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Interview: "NPD für Mügeln mitverantwortlich"

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, spricht mit dem Tagesspiegel über Neonazis, die Verbindung der NPD zu Mügeln, militante Linke und die neue Kraft von Al Qaida.

Ist Mügeln eine klassische No-go-area?

Von No-go-areas, also von rechtsfreien Räumen, kann weder hier noch anderswo die Rede sein. Was sich in Mügeln abgespielt hat, ist schlimm, aber nichts grundsätzlich Neues. Das muss man leider feststellen. Für den Verfassungsschutz ist es schwierig, zumeist sogar unmöglich, diese Art der politisch motivierten Gewalt im Einzelfall vorherzusehen, weil derartige Übergriffe in der Regel spontan verübt werden. Die Eindämmung rechtsextremistischer Gewalt bleibt eine vorrangige Aufgabe der Sicherheitsbehörden.

Für Migranten scheint es jedoch in Ostdeutschland auch 17 Jahre nach der Wiedervereinigung erheblich gefährlicher zu sein als im Westen.

Auch in Westdeutschland werden Ausländer angegriffen, wie kürzlich der Überfall auf zwei Afrikaner in Rheinland-Pfalz gezeigt hat. Andererseits gibt es im Osten – gemessen an der Bevölkerungszahl – deutlich mehr junge Männer, die für rechtsextremistische Parolen empfänglich sind. Hinzu kommt, dass der Rechtsextremismus im Westen stärker tabuisiert ist.

Hinter dem Krawall in Mügeln steckt offenbar keine rechtsextreme Organisation. Andererseits hat die NPD hier eine starke Stellung, sie bekam bei den Bundestagswahlen fast so viele Stimmen wie die SPD. Ist die NPD für die Vorfälle mitverantwortlich?

Sie ist mitverantwortlich, weil sie eine rassistische Propaganda betreibt. Die NPD versucht besonders in den östlichen Bundesländern, sich im gesellschaftlichen Leben zu etablieren. Ziel dabei ist, in der Kommunalpolitik Fuß zu fassen – was ihr in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern bereits gelungen ist. NPD-Mitglieder treten beispielsweise in Vereine und Elternbeiräte ein und beteiligen sich an Bürgerinitiativen. Das entspricht der Strategie der Partei, sich als vertrauenswürdig und wählbar darzustellen. Die ideologische Nähe zum Nationalsozialismus wird aus taktischen Gründen verschleiert, aber bei bestimmten Anlässen, wie etwa dem Heß-Gedenktag, immer wieder deutlich gemacht. Das dient dazu, die Unterstützung aus dem Neonazi-Lager zu erhalten.

Was würde ein NPD-Verbot bewirken?

Vor allem den Verlust der logistischen Basis und der staatlichen Geldzuwendungen. Die NPD könnte auch keine Plattform mehr für Skinheadkonzerte bieten. Die werden als Parteiveranstaltung deklariert und sind deshalb schwer zu unterbinden. Daher habe ich Verständnis für den Wunsch, die NPD zu verbieten. Doch ich bleibe skeptisch, dass es gelingen würde.

Berlins Innensenator Ehrhart Körting meint, ein Verbot sei nicht so schwer zu erreichen, zumal der Verfassungsschutz auf V-Leute in der NPD, die Ursache für das Scheitern des ersten Verbotsverfahrens, verzichten könnte.

Der Einsatz von V-Leuten ist für den Verfassungsschutz ein unverzichtbares Instrument zur Beobachtung dieser Partei. Hätten wir es nicht, würden wir nur noch zu sehen bekommen, was wir sehen sollen. Das sollte gerade im Hinbick auf die Dauer eines Verbotsverfahrens bedacht werden.

Bei den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm hatte die linke Szene ihren großen Auftritt. Hat Heiligendamm dem lange eher lahmen Linksextremismus wieder Auftrieb verschafft?

Das Thema Antiglobalisierung hatte weder vor Heiligendamm noch hat es heute genügend Zugkraft, um die Mobilisierungsfähigkeit der linksextremistischen Szene nachhaltig zu stärken. Der Linksextremismus wirkt verbraucht und es mangelt schon seit Jahren an Nachwuchs. Trotzdem müssen wir uns mit diesem Thema weiter auseinandersetzen, besonders wegen der Militanz in Teilen des linksextremistischen Spektrums.

Was hat die Festnahme mutmaßlicher Mitglieder der „Militanten Gruppe“ bewirkt, die viele Brandanschläge begangen hat?

Es ist nicht zu erkennen, dass der Vorgang im militanten Linksextremismus einen Richtungswechsel bewirkt. Die Solidaritätsadressen waren zu erwarten. Und ich rechne damit, dass es auch in Zukunft solche Anschläge geben wird. Die Festnahmen sind ein erfreulicher Fahndungserfolg, aber noch keine Lösung des Problems.

In wenigen Tagen jährt sich zum sechsten Mal der Terrorangriff des 11. September. In Deutschland hat Al Qaida bislang keinen Anschlag verübt. Verschont die Terrororganisation die Bundesrepublik?

Keineswegs. Es gab mehrmals Drohungen von Al Qaida gegen Deutschland. Von Al Qaida geht unvermindert ideologische Inspiration für den Dschihad aus, zugleich scheint sich die Kernstruktur von Al Qaida im Grenzgebiet Pakistan-Afghanistan reorganisiert zu haben. Es ist daher wahrscheinlich, dass Al Qaida wieder operative oder steuernde Fähigkeit erlangt hat. Wir können nicht davon ausgehen, dass Deutschland von Anschlägen verschont bleibt. Die Gefahr ist beträchtlich und sehr real. Der nur knapp gescheiterte Anschlag der „Kofferbomber“ war von dschihadistischer Ideologie motiviert. Dass es keinen Anschlag in Deutschland gegeben hat, ist auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden zurückzuführen, die im gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin intensiv kooperieren. Und manchmal hilft uns, wie im Fall der „Kofferbomber“, auch ein glücklicher Zufall.

Sie haben 2004 vor der Gefahr durch rückkehrende Kämpfer aus dem Irak gewarnt.

Die Gefahr besteht nach wie vor. Der Konflikt im Irak ist für Islamisten der Hauptschauplatz des Dschihad. Es gibt weiterhin Reisebewegungen in Richtung Irak und zurück. Das sind nicht viele, aber auch wenige Dschihadisten können großes Unheil anrichten. Mit ebenso großer Sorge und Aufmerksamkeit beobachten die Sicherheitsbehörden Reisebewegungen nach und von Pakistan.

Sie fordern wie das BKA das Recht auf Online-Durchsuchungen mit Trojanern. Wozu? Der Verfassungsschutz kann schon weitgehend im Internet recherchieren.

Das Internet ist für Islamisten und andere Extremisten von großer Bedeutung als Kommunikations- wie auch als Propagandainstrument. Das gemeinsame Handeln, das Sich-Verständigen findet mehr und mehr via Internet statt. Die Selbstradikalisierung mit Hilfe des Internets spielt vor allem bei dem Phänomen des so genannten homegrown-Terrorismus eine wichtige Rolle. Aktivitäten von Terrorverdächtigen müssen auch und gerade im Internet zur Aufklärung im Vorfeld möglicher Anschläge beobachtet werden. Die offene Recherche im Internet ist wichtig, reicht aber nicht, wenn wir unsere Aufgaben auch in Zukunft erfolgreich bewältigen wollen.

Gibt es sechs Jahre nach dem 11. September eine Aussicht, den islamistischen Terror zurückzudrängen?

Nein. Ein Ende der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist nicht absehbar.

Das Gespräch führten Frank Jansen und Michael Schmidt.

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