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Bütikofer

© Wolff

Interview: "Wir haben diesmal unsere Hausaufgaben gemacht"

Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer über soziale Verantwortung, persönliche Ziele und Vorbilder in Skandinavien.

Herr Bütikofer, vom Sonderparteitag der Grünen zu Afghanistan im September ist vor allem das Bild einer entsetzten, gedemütigten Parteispitze in Erinnerung. Wird es vom Parteitag am Wochenende in Nürnberg ähnliche Bilder geben?

Weil von diesen drei Tagen viel abhängt, hat die Partei sich mit der Vorbereitung des Nürnberger Parteitags viel Mühe gegeben, auf allen Ebenen. Unsere Themen heißen soziale Existenzsicherung, Wirtschaftspolitik, Klimapolitik und Bürgerrechte. Dafür hat die Parteispitze gemeinsame Positionen vorgelegt. Wir haben diesmal unsere Hausaufgaben gemacht.

Hängt es vom Parteitag ab, ob die Grünen fähig sind, Regierungsverantwortung zu tragen?

Dass wir regieren können, ist bekannt. Heute tragen wir Oppositionsverantwortung. Das verlangt klare Alternativen zur Regierung. Die große Koalition bietet uns ja viele Chancen, aus dieser Rolle politisches Kapital zu schlagen.

Wird der Parteitag auch Auskunft darüber geben, wer die besten Chancen hat, Spitzenkandidat für 2009 zu werden?

Diese Frage steht nicht an. Was wir jetzt brauchen, ist ein gutes Team. Wir waren in Göttingen kein gutes Team. Aus dem Ergebnis dieses Zwiespalts haben alle Beteiligten gelernt.

Aber hätte die Parteispitze nach ihrer krachenden Niederlage in Göttingen nicht allen Anlass, sich auch über Personalien Gedanken zu machen?

Wir haben Anlass, es in Nürnberg besser zu machen und mit den Ergebnissen wieder offensiv für Grün zu werben. Dass wir uns vor Göttingen und in Göttingen und seit Göttingen stark mit uns selbst beschäftigt haben, das wird sich mit Nürnberg wieder ändern. Nie zuvor gab es etwa so viel Aufmerksamkeit für die grünen Kernthemen Ökologie und Klimaschutz. Daran können wir wachsen. Wir müssen die tatsächlich treibende Kraft sein, damit es auch zu einem echten Politikwechsel kommt. Auf den roten Teppichen in den Hauptstädten der Welt kann Angela Merkel viel versprechen. Wenn es um praktische Schritte geht, herrscht Stillstand oder gar Blockade. Wir vertreten dagegen Klimaschutz ohne Wenn und Aber.

Es war zu lesen, Reinhard Bütikofer wolle ins Europaparlament. Ist das Ihr politisches Lebensziel?

Mein Lebensziel? Ich beschäftige mich tatsächlich seit Jahren mit Europapolitik. Aber es ist immer etwas dazwischen gekommen, wenn ich mit dem Gedanken spielte, ins Europaparlament zu gehen. Und derzeit geht es um andere aktuellere Ziele.

Erhöht die Krise der großen Koalition den Druck auf die Grünen, sich so aufzustellen, dass sie möglicherweise vor 2009 im Bund in eine Regierung eintreten könnten?

Wer errät schon, wie lange die große Koalition hält? Deren taktisches Hickhack bestimmt unsere Orientierung nicht. Wir wissen, was wir wollen. Als Alternative zur Orientierungslosigkeit dieser Koalition bieten wir Antwort auf die Fragen: Wie muss heute eine Klimapolitik aussehen, die tatsächlich wirkt? Welche Sozialreformen braucht eine Gesellschaft, die an mangelnder Gerechtigkeit und mangelnder Integration leidet? Im Übrigen ist bekannt: Wir werden keine Pro -Atom-Politik mittragen. Wir wollen den Mindestlohn. Wir wollen keinen Überwachungsstaat. Damit setzen wir schon heute für jeden potenziellen Partner Eckpunkte.

Eine zentrale Entscheidung des Parteitags wird sein: Grundsicherung oder Grundeinkommen. Worum geht es dabei?

Am besten in einem Drei-Wort-Satz? Da würde ich sagen: Grundsicherung ist gerechter.

Dann doch inhaltlich?

Ziel ist, der zunehmenden sozialen Spaltung der Gesellschaft und der Ausgrenzung von immer mehr Menschen entgegenzuwirken. Zwei Ansätze sind prioritär. Erstens: Wir müssen die Armut gezielt bekämpfen und dazu für die Schwächsten die Transfers verbessern. Man kann mit 2,50 Euro am Tag ein Kind nicht gesund ernähren. Hartz IV sieht das derzeit aber als Standard vor. Wir wollen das Existenzminimum anheben und die Alterssicherung besser schützen. Zweitens: Ohne einen gezielten Ausbau öffentlicher Güter, öffentlicher Infrastruktur und öffentlicher Dienstleistungen können wir für viele Menschen keinen Ausweg aus Armutskreisläufen schaffen.

Gibt es Vorbilder?

Skandinavische Sozialstaaten sind da erfolgreicher als wir. Sie setzen die Prioritäten anders, als Deutschland das bislang getan hat. In Dänemark etwa werden im Bereich der Familien- und Kinderpolitik 70 Prozent der Mittel für Infrastruktur ausgegeben. Dort sind weit weniger Kinder arm als bei uns.

Und wie sieht das Grundeinkommen aus?

Ihre Befürworter wollen ein garantiertes, bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger. Die Modelle sind sehr verschieden. Alle versprechen mehr als sie halten können. Das von DM-Chef Götz Werner ist definitiv unsozial. Richtig ist der Ansatz gegen bürokratische Schikane. Aber ich sehe nicht, dass ein wirksamer Kampf gegen die Armut und für soziale Teilhabe mit dem Grundeinkommen zu gewinnen wäre.

Sie nennen Dänemark. Eingangsteuersatz 40 Prozent, Spitzensteuersatz 65 Prozent. Wer soll die grünen Träume finanzieren?

Die Grundsicherung einschließlich eines ehrgeizigen quantitativen und qualitativen Ausbaus der Betreuungs- und Bildungsangebote kostet nach unserer Schätzung etwa 60 Milliarden Euro. Auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene wird die Finanzierungsfrage daher die eigentliche Hürde sein. Da muss es Streit geben. Beispiel: Es gibt keinen Grund, warum in Deutschland im europäischen Vergleich so niedrige Erbschaftsteuersätze gelten. Nach niederländischem Niveau brächte die Erbschaftsteuer doppelt so viel wie heute. Wollen wir leistungslose Einkünfte für Erbengenerationen höher gewichten als Chancengerechtigkeit für die jüngere Generation? Diese Debatte können wir gewinnen. Oder: Eine einheitliche Bundessteuerverwaltung. Die würde zweistellige Milliardenbeträge bringen. Oder: Ehegattensplitting.

Für Anfang Dezember hat die Koalition die Umsetzung der Kabinettsbeschlüsse von Meseberg angekündigt. Was wird dann aus den Grünen als Klimapartei?

Ich würde mich freuen, wenn die Koalition ehrgeizig würde. Bis heute steht das aus. Ein kleines Beispiel: Die Kanzlerin hatte zugesagt, den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung in der Energieversorgung zu verdoppeln. Im Entwurf steht davon nichts mehr. Wenn die Union beim Klimaschutz genauso unwillig ist wie beim Mindestlohn, die SPD genauso kraftlos und die Kanzlerin genau- so wortbrüchig, wird da nichts draus.

Sie fahren Anfang Dezember zum Klimagipfel nach Bali – als Aufpasser der Vertreter der Bundesregierung?

Meinen Sie, Sigmar Gabriel braucht einen Aufpasser? Ich fahre auch nach Bali, weil ich das Treffen als Gelegenheit nutzen will zur internationalen grünen Vernetzung. Die grüne Bewegung muss global besser zusammenarbeiten, um die nötige Kraft zu entfalten.

Die Fragen stellten Dagmar Dehmer und Hans Monath

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