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Interview: „Wichtig ist, was nach der Revolution kommt“

Srdja Popovic hat den Protest gegen Slobodan Milosevic mitorganisiert. Jetzt gibt er seine Erfahrungen an die Demonstranten in Nordafrika weiter. Besonders die ägyptische Demokratiebewegung hat Aussichten auf Erfolg, glaubt er.

Herr Popovic, Sie haben den Protest gegen Slobodan Milosevic mitorganisiert und geben Ihre Erfahrungen jetzt an Aktivisten in Nordafrika weiter. In Tunesien und Ägypten sind inzwischen autoritäre Regime von friedlichen Demonstranten in die Knie gezwungen worden. In Libyen tobt ein Bürgerkrieg. Was läuft dort schief?

Wenn ein Regime bereit ist, seine Bevölkerung notfalls auszulöschen, dann kann gewaltloser Widerstand nichts ausrichten. In Tunesien und Ägypten war klar, dass die Herrscher nicht so weit gehen würden. Doch Libyen zeigt auch, was der Preis ist, den Diktatoren wie Gaddafi heute zahlen müssen. Wer seine Bevölkerung massakriert, begibt sich in die totale Isolation. Ich nenne das, die nordkoreanische Variante wählen.

Das nehmen die Gaddafis dieser Welt offenbar in Kauf.

Ich bin überzeugt, dass die wenigsten Autokraten nordkoreanische Verhältnisse wollen. Nach Libyen ist ihr Spielraum deutlich kleiner geworden. Einige Regierungen haben das schnell begriffen und freiwillig Reformen auf den Weg gebracht. Die Könige von Marokko und Jordanien etwa. Für alle anderen gilt: Die Menschen überall auf der Welt sehen, was möglich ist. Mit jedem Regime, das stürzt, wird ihre Angst kleiner. Wenn die Angst weg ist, haben die Herrscher ihr wichtigstes Mittel zur Unterdrückung verloren. Dann haben sie praktisch schon verloren.

Warum hat es dann die Opposition im Iran bisher nicht geschafft, Präsident Mahmud Ahmadinedschad zu stürzen? Dort gab es schon 2009 Massenproteste.

Ein wichtiger Grund ist, dass die Opposition im Iran nicht an einem Strang zieht. Neben guter Planung und strikter Gewaltfreiheit ist Einigkeit einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg. Im Iran kämpfen verschiedene Gruppen jeweils für ihre eigene Sache statt gemeinsam am Sturz des Regimes zu arbeiten. Proteste werden spontan organisiert, als Reaktion auf aktuelle Ereignisse. Eine langfristige Strategie ist da nicht zu erkennen.

Sie haben auch Aktivisten der friedlichen Revolutionen in der Ukraine und in Georgien beraten. Doch dort werden die Menschen heute nicht besser regiert.

In der Ukraine und Georgien ging es den Demonstranten nicht in erster Linie um einen Regimewechsel. Sie wollten vor allem freie und faire Wahlen. Das haben sie erreicht.

Kann man sich damit zufriedengeben?

Natürlich sehe ich die Entwicklung in der Ukraine und erst recht in Georgien nicht positiv. Die beiden Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, was nach der Revolution kommt. Wir hier in Serbien haben nach dem Umsturz die Rolle eines Wachhunds übernommen. Bevor die erste Nach-Milosevic-Regierung es sich bequem gemacht hatte, haben wir eine neue Kampagne gestartet. Die Botschaft war: Wir beobachten euch. Wenn eine Bewegung versteht, dass sie mit dem Sturz des Regimes nur den ersten großen Stein aus dem Weg geräumt hat, versteht sie auch, dass die Zukunft nicht von allein kommt.

Trauen Sie das den Aktivisten in Nordafrika zu?

Besonders für Ägypten bin ich sehr optimistisch. Die Aktivisten halten den Druck weiter aufrecht. Positiv sehe ich auch, dass der Aufstand in Nordafrika nicht religiös oder ideologisch motiviert ist. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo haben Christen sogar ihre muslimischen Mitbürger beschützt. Und weder in der ägyptischen Hauptstadt noch in Tunis wurden bei den Protesten amerikanische Flaggen verbrannt. Wer hätte das alles vor wenigen Monaten für möglich gehalten?

Die Fragen stellte Ulrike Scheffer.

Srdja Popovic (37), gehört zu den Gründern der Protestbewegung Otpor. Nach einem Ausflug in die Politik leitet er heute ein privates Institut für gewaltlosen Widerstand in Belgrad (Canvas).

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