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Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz

© dpa

Interview mit Olaf Scholz: "Die SPD ist die Partei der fleißigen Leute"

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz spricht im Interview über politische Erfolgsrezepte, das Ehec-Krisenmanagement und Unterschiede zur Union und den Grünen.

Herr Scholz, warum trauen die Deutschen der SPD nicht über den Weg?

Viele Bürgerinnen und Bürger trauen der SPD sehr wohl, sonst hätten sie uns ja nicht gewählt. In allen drei Stadtstaaten und in den Millionenstädten regieren sehr pragmatische sozialdemokratische Bürgermeister. Bei Landtagswahlen erreicht die SPD gute, manchmal sehr gute Ergebnisse, hier in Hamburg im Februar zum Beispiel mehr als 48 Prozent.

Bundesweit liegen die Zustimmungswerte für die SPD konstant unter 30 Prozent, und das, obwohl die schwarz-gelbe Bundesregierung ein denkbar schlechtes Bild abgibt.

Niemand will die Umfrageergebnisse schönreden.

Aber?

Wir sind deshalb nicht aufgeregt. Es war ein langer Prozess, der dazu geführt hat, dass wir bei der letzten Bundestagswahl ein schlechtes Ergebnis erzielt haben. Die Bürgerinnen und Bürger, die 2009 nicht die SPD gewählt haben, hatten sich das gut überlegt. Es wäre ein Illusion, zu glauben, dies lasse sich über Nacht wieder umdrehen. Wir müssen bereit sein, eine Langstrecke zu laufen, um das Vertrauen zurückzugewinnen. Wir müssen ordentliche Politik machen und den Bürgerinnen und Bürgern eine bessere Alternative bieten. Das geht nicht auf Knopfdruck.

Sarrazin, Migrantenquote, Kanzlerkandidatur – in den vergangenen Wochen hat sich die SPD vor allem mit sich selbst beschäftigt. Wie mag das bei den Wählern ankommen?

Die SPD ist gut beraten, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Am Anfang muss ein sehr klares Bekenntnis zur pragmatischen Ausrichtung sozialdemokratischer Politik stehen. Wenn wir eine pragmatische, geerdete Politik mit Zukunftsperspektive anbieten, werden uns Bürgerinnen und Bürger auch im Bund zahlreich unterstützen. Außerdem muss sich die SPD offensiv zum Konzept der Volkspartei bekennen. Wir sind eine große demokratische Partei, die für die Mehrheit der Bevölkerung wählbar sein will und nicht nur für einzelne Interessengruppen.

Rührt die schwindende Bindungskraft der Volksparteien nicht auch daher, dass der Pragmatismus in beiden Lagern längst regiert und die weltanschaulichen Unterschiede zwischen Union und SPD kaum noch wahrnehmbar sind?

Ich rede von Pragmatismus, nicht von Opportunismus. Pragmatismus heißt nicht, dass wir keine Visionen für eine bessere Zukunft entwickeln sollen. Aber anders als bei den Grünen und der Partei Die Linke müssen die Vorschläge der SPD auch funktionieren. Im Übrigen gibt es sehr wohl große weltanschauliche Unterschiede zwischen SPD und Union.

Nämlich?

Uns unterscheidet von allen anderen Parteien unsere ganz spezielle Sicht auf die Arbeit und ihre Bedeutung für das Zusammenleben. Wir sind als Partei von Handwerkern und lesenden Arbeitern gegründet worden. Mit dieser Wertschätzung der Arbeit stehen wir in einer Grundkonstante der deutschen Kultur. Wir bekennen uns dazu, dass man arbeiten soll. Aber wir bekennen uns auch dazu, dass diejenigen, die arbeiten, dies auch zu ordentlichen Bedingungen tun können. Die SPD ist die Partei der fleißigen Leute, die Partei der Arbeit. Daraus folgt zwingend auch eine sehr pragmatische Wirtschaftpolitik.

Was dürfen wir uns unter einer pragmatischen SPD-Wirtschaftspolitik vorstellen?

Grundsätzlich muss die SPD mit ihrer Wirtschaftspolitik immer beweisen, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten und stärken kann. Und dass die Arbeitsplätze sicher bleiben und die Arbeitnehmer ordentlich bezahlt werden. Das heißt konkret, dass der Hamburger Bürgermeister den Ausbau des Hafens nicht allein privatem Engagement überlässt, sondern ihn als öffentliche Aufgabe begreift und entsprechend fördert. Oder dass die Bundes-SPD dafür sorgt, dass die Energiewende so organisiert wird, dass große Unternehmen mit hohem Energieverbrauch weiter am Standort Deutschland arbeiten können.

Kann Hamburg mit dem Vorschlag der Bundesregierung zum Atomausstieg leben? Die Grünen zeigen sich damit unzufrieden und verlangen Nachverhandlungen. Geht es der Ökopartei Ihrer Meinung nach um das Interesse des Landes oder nur um das der eigenen Partei?

Die Bundesregierung kehrt zum rot-grünen Atomausstieg zurück. Das ist ein echter Fortschritt. Deshalb ist ein Konsens jetzt möglich. Angesichts der Gefahren, die von der Nutzung der Atomkraft ausgehen, verbietet sich parteipolitisches Taktieren.

Die Bedrohung durch Ehec ist immer noch akut. Spanien hat damit gedroht, die Hamburger Behörden wegen deren Warnung vor spanischen Gurken auf Schadenersatz zu verklagen. War die Warnung aus heutiger Sicht verfrüht?

Da unsere Gesundheitsbehörde zur Meldung solcher Befunde – auch an die EU – verpflichtet ist, hat Hamburg richtig und verantwortungsbewusst gehandelt. Im Übrigen besteht die Warnung des Robert-Koch-Instituts vor Gurken, Blattsalat und Tomaten unverändert fort und es kann noch keine Entwarnung gegeben werden. Die Prüfung im EU-Referenzlabor in Rom hat ergeben, dass die spanischen Gurken mit toxisch wirkenden Ehec-Erregern infiziert waren.

Ein wichtiger Prüfstein für die Regierungsfähigkeit der Bundes-SPD ist auch die Finanzpolitik. SPD-Chef Sigmar Gabriel will mit dem Versprechen in den Bundestagswahlkampf ziehen, untere und mittlere Einkommen durch eine Senkung der Sozialabgaben zu entlasten. Einverstanden?

Die Haushaltskonsolidierung hat für uns alle Priorität. Klar ist, dass wir die Schuldenbremse einhalten wollen. Man kann auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt. Wir werden in Folge der Schuldenbremse aber darüber reden müssen, wie die Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte maßvoll verbessert werden kann. Dazu wird die SPD im Rahmen ihres Steuerkonzepts Vorschläge machen. In Hamburg werden wir die Ausgabensteigerung so begrenzen, dass wir 2020 einen ausgeglichenen Haushalt haben.

Die geplante Parteireform hat in der SPD für große Unruhe gesorgt. Stehen Sie als SPD-Vize hinter dem Vorhaben, die Führungsstrukturen der Bundespartei zu verschlanken, die Mitglieder stärker an den Entscheidungen zu beteiligen und die SPD für Bürger ohne Parteibuch zu öffnen?

Wir stehen erst am Anfang der Debatte. Die ist von der Parteiführung bewusst so organisiert, dass es keine Festlegungen gibt. Wir wollen nicht das Ergebnis von oben oktroyieren. Es muss am Ende etwas herauskommen, das von den Mitgliedern auch getragen wird. Klar ist auch, dass den Parteigliederungen nichts vorgeschrieben werden soll. Es geht lediglich darum, ihnen neue Beteiligungsformen zu ermöglichen. Ob sie davon Gebrauch machen, ist ihnen selbst überlassen.

Gabriel sagt aber, er sei gewählt worden, um für eine Öffnung der Partei zu sorgen. Hat er damit nicht die Machtfrage gestellt?

Niemand stellt die Machtfrage, auch der Parteivorsitzende nicht. Es findet eine Debatte statt. Nicht mehr und nicht weniger. Am Ende wird ein Ergebnis stehen, das alle mittragen können. Der Parteitag wird dazu Beschlüsse fassen.

Gabriel geht es mit der Reform vor allem darum, die SPD wieder in der Bevölkerung zu verankern. Viele Ortsvereine hätten den Kontakt verloren. Ist das eine überzogene Beschreibung des Zustands der SPD?

Es gibt Parteigliederungen, die gute Arbeit machen und solche, bei denen es schlecht läuft. Die Guten sollten uns Ansporn sein.

Was reizt Sie an der Idee, den nächsten SPD-Kanzlerkandidaten auch von Nicht- Parteimitgliedern wählen zu lassen?

Wir diskutieren auch hier über Möglichkeiten, nicht über Zwangsläufigkeiten. Und: Keine unserer Entscheidungen darf dazu führen, dass außerhalb der SPD Strukturen entstehen, deren einziges Geschäft es ist, Kampagnen für bestimmte Kandidaten zu machen. Wir wollen den Vorzug der deutschen Demokratie und besonders der SPD erhalten, dass man anders als in den USA auch ohne Reichtum in der Politik einflussreich werden kann.

Herr Scholz, lassen Sie uns zum Schluss über einen Satz des Berliner Philosophen Volker Gerhardt reden. Er glaubt, eine erfolgreiche SPD-Alleinregierung in Hamburg könne der SPD im Bund die Rückkehr an die Macht ebnen ...

... ein stolzer Auftrag ...

Sehen Sie sich als Wegbereiter?

Ich sehe mich in der Pflicht, in Hamburg eine vernünftige Politik zu machen, und ich bin sicher, dass das der SPD nicht schaden kann.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath.

Olaf Scholz stammt aus einer Hamburger Familie und war lange als Fachanwalt für Arbeitsrecht tätig. 2001 war er Innensenator der Hansestadt. Danach übernahm er in der SPD-Bundestagsfraktion wichtige Funktionen – bis zu seinem Wahlsieg im Februar. Mitte Juni feiert Scholz 53. Geburtstag.

Unter Gerhard Schröder war Olaf Scholz SPD-Generalsekretär (2002 bis 2004) und stützte dessen Agenda-Politik gegen die Kritik aus der Partei. Seine oft monotonen Pressestatements nach turbulenten Gremiensitzungen trugen ihm den Spitznamen „Scholzomat“ ein. Die SPD-Linke bekämpfte den Verteidiger der schröderschen Reformpolitik.

Spätestens seit seiner erfolgreichen Arbeit als Bundesarbeitsminister (2007 bis 2009) hat Scholz wieder Unterstützer in der ganzen Partei. Für eine SPD- Kanzlerkandidatur 2013 steht der Parteivize nicht zur Verfügung. Vier Jahre später könnte das allerdings anders aussehen.

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