren den Klimawandel an den Wetterkapriolen und daran, dass es weltweit inzwischen mehr Klimaflüchtlinge als Kriegsflüchtlinge gibt. In den letzten Jahren sind außerdem so viele Arten ausgestorben wie seit den Dinosauriern nicht mehr. Die können wir nicht einfach neu züchten.

Deshalb machen Sie jetzt auch die Rettung der Bienen zum Wahlkampfthema?

Ja. Wenn die Bienenpopulationen weiter zurückgehen, hat das dramatische Folgen. Bisher merken wir in Deutschland nur, dass der Honigpreis steigt. Doch es kann auch hier passieren, dass es nicht mehr genügend Bienen zum Bestäuben von Obstbäumen gibt. Es geht nicht nur um den Erhalt von niedlichen kleinen Insekten, sondern ganz real um unsere Ernährung.

US-Präsident Donald Trump hat vor kurzem das Pariser Klimaschutzabkommen aufgekündigt. Verschafft das den Grünen Aufwind – oder profitiert doch wieder nur die Bundeskanzlerin?

Angela Merkel hat in ihrer Regierungszeit den Klimaschutz nie ernst genommen. Gemeinsam mit Wirtschaftsminister Gabriel hat sie alles verhindert, was dazu geführt hätte, dass Deutschland seine Klimaziele einhalten kann. Es ist verlogen, wenn sie sich jetzt wieder die grüne Jacke der Klimaretterin überstreift. Es reicht nicht, auf Trump zu schimpfen. Man muss jetzt handeln. Wir werden in der nächsten Woche im Bundestag einen Klimaschutzplan vorlegen. Mit einem Klimaschutzgesetz machen wir den Klimaschutz verbindlich. Und wir wollen auch eine C02-Bremse für alle Gesetze einführen: Jedes neue Vorhaben soll auf seine Auswirkungen aufs Klima überprüft werden.

Beim G20-Gipfel in Hamburg Anfang Juli soll es auch um den Klimaschutz gehen, aber zu konkreten Verabredungen wird es vermutlich nicht kommen. Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Ich erwarte, dass die Kanzlerin sich für einen Klimaschutzpakt stark macht, mindestens mit den Europäern. Mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gäbe es einen Partner dafür. Aber auch national können wir eine Menge tun. Ich will, dass Deutschland  Vorreiter beim Klimaschutz wird. Dass sich die anderen Länder an uns orientieren.

Die Grünen ziehen mit der Forderung in den Wahlkampf, bis 2030 aus dem Verbrennungsmotor auszusteigen. Kann die deutsche Autoindustrie das schaffen?

Wenn sie sich anstrengt, schon. Die Autoindustrie braucht klare Rahmenbedingungen und Zielvorgaben, damit sie weiß, dass die Politik den Umstieg aufs emissionsfreie Auto auch tatsächlich will. Dann können die Unternehmen sich darauf einstellen und sie sind wettbewerbsfähig.

Warum tut sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann so schwer, 2030 als Ausstiegsdatum zu nennen?

Winfried Kretschmann ist der einzige in der Republik, der mit der Autoindustrie einen strategischen Dialog über die Zukunft der Branche mit Ökologie und  Digitalisierung begonnen hat. Als Ministerpräsident eines Autolandes kann er da ernsthaft etwas erreichen. Ich finde es verständlich, dass er nicht am Anfang der Gespräche sagt, was das Ergebnis sein wird. Aber wenn Sie ihn fragen, wie ambitioniert der Wandel sein muss, treffen Sie auf einen Biologen und Ökologen.

Sie haben gemeinsam mit Cem Özdemir einen Zehn-Punkte-Regierungsplan vorgelegt. Manch einem in der Partei geht der nicht weit genug, weil konkrete Jahreszahlen etwa zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor fehlen. Sind die Grünen zu angepasst?

Der Zehn-Punkte-Plan ist sehr verbindlich. Wir sagen, dass die Klimaschutzziele ohne wenn und aber eingehalten werden müssen. Das ist eine harte Ansage. Dieses Ziel muss gelten. Dann bin ich auch bereit, über Instrumente zu reden.

Würden Sie den Bürgern abraten, sich heute einen Diesel zu kaufen?

Das muss jeder für sich selbst entscheiden, ich wäre vorsichtig. Die Hersteller halten die Abgas-Grenzwerte immer noch nicht ein. Jetzt stellt sich heraus, dass Volkswagen immer weiter bescheißt, und zwar mit Unterstützung des Kraftfahrt-Bundesamts. Ich sage nicht, dass alle Leute deswegen Elektroautos kaufen sollen. Ich weiß, dass die Ladeinfrastruktur in Deutschland noch nicht so weit ist. Da muss die Politik noch einmal ran.

Ihr Parteifreund Kretschmann hat sich privat einen Diesel gekauft, unter anderem mit der Begründung, er müsse für den Sandkasten seines Enkelkindes eine Tonne Sand transportieren können. Finden Sie das nachvollziehbar?

Wenn er sicher ist, dass es ein sauberer Diesel ist, warum nicht? Ich persönlich habe den Sand für meine Söhne damals im Trabi transportiert, das ging auch. (lacht)

In Ihrem Regierungsprogramm steht auch, dass Sie weitere Asylrechtsverschärfungen und Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete ablehnen. Sie würden also in keine Koalition gehen, die nach Afghanistan abschiebt?

Mit uns würde es definitiv keine Abschiebungen in ein unsicheres Afghanistan geben. Es kann natürlich sein, dass sich die Lage im Land irgendwann wieder bessert. Im Moment sieht es aber nicht danach aus.

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul hat die Bundesregierung vor kurzem ein Abschiebe-Moratorium beschlossen. Sind Sie damit zufrieden?

Nein, die Abschiebungen sind nur ausgesetzt. Ich finde es zynisch, dass die Bundesregierung erst dann zu dem Moratorium bereit war, als es einen Anschlag vor der deutschen Botschaft gab und Deutschland unmittelbar betroffen war. So lange die Anschläge anderswo im Land waren, hieß es, es gebe noch sichere Territorien.

Rechnen Sie nun damit, dass das Auswärtige Amt die Lage in Afghanistan neu bewerten wird?

Ich hoffe es. Ich kann Sigmar Gabriel nur empfehlen sich anzugucken, wie Joschka Fischer als Außenminister seine Lageberichte verfasst hat. Wenn es um die Einschätzung für andere Länder ging, hat er sich nicht mit dem Innenminister beraten, sondern mit den Diplomaten vor Ort, den UN-Organisationen und den Nichtregierungsorganisationen. Da kam er zu einem realistischeren Bild.

Ende dieser Woche treffen sich die Grünen zum Parteitag in Berlin. Welches Signal erwarten Sie?

Die Partei wird Schwung für den Wahlkampf mitbringen. Den will ich gerne verstärken. Ich habe den Eindruck, die Delegierten wollen keine Selbstbeschäftigung, sondern nach draußen in die Gesellschaft wirken. Die Partei ist in Kampfeslust.

Die Basis hat Sie und Cem Özdemir in einer Urwahl zum Spitzenduo gewählt. Fühlen Sie sich ausreichend aus der Partei unterstützt?

Absolut. Ich habe das Gefühl, dass schon lange nicht mehr Spitzenkandidaten der Grünen so von der Partei getragen wurden wie jetzt. Früher gab es immer auch laute Absetzbewegungen oder lautes Gemecker. Das ist jetzt anders.

Seit sich die Gründergeneration der Partei aus der ersten Reihe zurückgezogen hat, müssen Sie sich immer mal wieder anhören, die Grünen seien langweilig geworden. Ist da nicht etwas dran?

Diese Sehnsucht nach den 80er Jahren ist altbacken. Natürlich sind wir anders als Joschka in seinen politischen Anfängen als Straßenkämpfer. Es sind auch andere Zeiten. Wir liegen nicht in den Schützengräben wie damals Joschka, Helmut Kohl oder Franz-Josef Strauß. Wir sind die Dafür-Generation und nicht mehr die Dagegen-Generation. Ich biete meinen Wählern konkrete Lösungen an und sage nicht, warum ich gegen die anderen bin. Dafür muss man sich nicht mehr an Bäume ketten.

Aber erwarten die Menschen nicht von den Grünen einen Schuss Rebellentum?

Wenn man selbst nicht rebellisch ist, möchte man, dass die Grünen das für einen erledigen.

Und sind die Grünen noch rebellisch?

Wenn man unsere heutigen Vorschläge mit Wahlprogrammen der Grünen in den 90er Jahren vergleicht, sind wir viel rebellischer. Wir wollen die Wirtschaft und die Landwirtschaft umkrempeln, das sind enorme Strukturveränderungen. Wir sagen nicht, dass wir die Revolution innerhalb von drei Wochen machen. Aber wir wollen sie machen. Wir rebellieren gegen die Agroindustrie, die Atomlobby oder die Kohlefreunde.

Und wie rebellisch sind Sie persönlich?

Anders als Joschka kann ich auch Rock'n'Roll mit Überschlag. Man muss allerdings den richtigen Partner dafür haben.

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