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Renate Künast (54) ist seit 2005 Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Im Herbst soll entschieden werden, ob die Berlinerin Klaus Wowereit (SPD) herausfordert.

© Mike Wolff

Exklusiv

Interview: Renate Künast: „Merkel wird es nicht bis ans Ende der Wahlperiode schaffen“

Die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, spricht über Christian Wulff, die Folgen der Präsidentenwahl, das Verhältnis zur Linkspartei und die Frage, ob die Grünen in Berlin den nächsten Bürgermeister stellen.

Frau Künast, wird Christian Wulff ein guter Bundespräsident werden?

Christian Wulff kann ein guter Präsident werden. Aber er wird es schwer haben. Die Begeisterung für Joachim Gauck in der Bevölkerung hat eines gezeigt: Das Land und seine Menschen sehnen sich nach einem Sinnstifter, nach jemandem, der demokratische Werte betont und vermittelt. Das kommt auch daher, dass so gut wie niemand im Treiben der Bundesregierung noch einen Sinn erkennen kann. Für Christian Wulff muss es also darum gehen, dieses riesige Defizit auszugleichen. Die breite Unterstützung für Joachim Gauck drückt im Kern eine Erwartung an das Amt aus und ist unabhängig von der Person. Ob Christian Wulff sie erfüllen kann – ich weiß es nicht.

Warum sollte der Bundespräsident die Defizite der Regierung ausgleichen?

Unsere Demokratie befindet sich in einer schweren Vertrauenskrise. Bei den Wählern herrscht eine nie da gewesene Verdrossenheit. Viele trauen den staatlichen Organisationen nicht mehr zu, die Interessen der Menschen zu vertreten. Sie vermissen den Mut, gegen Lobbyismus vorzugehen und Probleme tatsächlich anzupacken. Die schwarz-gelbe Regierung hat diese Verdrossenheit auf ein bislang unbekanntes Maß gesteigert. So viel Streit wie zwischen CDU, CSU und FDP hatten wir in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie in einer Koalition. Der Bundespräsident muss eine Stimme des Gemeinwohls sein.

Erwarten Sie, dass Wulff den Streit der schwarz-gelben Regierung anprangert?

Ein Bundespräsident ist gut beraten, nicht täglich jede neue Zwistigkeit zu kommentieren. Er kann aber eine Messlatte für gutes Regieren definieren und damit für Vertrauen in unsere Institutionen sorgen. Dann kann jeder Zuhörer selbst entscheiden, ob die schwarz-gelbe Bundesregierung diese Kriterien erfüllt. Bei seiner Antrittsrede am Freitag hat er den Brückenbau für alle Kinder dieser Gesellschaft angefordert. Ich warte aber weiter auf seine erste Grundsatzrede.

Können Sie sich vorstellen, Joachim Gauck in fünf Jahren noch einmal aufzustellen?

Er war jetzt der richtige Kandidat, und er kann auch in fünf Jahren wieder der richtige Kandidat sein. Aber die Frage stellt sich ja heute noch nicht.

Die Schwierigkeiten bei der Wahl Wulffs werfen ein Schlaglicht auf den Zustand der Koalition. Hat Kanzlerin Merkel noch eine Chance, ihre Regierung zu retten?

Sie hat sich selbst mit dem Rücken an die Wand manövriert. Sie muss bereit sein, ihre Kanzlerschaft zu riskieren. Sie muss sich entscheiden, dem Land zu dienen. Notfalls auch gegen den Widerstand von Union und FDP. Das ist ihre einzige Möglichkeit für einen Aufbruch. Eine Kanzlerin, die vor der Geschichte nicht versagen will, muss die zentralen Aufgaben anpacken. Die Stichworte lauten Bildung, Energie, ökologischer Umbau und Generationengerechtigkeit, schon im Haushalt. Es geht dabei nicht um Reförmchen, sondern um Transformation. Ich glaube nicht, dass sie die Kraft dazu aufbringt. Angela Merkel wird es nicht bis ans Ende der Wahlperiode schaffen.

Wenn Sie Merkel ablösen wollen, brauchen Sie womöglich die Linkspartei. Die wollte Gauck nicht wählen. Kann eine politische Kraft 2013 ihr Partner sein, die sich der DDR-Vergangenheit nicht stellt?

Die Linkspartei hat durch ihre Verweigerung in der Bundesversammlung eine rot-rot-grüne Koalition im Bund in weite Ferne gerückt. Die Linke ist in ihrem jetzigen Zustand nicht politikfähig. Wenn sich daran nichts Grundlegendes ändert, wird sich die Frage einer rot-rot-grünen Regierung im Jahr 2013 nicht stellen. Es ging darum, nach dem Rücktritt von Horst Köhler einen Präsidenten zu finden, der den Menschen wieder Vertrauen in die Politik gibt. Gauck hat das bei den Menschen hervorgerufen. Das aber hat die Linkspartei nicht interessiert. Sie war nur mit sich selbst beschäftigt, sie ist nicht in der Realität angekommen.

Was müsste passieren, damit die Linke für Sie als Partner infrage kommt?

Die Linkspartei muss sich zu Europa und zum Lissabon-Vertrag bekennen. Sie muss sich Deutschlands internationaler Verantwortung stellen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich auf Beschluss der Vereinten Nationen an multinationalen militärischen Einsätzen zu beteiligen, um Frieden zu sichern und massivste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Diese Einsichten muss die Linkspartei ganz alleine gewinnen. In der Politik muss man das selbst organisieren, statt zu lamentieren: Keiner ruft mich an.

Keine Partei profitiert so stark vom Chaos der Regierung wie die Grünen. Sind sie auf dem Weg zur Volkspartei?

Nicht im klassischen Sinne einer Volkspartei, die unterschiedliche Interessen vertritt, ohne an das Ganze zu denken. Diese Art von Volkspartei wollen wir nicht werden. Wir sind aber Volkspartei, wenn Sie damit eine Politik für das Ganze verbinden.

Geht dabei nicht zwangsläufig grünes Profil verloren?

Nein. Wir sind immer noch radikal und kühn in unseren Zielen und Konzepten. Aber wir haben das Vorgehen geändert. Früher haben wir nur gesagt, was wir wollen. Heute sagen wir auch, welche einzelnen Reformschritte nötig sind und welche gesellschaftlichen Bündnisse wir schließen müssen, damit wir Erfolg haben. Und deshalb reden wir natürlich auch mit den Wirtschaftsverbänden.

Frau Künast, sind Sie mutig?

Haben Sie da etwa Zweifel?

Sie sind als beliebteste Grünen-Politikerin die natürliche Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013. Würden Sie diese Chance opfern, um 2011 Regierende Bürgermeisterin von Berlin zu werden?

Ich bleibe dabei: Das entscheiden die Berliner Grünen gemeinsam mit mir, wenn es so weit ist.

Unabhängig von Ihrer Kandidatur: Müssen die Berliner Grünen den Anspruch erheben, als stärkste Kraft zu regieren?

Die Berliner Grünen brauchen ein Programm, das dieser Aufgabe gerecht wird.

Das heißt, die Grünen wollen den nächsten Regierenden Bürgermeister stellen?

Das wird man sehen. In Berlin erheben die Grünen einen Gestaltungsanspruch für die ganze Stadt. Wir wollen in allen Politikfeldern Lösungen für alle Berlinerinnen und Berliner entwickeln. Wir sind bereit, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen.

Muss sich die SPD an den Gedanken gewöhnen, dass sie in rot-grünen Koalitionen auch einmal Juniorpartner sein kann?

In vielen Kommunen macht die SPD schon heute diese Erfahrung. Die SPD wird sich daran gewöhnen müssen. Wir leben im Fünf-Parteien-System. Da gibt es keinen Bestandsschutz.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath.

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