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Ein irakischer Soldat in Kirkuk, wo die Regierungstruppen den Gouverneurssitz der Provinz eingenommen haben.

© Stringer/Reuters

Update

Irak: Regierungstruppen nehmen Gouverneurssitz in Kirkuk ein

Seit Jahren streiten irakischen Kurden und die Regierung um das ölreiche Kirkuk. Jetzt hat die Bundeswehr ihre Ausbildungsmission im Nordirak aus Sicherheitsgründen unterbrochen, die EU mahnt zum Ende der Gewalt.

Die irakischen Regierungstruppen haben im Zuge ihrer Offensive gegen die kurdischen Peschmerga-Truppen am Montag den Gouverneurssitz in der Stadt Kirkuk eingenommen. Der Kommandeur der Bundespolizei, Raed Dschawdat, sagte, die Zentrale der Provinzverwaltung sei zu diesem Zeitpunkt verlassen gewesen. Der Gouverneur Nadschm Eddin Karim sei nicht vor Ort gewesen, als die Regierungstruppen einrückten, hieß es aus seinem Umfeld.

Der Kurde Karim war im September von der Zentralregierung abgesetzt worden, weil er angeordnet hatte, dass Kirkuk an dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum der Kurden am 25. September teilnimmt, obwohl die Provinz nicht zur kurdischen Autonomieregion gehört. Der Gouverneur hatte sich aber seiner Absetzung widersetzt.

Bagdad startete am Sonntag eine Offensive, um die kurdischen Peschmerga aus der Provinz Kirkuk zurückzudrängen, die sie seit 2014 kontrollierten. Da sich die Peschmerga zumeist kampflos zurückzogen, übernahm die Armee am Montag den Militärflughafen von Kirkuk, eine wichtige Militärbasis und eines der sechs Ölfelder im Umfeld der Stadt.

Ein Vertreter des Ölministeriums erklärte, die Ölförderung auf den Ölfeldern Havana und Baj Hassan sei eingestellt worden. Die kurdischen Techniker hätten die Förderung eingestellt und die Ölfelder vor Eintreffen der irakischen Regierungstruppen verlassen. Die Ölfelder produzierten 250.000 Barrel pro Tag und kamen damit für 40 Prozent der kurdischen Ölförderung auf.

Bundeswehr unterbricht Ausbildungsmission

Angesichts der militärischen Eskalation hat die Bundeswehr ihre Ausbildungsmission dort unterbrochen. Die Ausbildung sei aus Schutzgründen für die deutschen Soldaten aufgrund der unklaren Lage bereits am Freitagabend vorläufig ausgesetzt worden, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der Deutschen Presse-Agentur am Montagabend. Die Bundeswehr bildet seit 2014 kurdische Peschmerga-Kämpfer für den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus. Die Bundesregierung hatte Ende September angekündigt zu prüfen, ob die derzeit knapp 140 deutschen Soldaten im Nordirak trotz des Unabhängigkeitsreferendums in der Kurdenregion auch im nächsten Jahr dort bleiben können.

EU ruft zum Dialog auf

Die Europäische Union hat die Konfliktparteien zum Dialog und zu einem Ende der Gewalt aufgerufen. Dies teilte die EU-Außenbeauftragte am Montagabend nach einem Telefonat mit dem irakischen Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi mit. Sie kündigte zudem eine neue zivile Sicherheitsmission im Irak an. Diese solle die dortigen Behörden bei „zivilen Aspekten der irakischen nationalen Sicherheitsstrategie“ unterstützen.

Auslöser ist das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum

Bagdad hatte die Offensive gestartet, nachdem die Kurden in einem umstrittenen Referendum für die Unabhängigkeit gestimmt hatten. Kämpfe seien zwischenzeitlich im Süden Kirkuks ausgebrochen, berichtete die kurdische Nachrichtenseite Rudaw unter Berufung auf einen Kommandeur der Peschmerga. Es habe Feuerwechsel auch mit schweren Waffen gegeben. Kurden-Präsident Massud Barsani gab seinen Einheiten Rudaw zufolge „grünes Licht“, um angreifende irakische Truppen mit „aller Kraft“ zu attackieren. Er habe die Kämpfer allerdings angewiesen, nicht mit Kampfhandlungen zu beginnen. Die irakische Armee meldete die Einnahme der wichtigsten Militärbasis bei Kirkuk sowie des Militärflughafens und eines Ölfelds.

Tausende kurdische Einwohner von Kirkuk sind am Montag vor den heranrückenden irakischen Regierungstruppen geflohen. Wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtete, verließen tausende Bewohner die kurdischen Viertel in Richtung der kurdischen Städte Erbil und Suleimanija. An den Ausfallstraßen bildeten sich lange Staus. Ganze Familien zwängten sich in Autos, um der Armeeoffensive zu entkommen.

Schiitische Milizen sollen an Offensive beteiligt sein

In mehreren Tweets verkündete Premierminister Al-Abadi, er wolle Sicherheit in Kirkuk zusammen mit den Bewohnern und den kurdischen Kräften herstellen. Priorität sei es, die Bürger zu schützen, die er aufrief, mit seinen Truppen zusammenzuarbeiten. Noch Stunden zuvor hatte der Irakische Sicherheitsrat den Kurden vorgeworfen, Kräfte mit Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nach Kirkuk zu bringen. Dies sei eine „Kriegserklärung“. 

Der Gouverneur Kirkuks, Nadschmiddin Karim, rief die Bürger der Region derweil dazu auf, sich zu bewaffnen und die Provinz zu verteidigen. Das Ziel der Offensive sind Rudaw zufolge eine Militärbasis, der Flughafen im Westen der Stadt sowie die Ölfelder, die von den Kurden kontrolliert werden. Die Seite berief sich auf den Sicherheitsrat der Autonomieregion Kurdistan. 

Medienberichten zufolge handelt es sich bei den irakischen Einheiten neben der Armee unter anderem um die mächtigen schiitische Milizen, die unter dem Einfluss des Iran stehen. Es gab zunächst allerdings unterschiedliche Angaben darüber, inwieweit diese in die Operation eingebunden sind. Sowohl die kurdischen Peschmerga als auch die irakische Armee werden von den USA unterstützt und kämpften Seite an Seite gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).

Referendum verstärkte die Konflikte

Seit einem von den Kurden abgehaltenen Unabhängigkeitsreferendum haben die Spannungen mit Bagdad stark zugenommen. Dabei geht es insbesondere auch um die Zukunft des ölreichen und ethnisch-religiös gemischten Kirkuk, das von Bagdad und den Kurden beansprucht wird, obwohl es nicht Teil ihres Autonomiegebietes ist. Die kurdischen Peschmerga hatten im Sommer 2014 die Kontrolle über die Provinz übernommen, nachdem die Armee vor dem Ansturm des IS geflohen war. Die Kurden exportieren von Kirkuk aus Öl über eine Pipeline in die Türkei.

Bei dem umstrittenen Referendum am 25. September hatten sich die Kurden im Nordirak mit überwältigender Mehrheit für die Abspaltung vom Irak ausgesprochen. Die Zentralregierung in Bagdad lehnte die Volksabstimmung jedoch als verfassungswidrig ab und pocht auf die Einheit des Landes. Auch die Nachbarn Türkei und Iran erklärten das Referendum für nichtig. Wie die Zentralregierung haben sie den Luftraum der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak geschlossen.

Das Generalkommando der kurdischen Peschmerga-Kämpfer hatte Iraks Regierungskräften noch am Freitag vorgeworfen, einen „Krieg gegen Kurdistan“ vorzubereiten. Iraks Militärführung hatte erklärt, die Einheiten würden Gebiete säubern, die aus den Händen der Terrormiliz IS befreit worden sei.

Ministerpräsident al-Abadi hatte über Twitter bekräftigt, die Regierungskräfte könnten und würden keine irakischen Bürger angreifen, seien es Araber oder Kurden. Er wolle keinen arabisch-kurdischen Konflikt. Nach dem Unabhängigkeitsreferendum war von verschiedenen Seiten die Befürchtung laut geworden, der Konflikt könnte sich zu einem Bürgerkrieg ausweiten. (dpa, AFP)

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