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Politik: Iran: Die Tränen des Siegers

Am Freitag ist Mohammed Chatami erneut zum Präsidenten der Islamischen Republik Iran gewählt worden. Er war totz neun Gegenkandidaten der klare Favorit.

Am Freitag ist Mohammed Chatami erneut zum Präsidenten der Islamischen Republik Iran gewählt worden. Er war totz neun Gegenkandidaten der klare Favorit. Kein Grund zur Trauer also, so könnte man meinen. Und dennoch kamen Chatami die Tränen der Erschöpfung, als er Anfang Mai auf den letzten Drücker seine Kandidatur bekanntgab. Eigentlich hätte er gar nicht mehr antreten wollen, so hieß es aus seinem Umfeld, zu enttäuscht sei er über die politische Lage im Land, die es ihm unmöglich mache, seine Reformen voran zu treiben.

Tatsächlich hat es den Anschein, als stünde der Iran an einem Scheidepunkt. Auch im Westen befürchten viele politische Beobachter, dass Chatamis Reformpolitik künftig im Sande verlaufen wird.

Allen Pessimisten sei deswegen das neue Buch des Islamwissenschaftlers Navid Kermani empfohlen. Es könnte sie aufmuntern. Der Autor entwirft ein Bild seines Herkunftslandes, das berechtigten Anlass zur Hoffnung gibt. Die Quintessenz dieser wunderbar zu lesenden Studie lautet: Chatami hin oder her, der Iran befindet sich seit Jahren in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess, der unaufhaltsam ist und unabhängig von Personen und Ämtern der Islamischen Republik ein ziviles Antlitz verleihen wird.

Die Jugend hat die Zwänge satt

Kermani begründet seinen Optimismus zunächst auf reinen Zahlen. Zwei Drittel der Iraner sind nach der Islamischen Revolution 1979 aufgewachsen, und diese Generation hat die Zwänge des Regimes längst satt. Mit überwältigender Mehrheit wählte sie 1997 Chatami zum Präsidenten und hat seitdem die neuen Freiheiten genutzt, um lautstark ihre Kritik an die Öffentlichkeit zu tragen.

Doch Jugend allein macht noch keinen Frühling. In einem der interessantesten Kapitel beschreibt Kermani, wie bereits in den achtziger Jahren islamische Geistliche sowie Intellektuelle, die ursprünglich die Revolution unterstützten, Zweifel an dem neuen System bekamen. Die Verquickung von Religion und Politik, wie sie in der Verfassung der Islamischen Republik verankert ist, führe zu einer Korruption des Glaubens selbst, so ihr Standpunkt.

Als Ayatollah Chomeini noch lebte, ließ sich der Unmut der Theologen noch kontrollieren. Nach dem Tod des Revolutionsführers 1989 aber krochen die "Religiösen Aufklärer", wie sie sich selbst nennen, aus ihren Verstecken. Lange vor der Wahl Chatamis forderten sie eine Reform des Systems und beriefen sich dabei auf den Volkswillen. Die Hüter der Revolution reagierten mit Repression. Wer eine Trennung von Religion und Politik verlange, begehe Verrat an der Islamischen Republik.

Um zu verstehen, warum wenige Jahre später dennoch ein Reformer wie Chatami zum Präsidenten gewählt werden konnte, geht Kermani zurück in die achtziger Jahre. Die Islamische Republik sei nie eine Einparteiendiktatur vom Schlage Nazieutschlands oder der Sowjetunion zu Stalins Zeiten gewesen, betont er mehrfach. Es habe immer verschiedene Strömungen gegeben, die ihre Interessen gegenseitig austarieren mussten.

Die heutige Einteilung in Konservative und Reformer entspricht nur bedingt der Konstellation, wie sie in den achtziger Jahren herrschte. Das konservative Lager, heute repräsentiert durch den Revolutionsführer Ayatollah Chamenei, hat sich ideologisch am wenigsten verändert. Es orientiert sich geistig an den Werten der schiitischen Volksfrömmigkeit und verfolgt innenpolitisch eine autoritär-islamistische Linie.

Die heutigen Reformer hingegen setzen sich aus zwei unterschiedlichen Strömungen zusammen: aus den Technokraten, die schon lange für eine wirtschaftliche Öffnung des Landes plädierten, um mit internationaler Hilfe die Wirtschaftspobleme in den Griff zu bekommen. Bereits früh hörten sie auf, von einem Export der Islamischen Revolution ins Ausland zu träumen.

Die gegenteilige Position vertraten die so genannten Links-Islamisten, zu denen auch Chatami gehörte. Sie galten als die "Radikalen", weil sie die Fahne der Revolution hochhielten und die Öffnung Richtung Westen ablehnten. Gesellschaftspolitisch traten sie allerdings immer für eine Lockerung der strengen Sitten und für mehr Meinungsfreiheit ein.

Chomeini schaffte es, die verschiedenen Richtungen zu befrieden. Nach seinem Tod zeichneten sich jedoch deutliche Risse ab. Die Konservativen weigerten sich, den neuen Zeitgeist, der nach einer Öffnung des Systems verlangte, anzuerkennen. Diese starre Haltung trieb die Technokraten in die Arme der Links-Islamisten, die sich mittlerweile zu Reformern gewandelt hatten. Gemeinsam setzten sie Chatami als Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 1997 durch, der zum Erstaunen der Konservativen mit überwältigender Mehrheit gewann.

Die Geschichte des Reformprozesses glich seitdem einer Berg-und-Tal Fahrt. Einerseits war sie gekennzeichnet durch Meinungs- und Pressefreiheit, wie sie das Land seit langem nicht mehr gesehen hatte. Andererseits nutzten die Konservativen ihre Machtpositionen im Staat, um den Reformprozess zu blockieren. Sie gängelten die kritische Presse, schüchterten ihre Gegner ein und ließen sie ins Gefängnis sperren.

Heute hat es den Anschein, als seien die Konservativen siegreich aus diesem Machtkampf hervorgegangen. Immer noch besetzen sie die wichtigsten Ämter - allen voran den Posten des Revolutionsführers -, während sämtliche kritische Zeitungen verboten sind und das mehrheitlich reformorientierte Parlament kein Gesetz durchbringen kann, das den Konservativen missfällt.

Deswegen vermutlich die Tränen Chatamis, als er seine erneute Kandidatur bekanntgab. Vor wenigen Tagen aber schlug der Präsident bei einer Wahlkampfveranstaltung fröhlichere Töne an. Die Reformen hätten während seiner Amtszeit fest in den Herzen der Iraner Wurzeln gefasst und seien deswegen unumkehrbar. Gleichzeitig warnte er allerdings vor den Konsequenzen, wenn die andere Seite sich weiterhin gegen den Wandel verweigere: Die Jugend werde dann nach einer Alternative zum islamischen System suchen.

Dass dieser Ablösungsprozess friedlich verlaufen würde, ist noch längst nicht gesagt. Potenzial für eine neue Revolution,die zwangsläufig blutig verlaufen würde, gibt es allemal, wie auch Kermani befürchtet. Dennoch, so schreibt er in seiner Einleitung, schaue er mit Hoffnung in die Zukunft. Die gegenwärtigen Nachrichten rechtfertigten seinen Optimismus kaum, räumt er ein - es "ist eher ein Instinkt, ein Gefühl, eine Ahnung". Hoffen wir, dass ihn sein Instinkt nicht verlassen hat.

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