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Interview: "Piraterie ist Massenkriminalität"

Der Völkerrechtler Klaus Gärditz über die Befugnisse der Marine und die Schwierigkeiten, Freibeuter vor ein Gericht zu stellen.

Die Politiker streiten, ob die Marine gegen Piraten vorgehen darf. Wer hat recht?



Wir müssen zwischen Völkerrecht und Verfassungsrecht unterscheiden. Völkerrechtlich ist die Lage eindeutig: Der Pirat ist dort seit dem 17. Jahrhundert der hostis humani generis, der Feind der Menschheit schlechthin. Er gefährdet die Freiheit der Meere, an der Gelehrte wie Hugo Grotius die Ursprünge des modernen Völkerrechts entwickelten. Piratenschiffe dürfen aufgebracht werden, auch mit Militärzwang. Das ist Völkergewohnheitsrecht und steht auch in der UN-Seerechtskonvention. Die Frage nach der Marine ist komplizierter, da wir Streitkräfte nach Artikel 87 a Grundgesetz nur zur Verteidigung aufstellen dürfen.

Muss man nicht Handelsschiffe gegen Piraten verteidigen dürfen?

Unser Grundgesetz versteht die Streitkräfte zunächst als Verteidigung gegen militärische Gewalt anderer Staaten. Piraterie ist jedoch eine Form von Kriminalität. Da gibt es Amtshilfevorschriften, die greifen könnten. Die große Frage ist, ob solche Hilfe auch außerhalb des Bundesgebiets jenseits militärischer Bündnisfälle geleistet werden darf. Dieser Fall ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Wenn Soldaten jetzt ein Piratenschiff aufbringen und Freibeuter festnehmen, können sie sich aber darauf berufen, dass sie im Auftrag der Vereinten Nationen im Rahmen kollektiver Sicherheit tätig werden, wie er in Artikel 24 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes geregelt ist. Bislang haben wir diese Fälle auf militä rische Bedrohungen zugeschnitten. Es spricht viel dafür, die Befugnis auch auf Einsätze gegen Piraten auszuweiten.

Warum?

Piraten sind heutzutage hoch gerüstet und in der Lage, massiv Gewalt auszuüben. Das macht diese Form krimineller, nichtstaatlicher Gewalt mit staatlicher militärischer Gewalt vergleichbar. Die Bundespolizei, die eigentlich zuständig wäre, ist mit der Abwehr solcher Gefahren jedenfalls überfordert. Ich meine, dass es sich hier um einen echten Verteidigungsfall handelt. Das rechtfertigt den Einsatz der Marine jetzt schon. Wenn sich das aber nicht bald klären lässt, plädiere ich dafür, Artikel 87 a so weit klarzustellen, dass er Bundeswehr-Einsätze gegen Piraten erlaubt.

Wie weit reicht diese Legitimation?

Seevölkerrechtlich ist es erlaubt, Piraten zu verhaften. Piraterie unterfällt strafrechtlich dem Weltrechtsprinzip. Piraten können unabhängig vom Tatort und von ihrer Nationalität überall angeklagt und verurteilt werden. Die Marine dürfte die Piraten also nach Deutschland bringen und hier vor Gericht stellen lassen. Polizei ist dafür völkerrechtlich nicht nötig, wohl aber nach deutschem Recht.

Wie sinnvoll ist ein internationales Gericht für Piraterie?

Man könnte daran denken, dem Inter nationalen Strafgerichtshof in Den Haag eine Kompetenz dafür zuzuweisen. Aber ich habe Zweifel. Piraterie ist Massen kriminalität. Sinnvoller wäre, die Länder, vor deren Küsten Piraten aktiv sind, in den Stand zu versetzen, ihre Gerichtsbarkeit auszuüben. Für Fälle, in denen das aktuell unmöglich scheint, wie jetzt Somalia, würde ein internationales Gericht der Sache aber gerechter als etwa das Landgericht München.

Wird Piraterie ein Weltproblem?

Möglicherweise stehen wir vor einer dramatischen Renaissance. In vielen Teilen der Welt brechen staatliche Strukturen zusammen, während Verkehr und Handel steigen. Diese Handelsströme werden durch hochgradig unsichere Gebiete geführt. Es wäre wichtig, hier wieder eine funktionierende Staatsgewalt zu haben. Staatliche Piraterie, wie sie im 16. Jahrhundert üblich war, gibt es heute nicht mehr. Jeder Staat hat größtes Interesse, dass seine Gewässer sicher sind.

Das Gespräch führte

Jost Müller-Neuhof.

Klaus F. Gärditz arbeitet am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Bayreuth. In seiner Monografie „Weltrechtspflege“ hat er die „Entgrenzung staatlicher Strafgewalt“ untersucht.

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