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Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU).

© Mike Wolff

Interview mit Ursula von der Leyen: „Sechs Milliarden Euro reichen nicht“

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen über den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, das Wahlprogramm der Union – und ihre Lobbyarbeit für Mütter.

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Frau von der Leyen, Sie sitzen im Kabinett immer neben Guido Westerwelle. Ist der eigentlich ein angenehmer Nachbar?

Ja! Es gibt gemeinsame Themen auch außerhalb der Politik, über die wir gern reden …

… Reitsport und Pferde!

Erraten! Also, ich freue mich, ihn neben mir zu haben.

Sie würden einen FDP-Außenminister also vermissen?

Ich gehe davon aus, dass das so bleibt!

Aber Frank-Walter Steinmeier ist doch auch ein ganz netter Kerl, oder?

Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass wir in der jetzigen Formation weitermachen. Und dafür kämpfen wir auch.

Im Moment eher gegeneinander. FDP-Chef Philipp Rösler lästert über die Spendierfreudigkeit der Union in Wahlkampfzeiten. Und Sie sind die teuerste Ministerin dabei.

Ich habe als Arbeitsministerin das größte Budget, das ist richtig. Aber teuer? Mein Haus hat den größten Konsolidierungsbeitrag erbracht. Und wir haben dazu beigetragen, dass es heute mehr Arbeit in Deutschland gibt als je zuvor, was das Wachstum stabil hält und zu höheren Steuereinnahmen führt. Wolfgang Schäuble sagt immer, ich sei ihm lieb und teuer – das soll so bleiben.

Soll ja auch: Mütterrenten, Schritte gegen Altersarmut, das sind Milliardenprogramme in Ihrem Bereich. Dazu weitere Milliarden für Familien mit Kindern und Infrastruktur – redet überhaupt noch wer von Konsolidierung?

Wir haben in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass Konsolidierung nicht im Widerspruch dazu steht, richtige Schwerpunkte zu setzen und in die Zukunft zu investieren. Das werden wir weiter so halten. Bei einer Frage wie der drohenden Altersarmut müssen wir jetzt handeln, anstatt später die Symptome zu kurieren, wenn es zu spät ist. Wir wollen, dass es sich für Geringverdiener weiter lohnt, ins Rentensystem einzuzahlen, und wollen zugleich verhindern, dass spätere Generationen überfordert werden. Wir wollen auch den Familien mehr Luft verschaffen und ihnen durch höheres Kindergeld und Steuerfreibeträge helfen. Die Bedeutung und den Wert der Familien kann der Staat durch nichts ersetzen.

Wie ernst ist denn aber der Finanzierungsvorbehalt im Programm von CDU und CSU gemeint?

Das ist oberstes Gebot, überhaupt keine Frage.

Also kommen vielleicht nicht mal die besseren Renten für die Müttergeneration 1992 und früher?

Die Sozialkassen sind gut gefüllt. Da ist Spielraum, den wir hart erarbeitet haben. Das ist auch Folge einer maßvollen Konsolidierung gepaart mit richtigen Investitionen. Das hat zu weniger Staatsausgaben und mehr Arbeit geführt. Das erschließt Mittel, die wir einsetzen können.

Aber Rentenzusagen müssen dauerhaft erfüllt werden und nicht nur in guten Zeiten.

Wir sind in diese Wahlperiode mit einer Rentengarantie gegangen: Die Renten sind nicht gekürzt worden, obwohl die Löhne in der Wirtschaftskrise gesunken sind. Wir haben der jungen Generation zugleich versprochen, dass wir diesen Vorschuss wieder abarbeiten. Wir haben dieses Versprechen erfüllt. Auch das hat uns damals keiner geglaubt.

Trotzdem, noch mal: Wenn die Konjunktur sich abkühlt, muss der Beitragszahler dafür herhalten, was Sie jetzt in guten Zeiten aus dem Überschuss der Rentenkassen abzweigen können – oder?

Für jede Leistung muss immer aufs Neue die finanzielle Grundlage gelegt werden. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass wir unseren Wohlstand erhalten. Ob aber Arbeit und Erziehung anerkannt werden, spiegelt sich auch in der Rente. Niemand bekommt Kinder wegen der Rente, aber wenn sich erst einmal die Beispiele häufen, dass Kindererziehung und kleine Einkommen keine Chance auf eine eigene auskömmliche Rente haben, dann steht unser Rentensystem infrage.

Gerade bei dieser Zusage erschließt sich uns nicht, was daran Zukunftssicherung für Deutschland sein soll.

Es geht um eine Frauengeneration, die ihre Kinder unter völlig anderen Bedingungen erzogen hat als heute. Es gab kaum Kindergärten, „Krippenplatz“ war ein Schimpfwort, bei Stundenausfall wurde selbstverständlich erwartet, dass man die Kinder zur Mutter nach Hause schicken konnte. Diese Frauen haben sich krummgelegt und nebenbei nur kleinste Renten erarbeitet. Ihnen den Nachteil gegenüber jüngeren Müttern auszugleichen, halte ich für legitim.

"Das Risiko einer verlorenen Generation steht im Raum"

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU).

© Mike Wolff

Da müssten wir aber viele historische Ungerechtigkeiten ausgleichen!

Wenn es eine Gruppe gibt, die sonst keine Lobby hat, und für die es sich lohnt, etwas zu bewirken, dann diese Mütter.

Um auf Ihren Wunschpartner zurückzukommen: FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle rügt im Wahlprogramm „zu viel Ursula von der Leyen und zu wenig Ludwig Erhard“.

Rainer Brüderle weiß sicher, wie viel Wert Ludwig Erhard auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft gelegt hat!

Aber Sie haben Brüderle schon in dieser Wahlperiode nicht von Ihrer Lesart überzeugen können – wieso soll das in einer nächsten gelingen?

In Koalitionsverhandlungen kommen die Dinge auf den Tisch, und dann werden wir miteinander ringen. Wir werden hart über Lebensleistungsrente und Mütterrente verhandeln.

Klingt nicht sehr vergnüglich, oder?

Ach, die FDP war für die Arbeitsministerin auch schon eine Unterstützung. Die Sicherung unseres Fachkräfte-Potenzials ist die zentrale Zukunftsfrage für Deutschland. Und da hat die FDP – Stichwort Zuwanderung von Hochqualifizierten, Stichwort Blue Card – sich als guter Verbündeter erwiesen.

Das bringt uns direkt zum nächsten Thema. In Europa haben 5,6 Millionen junge Menschen unter 25 Jahren keinen Job, in manchen Regionen liegt die Arbeitslosenquote bei 50 Prozent. Wächst da eine verlorene Generation heran?

Das Risiko einer verlorenen Generation steht im Raum. Deshalb müssen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass wir diesen jungen Menschen eine Perspektive bieten. Darüber wollen wir auch am kommenden Mittwoch auf einem Gipfel im Kanzleramt beraten.

Hat der harte Sparkurs in Europa nicht zu dieser Misere entscheidend beigetragen?

Nein. Die Krise hat Schwächen offenbart, die es schon vorher in diesen Ländern gab. In Spanien haben junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen, um im boomenden Bausektor rasches Geld zu machen. Heute sehen wir, dass dieser Boom nur eine Blase war. Das war der sichere Weg in die Langzeitarbeitslosigkeit. In vielen Ländern fehlt es auch an einem wirklichen Ausbildungssystem.

Die EU-Staaten wollen in den nächsten zwei Jahren mit sechs Milliarden Euro gegen die Jugendarbeitslosigkeit angehen. Wohin soll das Geld fließen?

In ganz konkrete arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, aber auch in den Aufbau moderner Arbeitsverwaltungen. Junge Menschen müssen beraten werden, in welchen Berufen sie Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Das passiert heute oft nur unsystematisch. In Deutschland haben wir außerdem gute Erfahrungen damit gemacht, junge Leute auf Arbeitssuche weiterzubilden.

Kritiker nennen die sechs Milliarden einen Tropfen auf heiße Steine!

Die sechs Milliarden Euro sind ein wichtiger Beitrag, sie reichen aber nicht. Wir haben in diesem Jahr noch europäische Mittel in Höhe von 16 Milliarden Euro, die wir umwidmen können. Und die Europäische Investitionsbank wird mit bis zu 60 Milliarden Euro helfen. Sie soll kleinen und mittleren Unternehmen in den Krisenländern, die kerngesund sind, aber nicht an Kapital kommen, Kredite zu moderaten Zinsen gewähren, damit diese Aufträge annehmen und dann auch Arbeitsplätze schaffen können.

Welchen Beitrag erwarten Sie von der Wirtschaft?

Im Süden suchen junge Menschen verzweifelt nach Arbeit, während in Deutschland viele Lehrstellen unbesetzt bleiben. Das müssen wir zusammenbringen. Und die europäische Wirtschaft muss im eigenen Interesse Ausbildungsplätze schaffen. Wir brauchen einen Ausbildungspakt für Europa.

Eine Lehre in einer fremden Sprache, einer anderen Kultur – verlangen Sie nicht zu viel von diesen Jugendlichen?

Ausbildung ist immer besser als Arbeitslosigkeit! Wir finanzieren in einem Pilotprojekt Sprachkurse, Reisekosten und ein achtwöchiges Praktikum zum Schnuppern. Solche Hilfen muss es in ganz Europa geben. Das ist ein Erasmusprogramm für alle. Wenn die jungen Leute ihre Ausbildung haben, können sie als Fachkraft später ihr Heimatland voranbringen.

- Die Fragen stellten Robert Birnbaum und Cordula Eubel.

Ursula von der Leyen lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Hannover. Die 54-Jährige ist Mutter von sieben Kindern. Im Frühjahr setzte die CDU-Politikerin durch, dass die Union nun auch eine feste Frauenquote fordert. Nachdem von der Leyen erwogen hatte, mit mehreren Frauen aus der Koalition einem Oppositionsantrag im Bundestag zur Mehrheit zu verhelfen, lenkte die CDU-Spitze ein. Mindestlöhne und Mütterrenten – von der Leyen steht für das Soziale in der CDU. Auch deswegen ist die zielstrebige Politikerin für die Kanzlerin derzeit unersetzbar.

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