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Sahra Wagenknecht (42) ist seit November 2011 stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag und bereits seit 2010 stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei.

© Mike Wolff

Interview: Sahra Wagenknecht: "Ich will kein Revival alter Verhältnisse"

Sahra Wagenknecht sprach mit dem Tagesspiegel über die Utopie des Kommunismus, Respekt vor Ludwig Erhard und ihre Beziehung zu Oskar Lafontaine.

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Frau Wagenknecht, in der PDS waren Sie Außenseiterin. Sind Sie nun im Zentrum der Partei angekommen?

Mit dem neuen Parteiprogramm bin ich in allen grundlegenden Punkten einverstanden. Ich sehe mich in der Mitte der Partei.

Sie waren lange Wortführerin der Kommunistischen Plattform. Was bedeutet für Sie heute Kommunismus?

Vor allem in den alten Bundesländern ist der Begriff Kommunismus mit Vorstellungen verknüpft, die nichts mit dem zu tun haben, was ich will. Ich will den Kapitalismus überwinden, aber der Sozialismus, den ich anstrebe, ist kein Revival alter Verhältnisse.

Würden Sie sich selbst noch als Kommunistin bezeichnen?

Wenn man Kommunismus so versteht wie Karl Marx, nämlich als eine humanistische Utopie, hätte ich kein Problem damit. Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, wie der Begriff bei vielen Menschen besetzt ist. Im Westen galt die DDR immer als ein kommunistisches Land. Bei ihren Bürgern interessanterweise nie.

In Ihrem neuen Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ berufen Sie sich nicht mehr auf Stalin und Walter Ulbricht, sondern stattdessen auf Ludwig Erhard …

Auf Stalin habe ich mich nie berufen. Und ich sage auch nicht, dass mein Weltbild heute mit dem Ludwig Erhards identisch ist. Ich finde aber, dass Politiker, die sich in der Tradition Erhards sehen, sich auch an ihm messen lassen müssen. Tatsächlich hat die Politik der heutigen CDU mit der von Erhard begründeten sozialen Marktwirtschaft nichts mehr zu tun.

Was finden Sie gut an Erhard?

Erhard wollte eine Gesellschaft, die für alle ihre Mitglieder Wohlstand schafft. Er ging davon aus, dass das nur möglich ist, wenn man den Kapitalismus sozial bändigt. Doch seit vielen Jahren erleben wir das Gegenteil. In Deutschland sinken die Reallöhne, obwohl die Produktivität steigt. Minijobs, Leiharbeit, Befristungen nehmen überhand. Viele können von ihrer Arbeit kaum noch leben. Die CDU hat ihre alten Ideale längst aufgegeben.

Immerhin fordert sie inzwischen eine Lohnuntergrenze …

Das ist doch eine Mogelpackung. Von einem menschenwürdigen gesetzlichen Mindestlohn sind wir leider immer noch weit entfernt.

Warum findet Ihre Partei so wenig Gehör?

Wir haben aktuell wieder etwas zugelegt. Aber natürlich wählt nicht jeder, der unzufrieden ist, automatisch die Linke. Personalquerelen und Streitigkeiten haben im vergangenen Jahr unser öffentliches Bild geprägt. Verlorenes Vertrauen holt man nicht innerhalb von 14 Tagen zurück. Ich hoffe aber nach dem erfolgreichen Programmparteitag, dass wir jetzt endlich wieder unsere politischen Forderungen in den Mittelpunkt stellen und sie auch wieder geschlossener vertreten. Damit die Menschen wieder klar wissen, wofür wir stehen.

Lesen Sie auf Seite 2, wie das Paar Lafontaine und Wagenknecht Privates vom Politischen trennen will

Der frühere Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch meint, die Linke dürfe nicht in eine Position „Wir gegen alle“ kommen. Teilen Sie seine Sorge?

Die Frage ist: Wer ist alle? Wir gegen alle in der Bevölkerung – das wäre absurd. Aber wir gegen alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien – das ist die objektive Situation. Alle anderen Parteien stehen zum Beispiel für die unverschämte Enteignung des Steuerzahlers zugunsten der Banken, Hedgefonds und Spekulanten.

Ein Linksbündnis 2013 hat keine Chance?

Es hätte nur Sinn, wenn es tatsächlich die Koordinaten der Politik verändert, wenn man soziale Leistungen wieder verbessert, statt sie weiter abzubauen, Banken reguliert, statt mit Geld zu mästen. Das Schlimme ist, dass die Agenda-SPD alle ur-sozialdemokratischen Positionen aufgegeben hat. Solange nicht wieder Sozialdemokraten an der Spitze der SPD stehen, sehe ich kaum Kooperationsmöglichkeiten. Wir denken ja auch nicht darüber nach, mit der CDU zu koalieren oder mit der FDP. Derzeit fehlt der gemeinsame politische Inhalt.

Wollen Sie auf die Bankenrettung verzichten?

Man muss verhindern, dass der Finanzsektor kollabiert und die Mittelschichten ihre Sparguthaben verlieren. Gerade deshalb muss man das Geschäftsmodell der Banken verändern. Wir müssen sie zwingen, sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe zu besinnen, nämlich Kredite an die reale Wirtschaft zu geben, statt mit aberwitzigen Finanzinstrumenten auf dem internationalen Parkett herumzuzocken. Bei der bisherigen Bankenrettung wurden nur Steuergelder verschleudert.

Zu Ihrer Partei: Die Vorsitzende Gesine Lötzsch will im Juni 2012 wieder für das Amt kandidieren. Warum weichen Sie einer Kampfkandidatur aus?

Wir haben uns verständigt, endlich die Personaldebatte zu beenden. Was mich betrifft: Es ist mir wichtig, neben der aktiven Politik auch noch als Autorin und Publizistin zu arbeiten, Zeit zu haben zum Lesen und Nachdenken. Das ist schon jetzt alles verdammt schwierig.

Der Parteivorsitzende Klaus Ernst hat vorgeschlagen, in einer Mitgliederbefragung über die Spitze zu entscheiden. Was halten Sie davon?

Bei politischen Entscheidungen sind Mitgliederentscheide sinnvoll, etwa jetzt zum Grundsatzprogramm. Ein Mitgliederentscheid zur Parteiführung würde uns über Monate zur Selbstbeschäftigung zwingen – und das in einer Situation, wo die Euro-Krise sich zuspitzt und die Linke nun wirklich andere Aufgaben hat.

Also wieder Hinterzimmerentscheidungen, bei denen wenige Funktionäre die Sache auskungeln?

Ein Parteitag ist doch kein Hinterzimmer. Natürlich muss die neue Spitze auf einem Parteitag gewählt werden. Ohnehin hätte ein Mitgliederentscheid nach den Statuten unserer Partei nur empfehlenden Charakter.

Oskar Lafontaine hat bekannt gemacht, dass Sie und er ein Paar sind. Lafontaine wird gehandelt als möglicher Spitzenkandidat bei der nächsten Bundestagswahl, Sie beide gelten als potenzielle Anwärter auf den Parteivorsitz. Wie wollen Sie beide Politisches und Privates trennen?

Wir waren beide immer eigenständige Politiker, und das wird auch so bleiben. Aber auch Politikern sollte man das Recht auf Privatsphäre lassen.

Fürchten Sie nicht trotzdem, dass der eine oder andere in der Partei behauptet, Sie würden Ihre Karriere quasi von Lafontaines Gnaden machen?

So ein Quatsch. Ich habe seit vielen Jahren unter Beweis gestellt, dass ich eine eigenständige Politikerin bin. Erschreckend ist auch: Kaum jemand würde bei einem Mann sagen, er sei jetzt von der Frau abhängig. Aber mit Frauen geht man so um. Ich finde das mies.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Matthias Meisner.

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