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Politik: Iran in der Dauerkrise

Ein Jahr nach Ahmadinedschads Wiederwahl herrscht gespenstische Ruhe

Ein Teil der Wahllokale war noch geöffnet, da blies am Abend des 12. Juni 2009 die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna bereits die Erfolgsfanfare. „Doktor Ahmadinedschad hat die Mehrheit der Stimmen bekommen und ist der definitive Sieger der 10. Präsidentschaftswahlen“, hieß es in einer Eilmeldung. Auf einer hastig improvisierten Pressekonferenz konterte Herausforderer Mir-Hossein Mussawi, er habe gewonnen – und zwar mit großem Abstand. Der Ex-Premier berief sich dabei „auf Informationen, die wir aus den Provinzen und aus Teheran erhalten haben“.

Dieser denkwürdige Schlagabtausch zu nächtlicher Stunde markierte den Beginn der schwersten inneren Krise seit Bestehen der Islamischen Republik. Schon am nächsten Tag besetzten Regimetreue das vierstöckige Hauptquartier der grünen Bewegung in der Mir-Hadi-Straße, zertrümmerten Computer, Mobiliar und Fensterscheiben. Der Oberste Religionsführer Ali Chamenei erklärte Mahmud Ahmadinedschad mit 62 Prozent der Stimmen zum eindeutigen Gewinner, obwohl Mussawi ihm massive Wahlfälschungen vorwarf. Drei Tage später erlebte Teheran mit vier Millionen Teilnehmern den größten Protestmarsch gegen die Herrschenden seit dreißig Jahren – und dann schlug das Regime mit eiserner Faust zurück. Mehr als 5000 Menschen wurden verhaftet, viele gefoltert und vergewaltigt. Über hundert Intellektuelle, Politiker und Künstler erhielten in Schauprozessen drakonische Haftstrafen – einzelne bis zu 16 Jahre. Sechs Demonstranten warten heute in Todeszellen auf ihre Hinrichtung. Nach Angaben der Opposition verloren mindestens 72 Menschen ihr Leben, die Regierung spricht von 36 Getöteten.

Dennoch löste jeder weitere Gedenktag im Festkalender der Islamischen Republik neue Proteste und Straßenschlachten aus. Zuletzt starben beim schiitischen Aschurafest Ende Dezember acht Demonstranten. „Chamenei ist ein Mörder“ und „Tod dem Diktator“, skandierten die aufgebrachten Menschen. Als „Dreck und Staub“ beschimpfte sie der umstrittene Ahmadinedschad. Erst acht Monate später, am 11. Februar 2010 beim 31. Revolutionstag, behielt das Regime auf der Straße erstmals die Oberhand. Seitdem herrscht gespenstische Ruhe im Land. Doch der Flurschaden in der Islamischen Republik ist gewaltig. Die politische Elite des Landes ist tief gespalten, das Ansehen des geistlichen Staatsoberhauptes Ali Chamenei liegt in Trümmern. Sein Zögling Ahmadinedschad ist international fast total isoliert – am Mittwoch trug dem Iran seine undurchsichtige Atompolitik eine vierte Runde von UN-Sanktionen ein.

Die Galionsfiguren der Opposition allerdings, Mir-Hossein Mussawi, Mehdi Karubi und Mohammed Chatami, wagte das Regime bisher nicht festzunehmen. Für den 12. Juni riefen sie zu einem Schweigemarsch in der iranischen Hauptstadt auf. Doch am Donnerstag bliesen Mussawi und Karubi das ganze Unternehmen ab.

Wie hoch die Spannungen nach wie vor sind, zeigten die schrillen Auftritte von Ahmadinedschad und Chamenei bei den Feiern zum 21. Todestag von Staatsgründer Chomeini am letzten Freitag. Während der Präsident seine angebliche Wiederwahl zum „Weltrekord in Sachen Demokratie“ verklärte, drohte Chamenei seinen Gegnern erstmals unverhohlen mit der Exekution. Zum Schluss seiner Rede wandte sich der Revolutionsführer dann ausdrücklich an die Jungen im Land. Alle Angriffe der letzten dreißig Jahre auf die Islamische Republik, das wolle er ihnen sagen, hätten deren Fundamente nicht im Geringsten erschüttert. Proteste sind aussichtslos – hieß diese spezielle Botschaft an den iranischen Nachwuchs. Kein Wunder, dass viele inzwischen die Protestverse des Rappers Shahin Najafi, der heute in Köln im Exil lebt, zu ihrer Hymne auserkoren haben: „Halt’s Maul, finde dich ab mit der Situation. Das ist die Tradition des Propheten. Finde dich ab – egal ob Mann oder Frau, es gibt keinen Unterschied, stirb. Das ist unser Hundeleben.“

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