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Iran: Kehrtwende in Teheraner Schauprozess

Mit primitiven Schauprozessen sollte Irans Opposition nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl mundtot gemacht werden. Nun hat Irans oberster Führer Chamenei die Farce gestoppt.

Kairo - Der Staatsanwalt drohte triumphierend mit der Todesstrafe. Zuvor war der Angeklagte von zwei Männern gestützt in den Saal geschleppt und in der ersten Reihe abgesetzt worden. Sein schriftliches „Geständnis“ musste eine andere Person vorlesen, weil Saeed Hajjarian seit einem Attentat durch den iranischen Geheimdienst nur noch mit Mühe sprechen kann. Der erzwungene Auftritt des körperlich schwer behinderten Vertrauten von Reformpräsident Mohammed Chatami vor dem Teheraner Revolutionsgerichtshof war der vorläufige Tiefpunkt in den seit vier Wochen laufenden stalinistischen Schauprozessen.

Allen 160 in einheitlich-grauer Gefängniskleidung vorgeführten Regierungskritikern hielten die Ankläger die gleiche Litanei vor: Planung einer „sanften Revolution“, Verschwörung mit dem Ausland und konspirative Zusammenarbeit mit dem britischen sowie dem amerikanischen Geheimdienst. Untermalt wurden die düsteren Prozesstage von Forderungen aus den Reihen der Teheraner Freitagsprediger und der Chefetage der Revolutionären Garden, nun, da die Vorwürfe zweifelsfrei bewiesen seien, müsste auch die Spitze der Opposition hinter Gitter: Mir-Hossein Mussawi, Mohammed Chatami und Mehdi Karubi.

Doch so weit wird es nicht mehr kommen. Seit Mittwochabend rudert das Regime zurück. Mit zwei Sätzen zur besten Sendezeit im Staatsfernsehen ließ Ajatollah Ali Chamenei alle zentralen Punkte der gut 30-seitigen Anklageschrift zu Makulatur erklären und schob gleichzeitig Todesurteilen einen Riegel vor. „Ich beschuldige die Anführer der jüngsten Vorfälle nicht, Handlanger von Ländern wie USA und Großbritannien zu sein, weil dies für mich nicht bewiesen ist“, sagte er. Auch dürfe man die Angeklagten nicht aufgrund von Gerüchten und Vermutungen, sondern nur von stichhaltigen Beweisen aburteilen.

Das Kehrtwende erfolgt gut eine Woche, nachdem der neue Justizchef Sadeqh Laridschani sein Amt angetreten hat. Der 49-Jährige ist zwar ein linientreuer Kleriker, der Chamenei nahe steht. Aber er sieht sich zusammen mit seinem älteren Bruder, dem iranischen Parlamentspräsidenten Ali Laridschani, auch in deutlicher Distanz zu Mahmud Ahmadinedschad, den vom Präsidenten entlassenen Geheimdienstminister Gholam-Hossein Mohseni Ejei beförderte er postwendend zum neuen Chefankläger. Mohseni Ejei war aus dem Kabinett geflogen, weil er sich intern gegen die Schauprozesse ausgesprochen hatte. Und ein internes Dossier, das er für Chamenei hatte anfertigen lassen, kam zu dem Schluss, zwischen den führenden Reformern und „ausländischen Mächten“ seien keinerlei Verbindungen nachzuweisen. Nun hat offenbar auch der oberste Religionsführer realisiert, dass sich das Regime mit den absurden Tiraden seiner übereifrigen revolutionären Ankläger immer mehr zum Gespött der Welt macht. Auch im Iran stößt die Quälerei des behinderten Saeed Hajjarian bis weit in konservative politische Kreise hinein auf Abscheu. Martin Gehlen

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