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Interview: „Putin ist eine Reizfigur“

Der Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Alexander Rahr, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über den Eklat um die Verleihung des Quadriga-Preises und die deutsch-russischen Beziehungen.

Herr Rahr, die Verleihung des Quadriga-Preises für Russlands Premier Wladimir Putin wurde abgesagt. Wie bewerten Sie den Eklat um die Ehrung?

Die Werkstatt Deutschland hatte sich als Ziel gesetzt, sich auch dem Osten zu öffnen. Solche Vereine brauchen heutzutage große Unterstützung – national und international. Aber dieser Schuss ist nach hinten losgegangen. Sie haben sich selbst als Institution gefährdet, und vielleicht ist der Preis jetzt für immer abgeschafft.

Überrascht Sie der Widerstand gegen die Ehrung Putins?

Ich wurde im Vorfeld wie viele andere von den Verantwortlichen zu dem Thema befragt. Russland sollte meiner Meinung nach geehrt werden, für die exzellent funktionierenden deutsch-russischen Beziehungen. Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Der bessere Mann dafür wäre aber der aktuelle Repräsentant Russlands gewesen, Präsident Dmitri Medwedew. Damit hätte man die liberalen Reformen wertschätzen können, die er durchzuführen versucht. Bei Putin musste ich sofort an das Jahr 2004 denken, als die Hamburger Uni ihm einen Ehrendoktor verleihen wollte. Da war die Entrüstung in der deutschen Gesellschaft so groß, dass sowohl die Hamburger als auch Putin darauf verzichtet haben. Das war auch direkt vor Beginn der „Petersburger Dialoge“.

Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Putin ist eine Reizfigur. Er ist daran auch selbst schuld, weil er den rhetorischen Kampf mit jedem sucht, der Russland kritisiert. Er bietet damit eine Angriffsfläche. Einen Menschenrechtspreis und einen Preis für Demokratie hat der Mann sicher nicht verdient. Aber er schwimmt in Russland weiterhin auf einer Sympathiewelle, das darf man nicht vergessen. Er hat das Sozialsystem neu aufgebaut und Russland aus der Finanzkrise geholfen. Man hätte ihn dafür ehren können, dass in den Nullerjahren die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland exzellent liefen. Die einseitige Kritik an Putin verstehe ich nicht ganz. Er hat das deutsch-russische Verhältnis verbessert.

Ist Putins Ansehen dadurch beschädigt?

Im Ausland ist Putin damit massiv beschädigt. Die Aberkennung ist ein klares Signal. Man muss sich das nur andersherum vorstellen: Einem westlichen Politiker wird in Russland ein Preis zugesprochen und kurz vor der Verleihung wird das zurückgezogen.

Welche Auswirkungen kann das auf den Petersburger Dialog haben?

Das Signal wird auch nach Russland wirken, den Russen ist die Achtung ihres Landes immer sehr wichtig. Putin selbst wird das animieren, noch mehr nationalistische Parolen im eigenen Land imWahlkampf zu gebrauchen. Er hat damit ein neues Argument gegen den Beitritt zur Welthandelsorganisation, gegen noch engere Kooperation mit dem Westen. Er wird seine Verstimmung nicht offen zeigen, aber dem ein oder anderen Politiker zu verstehen geben. Die Reaktion seines Pressesprechers war bereits sehr scharf, sie wurde damit übersetzt, im Kuratorium herrsche „Chaos“. Aber die Bedeutung ist härter, sie liegt eher zwischen Misthaufen und Tohuwabohu. Die sind schon sehr verstimmt.

Dabei mögen die Russen Deutschland eigentlich sehr gern ...

Die Deutschen sind laut Umfragen nach den Weißrussen das beliebteste Volk in Russland. Weit vor den Kasachen, Ukrainern und anderen Europäern. Das liegt einerseits an der deutschen Technik, „Made in Germany“ ist ein Importschlager in Russland. In der Wirtschaft hat man traditionellere Beziehungen zu Deutschland als zu anderen Ländern, Viele Russen sprechen von Seelenverwandtschaft. Aber das beruht nicht auf Gegenseitigkeit.

Die Deutschen sehen die Russen sehr viel kritischer. Ich glaube, die Russen haben sich mit uns viel eher ausgesöhnt als umgekehrt. Es gibt keine positiven Russenbilder bei uns.

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