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© Mike Wolff

Interview: „Wer ans Verlieren denkt, verliert“

Der Unionsfraktionschef Volker Kauder im Gespräch mit dem Tagesspiegel über die SPD und Freund Peter Struck, hohe Energiepreise und seinen EM-Tipp.

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Sie wären gerne Zirkusdirektor geworden. Erklären Sie mal: Was war das in den letzten Wochen für Zirkus in Ihrer Fraktion?

Die Unionsfraktion hatte einen Zorn auf die Sozialdemokraten, weil sie sich in der Diätendiskussion von der SPD im Stich gelassen fühlte. Das hat die Stimmung nicht gerade verbessert und zu Diskussionen geführt...

... und dazu, dass Sie nicht mehr zum Fraktionsfest der SPD gehen. Haben Sie sich von SPD-Fraktionschef Peter Struck getäuscht gefühlt?

Von ihm persönlich nicht. Aber er kann sich auf seine Fraktion nicht mehr verlassen. Wir haben gemeinsam vereinbart, uns gegenseitig nicht auf den Sommerfesten zu besuchen.

Nun war das Diätenfiasko ja nur der Anfang. Rumort hat Ihre eigene Fraktion über Steuerpolitik, Pendlerpauschale ...

Natürlich gibt es Diskussionen über die hohen Energiepreise. Viele Abgeordnete fragen zu Recht: Müssen wir nicht etwas zur Entlastung tun? Die CSU hat gute Vorschläge gemacht, nur in einem Punkt gibt es einen Unterschied: Wir wollen über die Pendlerpauschale erst nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes befinden, die CSU wünscht sich das früher. Darüber wird in der Fraktion diskutiert. Solche Situationen gibt es ab und zu einmal.

Wir können uns nicht an vergleichbare Fälle erinnern.

Wir hatten in den letzten drei Jahren eine sehr verantwortungsbewusste Fraktion. Die Union war und bleibt die Stütze in der großen Koalition. Dann darf es auch mal solche Tage geben. In die Fraktion ist aber wieder Ruhe eingekehrt.

Außergewöhnlich war zum Beispiel, dass sich Wirtschafts- und Sozialflügel völlig einig waren in ihrer Kritik am Kurs.

Das finde ich gar nicht so ungewöhnlich. Es ist doch eine berechtigte Frage: Können wir in der Situation, die die Menschen im Moment erleben, etwas für die Entlastung tun? Natürlich müssen wir die Menschen entlasten. Wir haben in dieser Koalition ja auch schon einiges getan, vor allem dadurch, dass wir die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt haben. Aber die Menschen spüren durch die gestiegenen Energiepreise von dieser Entlastung zu wenig.

Und nun, wie weiter?

Wir dürfen zunächst einmal keine falschen Erwartungen wecken. Die Wahrheit ist: Energie wird auf absehbare Zeit nicht wesentlich billiger werden. Wir haben eine weltweit stark gestiegene Nachfrage am Ölmarkt und auch am Gasmarkt. Deswegen werden diese fossilen Energieträger nicht günstiger zu haben sein. Das Einzige, was wir direkt beeinflussen können, sind die Strompreise. Deshalb können wir auf die Kernenergie nicht verzichten. Die Hälfte unserer Grundlast wird von Kernenergie erzeugt, etwa 35 Prozent durch Kohle und Gas. Es wird nicht funktionieren, die Kernenergie abzuschalten und obendrein keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen.

Sie wollen den Atomkonsens kippen?

Wir wollen den Ausstieg vom Ausstieg. Die Kernkraftwerke müssen länger laufen können. Mehrere große Stromerzeuger haben bereits erklärt, dass sie bereit sind, die zusätzlichen Gewinne aus längeren Laufzeiten an die Kunden zurückzu- geben und Strom zu verbilligen.

Dann ist der zarte Flirt der CDU mit den Grünen aber ganz schnell vorbei!

Man muss den Menschen die Wahrheit sagen. Wir brauchen die Kernenergie. Unsere Kernkraftwerke sparen so viel Kohlendioxyd ein wie der gesamte Autoverkehr in Deutschland produziert.

Aber gegen die heutigen finanziellen Belastungen hilft das nicht.

Peter Ramsauer und ich haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Über den Sommer wollen wir mit Fachleuten beraten, was getan werden kann. Dabei wird das Energiesparen sicher eine Rolle spielen, bessere Wärmedämmung und andere Sparmaßnahmen in der Wohnung. Da werden neue Antriebstechniken für Autos zur Sprache kommen – ich stelle mir zum Beispiel vor, dass der Elektroantrieb eine wesentlich größere Rolle spielen muss als bisher. Und wir werden uns sicher auch Vorschläge anhören, was die Europäische Union tun kann. Ein zentraler Punkt für die EU wäre, durchzusetzen, dass Angebot und Nachfrage etwas transparenter werden. Wir müssen wissen, was Indien oder China an Mengen brauchen, dann können wir als Europäer mit den Ölländern auch besser über die Verteilung der Fördermengen reden.

Das alles spürt niemand schnell in seinem Portemonnaie – anders als es bei der Pendlerpauschale der Fall wäre.

Zur Pendlerpauschale haben wir in der Koalition vereinbart, dass wir auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten. Dann wissen wir, welche Reaktion notwendig ist. Ich glaube aber eins heute schon sagen zu können: Direkte Energiesubventionen kann der Staat nicht finanzieren. Das geht sofort in Größenordnungen, die unsere Möglichkeiten sprengen.

Die Steuereinnahmen sprudeln!

Wenn wir den Preis für Benzin und Diesel durch Verzicht auf Steueranteile um zehn Cent senken wollten, würde das sechs Milliarden Euro kosten. Und die Menschen würden – übrigens zu Recht – trotzdem nicht sagen, dass 1,46 Euro statt 1,56 Euro pro Liter eine große Entlastung und eine politische Großtat wäre. Die Energiepreise akzeptabel zu halten ist eine längerfristige Aufgabe.

Also wird es auch zum Beispiel keine Heizkostenzuschüsse geben?

Das Thema Kosten für Heizung ist ein ganz zentrales Thema für die Menschen, und zwar für alle und nicht nur für die Autofahrer. In meiner Nachbarschaft wohnt ein junges Paar, das jetzt gerade den Heizkostenbescheid für 2007 bekommen hat. Die junge Familie soll 600 Euro nachzahlen. Das ist eine schwere Belastung.

Und was haben Sie den jungen Leuten gesagt?

Ich habe ehrlich gesagt, dass kurzfristiges Eingreifen durch den Staat leider nicht möglich ist. Das wissen die Leute übrigens auch. Wir können zu Entlastung auf Dauer nur kommen durch mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt, durch Wärmedämmung und modernes Heizungsmanagement in der Wohnung. Und dann habe ich gesagt, dass wir uns bemühen, junge Familien auf anderen Wegen zu entlasten. Kurzfristig haben wir ja schon einiges getan. Wir haben den Kinderzuschlag und das Wohngeld erhöht, einschließlich der Heizkostenzuschüsse. Wir werden Ende des Jahres das Kindergeld und den Kinderfreibetrag anheben.

Hinter diesen konkreten Fragen steckt das verbreitete Gefühl, dass der Aufschwung bei den Menschen nicht ankommt ...

Ja, dieses Gefühl gibt es. Es ist doch so: Wir haben den Menschen eine sehr beachtliche Entlastung geboten durch die Absenkung der Arbeitslosenbeiträge. Das entspricht 12,5 Milliarden jeweils für Arbeitgeber und Arbeitnehmer – doppelt so viel wie bei der Unternehmensteuerreform. Trotzdem sagen mir die Leute: Das haben wir gar nicht richtig gemerkt. Das zeigt mir, dass eine Entlastung in vielen kleinen Teilschritten nicht wahrgenommen wird. Deswegen plädiere ich dafür, in der nächsten Legislaturperiode eine Steuerreform mit einem richtig großen, spürbaren Schnitt zu machen. CDU und CSU werden dazu im Frühjahr 2009 einen gemeinsamen Vorschlag machen.

Warum so spät? Die CSU ist schon fertig.

Die CSU hat ein Steuerkonzept vorgelegt, in dem sehr gute Ideen stecken. Wir sind gemeinsam davon überzeugt, dass Steuerentlastung richtig und wichtig ist. Aber das Entlastungsziel und die Haushaltskonsolidierung gehören zusammen, weil wir keine Entlastung auf Pump mehr wollen. Wir sind kurz vor dem Ziel, nach mehr als 40 Jahren endlich keine neuen Schulden mehr zu machen, jetzt dürfen wir nicht aufgeben, sonst würden wir uns an kommenden Generationen versündigen. Und außerdem: Wenn wir heute eine kleine Entlastung machen, wird die von den Menschen kaum registriert, morgen steigen die Preise weiter, und dann wird der Ruf nach der nächsten Entlastung laut.

Wie erklären Sie sich das Gefälle zwischen dem Ansehen der Bundeskanzlerin und den mageren Werten der CDU?

Die Werte für die CDU müssen bei der Bundestagswahl 2009 besser sein als in den Umfragen heute. Das werden sie aber auch. Eine große Koalition schafft immer Irritationen in der eigenen Wählerschaft, weil die klassische Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Volksparteien fehlt. Dadurch fehlen auch viele Möglichkeiten zur Profilierung. Aber wir können natürlich nicht um der Profilierung willen die Regierungsarbeit zum Erliegen bringen. Große Koalitionen sind Kompromisskoalitionen, anders als kleine Koalitionen, die Richtungskoalitionen sind. Im Wahlkampf wird es wieder eine Klärung der Positionen geben, und dann werden wir diejenigen, die unsere Haltungen teilen, auch hinter uns versammeln.

Weiß denn die CDU wirklich noch, wo ihre Position ist? Jürgen Rüttgers versucht die SPD links zu überholen, Günther Oettinger vertritt einen wirtschaftsnahen Kurs ...

Die CDU ist schon immer die Partei der sozialen Marktwirtschaft gewesen. Wir haben als große Volkspartei die unterschiedlichen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu einem Handlungskonzept zusammengebunden. Das wird auch in Zukunft so sein. Die CDU hat klare Vorstellungen davon, wie unsere Gesellschaft aussehen soll: Eine Gesellschaft nämlich, in der jeder seine gute Chance hat. Wir wollen, dass junge Leute den Aufstieg schaffen können – deshalb sagt die Kanzlerin zu Recht, dass wir eine Bildungsrepublik sein müssen. Wir müssen unser Land zugleich fit machen für den noch schärfer werdenden weltweiten Wettbewerb. Das heißt, wir müssen in Forschung und Technologie unheimlich viel Kraft und Geld stecken. Und wir werden noch mehr als bisher in Energieforschung investieren müssen.

Und das wird nach der Bundestagswahl in einer neuen großen Koalition umgesetzt?

Wir haben ein ganz klares Ziel: Raus aus der großen Koalition – und rein in die Stabilität. Und Stabilität heißt: Eine Regierung aus Union und FDP.

Könnte sein, dass die Wähler dieser Konstellation nicht genug Stimmen geben!

Ich sehe für ein solches stabiles Bündnis sehr gute Chancen gerade in der jetzigen Zeit. Dafür werde ich mich im nächsten Jahr im Wahlkampf ganz massiv einsetzen. Und wenn ich von etwas überzeugt bin und dafür werbe, dann denk’ ich doch nicht darüber nach, was passiert, wenn es anders kommt. Das ist in der Politik nicht anders als im Fußball: Wenn man zu sehr daran denkt, dass man verlieren könnte, verliert man. Wenn’s im Kopf nicht stimmt, dann stimmt es auch im Handeln nicht. Ich will mit der FDP eine Regierung bilden.

Was lässt Sie eigentlich glauben, dass die große Koalition noch bis zum Schluss hält?

Bis jetzt kann ich sagen, dass wir unsere Gesetzesvorhaben voranbringen. Allerdings, auf Zusagen kann ich mich nicht mehr hundertprozentig verlassen. Aber das liegt nicht an Peter Struck.

Sondern an wem?

Das Problem ist das Führungsvakuum der SPD. Für jede Partei, jede Firma, jede Zeitung gilt: Wenn die Führungsfrage offen ist, dann ist die Truppe in Aufruhr. Dass der SPD-Vorsitzende seine Leute jetzt täglich mit neuen Botschaften bis zur Höchstspannung treibt, führt nicht gerade zur Beruhigung. Die SPD wird erst dann zur Ruhe kommen, wenn klar ist, wie es weitergeht: Wer wird Kanzlerkandidat, wer bleibt Parteichef? Umso wichtiger ist, dass wir als Union geschlossen bleiben. Auf uns kommt es an.

Trauen Sie sich einen Tipp zu? Wer wird Kanzlerkandidat?

Der Union? Angela Merkel!

Der SPD natürlich!

Das muss die SPD mit sich selbst ausmachen.

Und wer wird Europameister?

Deutschland! Wir haben begeisternde Spiele gesehen und schwächere Spiele. Aber bei einem Turnier kommt’s darauf an, dass man am Ende dort steht, wo man hin will. Wir stehen jetzt kurz davor.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Tissy Bruns. Das Foto machte Mike Wolff.

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